"Ohne Mainz wäre ich nie nach Oxford gekommen"

17. März 2017

Als der erfolgreiche Tennisspieler Benedict Halbroth mit seinem Medizinstudium begann, trat der Sport in die zweite Reihe. An der Universitätsmedizin Mainz lernte Halbroth das weite Feld der Immunologie kennen. Er war beteiligt an der Entwicklung neuartiger Grippe-Impfstoffe, bevor er nach Oxford ans Jenner Institute wechselte, eines der weltweit führenden Institute auf dem Gebiet der Impfstoffentwicklung.

Dr. Benedict Halbroth war Ende letzten Jahres für eine Woche in Mainz zu Besuch. Er war aus Oxford angereist – unter anderem, um beim Stiftertag 2016 eine Auszeichnung für seine Doktorarbeit entgegenzunehmen. Die Dr. med. Erich und Ella Tancré-Stiftung hatte sich seine Dissertation "Neuartige Influenza-Impfstoffe und ihre Wirkung auf humane dendritische Zellen in vitro" als besonders preiswürdig herausgepickt. "Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet", meint er. "Ich war sehr überrascht, als ich das erfuhr. Aber es freut mich natürlich riesig."

Bei dieser Gelegenheit besuchte der 29-Jährige auch den Gutenberg-Campus und erzählte nicht nur über seinen außergewöhnlichen Weg von der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ans Jenner Institute in Oxford, sondern berichtete ein wenig auch von seiner Karriere als Tennisspieler. Denn in der Rückschau ließ sich beides öfter miteinander verbinden, als er es für möglich gehalten hätte.

Ein Mediziner will forschen

Mit 18 Jahren stand Halbroth auf Platz 73 der deutschen Tennisrangliste. Unter anderem hatte er bei den Junior-Grand-Slams gespielt. "Es war lange mein Traum, Leistungssportler zu werden", erzählt Halbroth. Dafür sah es damals ausgesprochen gut aus. "Andererseits hatten mich schon in der Schule die Naturwissenschaften fasziniert." Der junge Mann grübelte, in welche Richtung es gehen sollte: Leistungssport oder Studium? Er bekam eine Entscheidungshilfe, die er sich nun wirklich nicht gewünscht hatte. "Verletzungen am Rücken und am Fußgelenk warfen mich sportlich stark zurück."

Halbroth entschied sich für ein Medizinstudium. "Ich wollte Sportmediziner werden." 2006 schrieb er sich an der JGU ein und lernte bald die verschiedenen Facetten der Medizin kennen. "Es gab viele Felder, von denen ich noch keine Ahnung hatte. Die Immunologie interessierte mich besonders: Wie kann man Infektionskrankheiten abwehren? Wie funktioniert das Immunsystem?" Das waren die Fragen, die für ihn immer zentraler wurden. Die Sportmedizin hatte das Nachsehen.

"Als Mediziner wird man eigentlich nicht ausgebildet, um Forschung zu machen", erzählt Halbroth. "Aber ich wollte unbedingt in diesen Bereich." Das Umfeld dazu fand er in der immunologischen Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Wolfgang Herr an der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz. "Die Bedingungen und die Betreuung durch Prof. Dr. Wolfgang Herr und Dr. Eva Distler waren ideal. Hier kam wirklich alles zusammen."

Die AG Herr erforschte die Wirkung neuartiger Influenza-Impfstoffe. "Bei Influenza ist es bisher so, dass die Impfung jährlich aufgefrischt werden muss, weil der Virus sehr schnell mutiert. Die herkömmlichen Impfstoffe regen die Produktion von spezifischen Antikörpern an, die allerdings nur gegen ganz bestimmte Viren wirksam sind. Die neuartigen Influenza-Wirkstoffe sollen potenziell gegen alle Grippe-Viren wirken. Sie sind so eine Art heiliger Gral der Influenza-Forschung."

Neue Impfstoffe gegen Grippe

Antikörper können nur wenige Oberflächenproteine auf den Viren erkennen. Das ist das Problem. Wenn der Virus seine Oberfläche verändert, reagieren die Antikörper nicht mehr. "Nun gibt es zwei Arme des Immunsystems: die Antikörper und die T-Zellen. Wir untersuchten, ob die neuartigen Impfstoffe zusätzlich zur Produktion von Antikörpern auch die Produktion neuer T-Zellen anrregen."

Um den herkömmlichen Spaltimpfstoff herzustellen, wird ein Virus genommen, deaktiviert und auseinandergebrochen. Dann werden die Oberflächenproteine isoliert, die die Antikörper anregen. "Bei Ganzkörperimpfstoffen gibt es kein Aufspalten oder Isolieren. Der gesamte deaktivierte Virus kommt zum Einsatz. Nach diesem Prinzip wurden seinerzeit auch die ersten Influenza-Impfstoffe hergestellt. Doch bei den Herstellungsverfahren gab es so viele Verunreinigungen, dass sie extreme Nebenwirkungen hatten."

