Bürger zahlen 103 Milliarden Euro für ihren Sport

5. April 2012

Den Deutschen ist ihr Sport teuer – doch wie teuer, das ahnte vor der Studie von Holger Preuß kaum jemand. Der Universitätsprofessor für Sportsoziologie und Sportökonomie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) legt Zahlen vor, die die wirtschaftliche Bedeutung des Sports eindrucksvoll belegen: Mindestens 103 Milliarden Euro geben die Bürger jedes Jahr dafür aus.

Holger Preuß selbst wird für seinen Sport in nächster Zeit nicht so viel Geld ausgeben, das ist sicher. Ein Riss im Meniskus vereitelt seinen anstehenden Skiurlaub. "Wenigstens ist es ein glatter Riss", tröstet sich der Universitätsprofessor für Sportsoziologie und Sportökonomie am Institut für Sportwissenschaft der JGU. "Ich werde dann halt im Urlaub arbeiten."

Zu tun hat Preuß sowieso genug. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die ökonomische Auswirkung von Sportgroßveranstaltungen. So beschäftigte er sich bereits in seiner Diplomarbeit mit "Kosten-Nutzen-Analysen der Olympischen Spiele in Berlin im Jahr 2000".

Satellitenkonto für Sport

Nun aber geht es um ein anderes Projekt. "Im EU-Weißbuch des Sports haben sich alle Mitgliedsstaaten auf die Fahnen geschrieben, Sport als eigenes wirtschaftliches Rechnungssystem darzustellen." Preuß hat sich für die Bundesrepublik an die Arbeit gemacht. "Wie können wir den Sport aus der volkswirtschaftlichen Rechnung ausgliedern, also als Satellitenkonto darstellen?"

Ihm ist es mit einiger Unterstützung durch seine Mitarbeiter und weitere Kräfte gelungen. Das Papier zur "Wirtschaftlichen Bedeutung des Sportkonsums in Deutschland" ist gerade fertig. Preuß schiebt vier Diagramme über den Tisch, die zusammenfassen, was die Deutschen im Jahr in Sport investieren. Alle aktiven Sportler im Land geben 83,39 Milliarden Euro aus. "Das ist die Summe in unserem konservativen Modell", erklärt Preuß. Dort wurde eher niedrig gerechnet. Im "realistischen Modell" ist gar die Rede von 112,6 Milliarden Euro. Berücksichtigt sind unter anderem Fahrten vom und zum Sport, Sportkleidung, Geräte, Vereinsbeiträge, aber auch medizinische Dienstleistungen.

83,39 Milliarden Euro für aktiven Sportkonsum

Zum Konsum der aktiven Sportler kommt noch der passive Sportkonsum. Der Besuch eines Fußballspiels etwa, die Ausgaben für einen TV-Sportkanal oder Fanartikel. Nach dem konservativen Modell geben die Deutschen hier 19,8 Milliarden Euro aus, das realistische Modell listet gar 26 Milliarden.

Bei der Vorstellung seiner Zahlen präsentiert Preuß bevorzugt die konservative Variante. "Wenn sich jemand über die Höhe der Zahlen wundert, kann ich klar zeigen, dass sie wahrscheinlich sogar noch höher sind."

Die ungeheure Summe ist eine Überraschung. Insgesamt kommen selbst nach dem konservativen Modell 103,19 Milliarden Euro zusammen. "Das sind sechs bis sieben Prozent des Gesamtkonsums in Deutschland. Das liegt bei weitem höher, als ich erwartet habe." 1995 gab es bereits eine Studie, für die 2.000 Menschen befragt wurden. Sie wurde im Jahr 2000 fortgeschrieben. Aber die Zahlen waren viel niedriger als die von Preuß und sie fußten auf einer schmaleren Grundlage.

Radsport steht ganz oben

Für die aktuelle Studie wurden Datensätze von 7.031 Personen per Telefon erhoben, zudem wurden online 10.424 Menschen zu ihrem sportartspezifischen Konsumverhalten befragt. Bevor das jedoch geschah, galt es, eine Methode auszufeilen, nach der die Befragung realistische Ergebnisse zeitigen würde. "Welche Sportarten berücksichtigen wir? Die Kollegen in England haben die Jagd reingenommen, die in Spanien den Stierkampf. Beides kommt bei uns nicht rein." Preuß und Co haben die Welt des Sports in 71 Cluster zusammengefasst. Der Cluster Radsport steht ganz oben beim aktiven Sportkonsum, gefolgt vom Laufen und Schwimmen, Fußball steht erst an sechster Stelle, dafür rangiert er im passiven Konsum ganz oben.

An Zahlen herrscht kein Mangel, Preuß könnte ewig erzählen. "Jeder Zweite der über 16-Jährigen treibt aktiv Sport, bei den unter 16-Jährigen sind es gar zwei Drittel." Die allerdings finden sich häufig in organisierten Vereinen, während die Älteren eher selbstständig tätig sind.

Datenschatz in Sachen Sport

"Wir haben hier einen riesigen Datenschatz", freut sich der Spotökonom. "Wir können schauen, welche Rolle der Sport bei Menschen mit Migrationshintergrund spielt, welche Sportarten alte Menschen betreiben. Ich sehe viel Potenzial in der Anschlussauswertung unserer Datensätze."

Den Auftraggebern, dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft und dem Bundesministerium des Innern, geht es jetzt erst mal um die Wirtschaftskraft. "Aber uns ist allen klar, dass dies nur eine Facette des Sports ist, wir wollen ihn auf keinen Fall darauf reduzieren."

Bereits 2011 war Preuß an einer Studie über die "Bedeutung des Spitzen- und Breitensports im Bereich Werbung, Sponsoring und Medienrechte" beteiligt. Hier kam man auf eine Summe von 5,5 Milliarden Euro. Demnächst geht es dann in einer dritten Studie um die Investitionen in die Sportstätten. Sie wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in Auftrag gegeben. "Dann sind alle Faktoren beisammen", sagt Preuß, "und kein anderes Land wird so genaue Zahlen haben wie wir." Was er jetzt schon sagen kann: "Die Ausgaben für den Spitzensport sind im Vergleich zu denen für den Breitensport Peanuts."

Politiker werden grübeln

Über dem Satellitenkonto Sport werden nicht nur die Politiker grübeln, auch die Medien interessieren sich schon sehr dafür. Wo investieren angesichts knapper Gelder? "Was unterstützt der Staat, was nicht?"

Aber das soll erst mal nicht Preuß' Problem sein. Der Meniskusriss muss behandelt werden. Schließlich will der Professor möglichst bald wieder auf dem Volleyballfeld oder auf den Skiern stehen. Dann trägt auch er wieder sein Scherflein bei zu den 103,16 Milliarden Euro.