Das Verfahren hat jedoch den Vorteil, dass das Immunsystem es mit dem vollständigen Virus in all seiner Komplexität und mit all seinen Proteinen zu tun bekommt. Die über den Impfstoff angeregten T-Zellen richten sich anders als die Antikörper nicht mehr gegen die schnell mutierenden Oberflächenproteine, sondern gegen das Virusinnere, das beständiger ist. Mit modernen Methoden und moderner Technik beschritten der Impfstoffhersteller und die AG Herr also im Grunde einen alten Pfad. "Das ist ein aufstrebendes, viel versprechendes Gebiet", fasst Halbroth zusammen. "Aber es ist auch nur einer von vielen Wegen, wie man es machen kann. Das erlebte ich später in Oxford."

In seiner Dissertation schaute Halbroth auf eine weitere Zellenart des Immunsystems: die dendritische Zelle. "Diese Zelle zeigt dem Rest: Hier ist ein Influenza-Virus im Körper." Bringt ein Impfstoff sie nicht dazu, dieses Signal auszusenden, werden auch keine neuen T-Zellen produziert. Es ist also wichtig, wie die neuartigen Influenza-Impfstoffe auf die dendritischen Zellen wirken. Genau das erforschte Halbroth.

Arbeit am Jenner Institute

"Ende 2009, Anfang 2010 begann ich mit meiner Doktorarbeit. Ich hatte ein Stipendium bekommen für das Graduiertenkolleg Immuntherapie an der Universitätsmedizin Mainz." Dort arbeitete er mit Naturwissenschaftlern zusammen und bekam noch besser mit, wie Forschung funktioniert. "Das Kolleg bot ein eigenes Curriculum, das mich sehr voranbrachte."

Während des Studiums spielte Halbroth weiter Tennis. "Im Grunde erreichte ich da meinen Zenith. Ich spielte in der Zweiten Bundesliga. Das war ein super Ausgleich zum Studium und half ein bisschen bei der Finanzierung." Mit der Arbeit an der Dissertation trat der Sport weiter zurück.

Noch während seines Medizinstudiums ging Halbroth für ein Tertial an die Oxford University Hospitals. Er wusste, dass in Oxford eines der berühmtesten Institute für die Erforschung neuer Impfstoffe ansässig war: das Jenner Institute. "Ich schrieb ihnen, dass ich mir ihr Institut gern mal ansehen würde, und ich bekam tatsächlich eine Einladung zum Gespräch." Er traf den Leiter des Jenner Institutes, Prof. Adrian Hill. "Er führte mich durch die Labors und sprach mit mir über meine Arbeit. Später erfuhr ich, dass er für so etwas eigentlich gar keine Zeit hat. Seit diesem Tag wusste ich: Ich will dahin."

Die Chance dafür ergab sich, noch bevor Halbroth ganz fertig war mit seiner Mainzer Dissertation. "Im Juli 2013, zehn Tage nach der mündlichen Prüfung des Medizinstudiums, ging ich nach Oxford." In Hills Arbeitsgruppe entwickelte er einen Impfstoff gegen Malaria. "In Deutschland ist Malaria nicht so sehr im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Dabei ist sie neben HIV und TBC die drittgrößte Herausforderung unter den Infektionskrankheiten weltweit." Über 200 Millionen Menschen leiden jährlich darunter. Halbroth und das Team um Hill suchen nach einer Prophylaxe. Bisher gibt es einen solchen Impfstoff noch nicht.

Tennis in Oxford

Wieder geht es darum, T-Zellen zu beeinflussen. "Für unsere Impfstoffe benutzen wir lebende Viren, die wir so modifiziert haben, dass sie Malaria-Gene enthalten. Die Viren produzieren die Proteine, die wir haben wollen." Und die T-Zellen reagieren auf diese Proteine. "Damit haben wir die Chance, Malaria zu verhindern." Gerade hat Halbroth eine Folge-Dissertation dazu abgeschlossen und das Institut hat ein Patent auf seinen Impfstoff angemeldet, der ab 2017 erprobt wird.

Das klingt, als wäre jenseits der Forschung keine Zeit gewesen in Oxford. Doch Halbroth fand ausgerechnet dort zum Tennis zurück: "Ich wurde Teil der Uni-Mannschaft. Wir spielten gegen andere Universitäten und zwar auf Rasen. Das war eine neue Erfahrung für mich. Ein Höhepunkt war das Match gegen die Cambridge University in Wimbledon." Ein weiterer führte ihn in die USA. "Dort nahm ich am Prentice Cup teil, dem ältesten interuniversitären Sportevent der Welt." Alle zwei Jahre treten Oxford und Cambridge gegen Harvard und Yale an, abwechselnd in England und in den Vereinigten Staaten.

"Ich hatte Glück in den letzten Jahren", meint Halbroth zurückschauend. Oxford war die große Erfahrung für den Mediziner, der zum Forscher wurde. "Aber mein Ausgangspunkt war die AG Herr an der Universitätsmedizin. Ohne Mainz wäre ich nie nach Oxford gekommen."