Fleischessen ist nicht nur Geschmackssache

9. Mai 2017

Steckt eine spezielle Überzeugung hinter Fleischkonsum? Die US-amerikanische Psychologin Melanie Joy geht fest davon aus. Eine Gruppe junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA und Deutschland wollte nun wissen, ob sich solch eine Ideologie tatsächlich empirisch nachweisen lässt. Tamara Pfeiler vom Psychologischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist eine der Initiatorinnen des Projekts.

"Zum Fleischkonsum gehört nicht nur, dass jemand Fleisch isst", sagt Tamara Pfeiler vom Psychologischen Institut der JGU. "Es muss darüber hinaus legitimiert werden, dass Tiere für Fleisch getötet werden." Fleischessen sei nicht allein eine Frage des Geschmacks, fährt die Diplompsychologin fort, es steckten auch Überzeugungen dahinter.

Dieser Ideologie spürten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gemeinsam mit Kollegen der Cornell University und der University of Massachusetts Boston in drei Studien nach. Sie befragten insgesamt rund 1.000 Personen in den USA und konnten nachweisen, dass Fleischessen tatsächlich mehr ist als nur Geschmackssache. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichten sie kürzlich unter dem Titel "The Carnism Inventory: Measuring the ideology of eating animals" in der renommierten Fachzeitschrift Appetite. Als Hauptautoren des Beitrags zeichnen Pfeiler und ihr Kollege Christopher A. Monteiro von der Cornell University verantwortlich.

Ideologie des Karnismus

"Es ist allen klar, dass Vegetarier und Veganer aus bestimmten Überzeugungen handeln", so Pfeiler. "Bei Fleischessern aber gehen wir nicht unbedingt davon aus, dass mehr dahinter steckt."

Monteiro und Pfeiler hatten Melanie Joys Schriften zum Karnismus gelesen: Die US-amerikanische Sozialpsychologin und vegane Aktivistin stellte vor einigen Jahren die These auf, dass es eine karnistische Sozialisierung gibt, eine Art Konditionierung hin zum Fleischessen. Nach Joy sind die meisten Gesellschaften von der Ideologie des Karnismus geprägt. Sie skizziert diesen Karnismus als ein unsichtbares gesellschaftliches System von Überzeugungen, das Tiere in essbar und nicht essbar unterteilt, das den Konsum von tierischen Produkten als notwendig und unvermeidlich hinstellt.

"Joys' Theorien schienen uns plausibel und nachvollziehbar", erzählt Pfeiler. Doch damit gaben sie und ihre Kollege Monteiro sich nicht zufrieden. Sie wollten mit den Mitteln der Wissenschaft einen Schritt weitergehen. "Das Thema ist sehr stark emotional besetzt, deswegen ist es wichtig, dass unsere Forschung unabhängig und objektiv darauf schaut. Wir wollten Joys' Theorien empirisch überprüfen. Wir wollten wissen, ob karnistische Überzeugungen messbar sind."

Gemeinsam mit einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entwickelten sie einen Fragebogen, der sich zwei wesentlichen Aspekten des Karnismus widmete. Zum einen griffen sie die karnistische Rechtfertigung heraus: "Fleischessen wird häufig damit begründet, dass es natürlich und gut für die Gesundheit ist." Zum anderen die These von der karnistischen Dominanz des Menschen über das Tier: "Es wird unter anderem behauptet, dass Tiere nicht intelligent genug sind, um in erheblichem Maße zu leiden." Tieren werden mentale Fähigkeiten abgesprochen, um sie minderwertig und unterlegen erscheinen zu lassen.

Fleischesser und Empathie

Über ein spezielles Internetportal wandten sich die Wissenschaftler an die potenziellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihrer Befragung. "Jeder kann sich dort frei entscheiden, an welcher der angebotenen Umfragen er teilnehmen will", erzählt Pfeiler. "Das ist ein guter Weg, kostengünstig ein relativ breites Publikum anzusprechen."

Den Kern der Erhebung bildeten acht Aussagen, denen die Befragten in einer Skala von eins bis sieben zustimmen oder sie eben ablehnen konnten. Die Antwortmöglichkeiten reichten unter anderem von "Fleisch ist gut für die Gesundheit" über "Menschen sollten weiter Fleisch essen, weil sie das schon seit Jahrtausenden tun" bis hin zu "Fleischproduktion führt dazu, dass Tiere leiden". Zudem wurde die Frage gestellt, ob man selbst schon mal ein Tier getötet habe, um Fleisch zu essen. "Das bejahten rund zehn Prozent."

Karnistische Rechtfertigung war in der Studie mit der Höhe des Fleischkonsums assoziiert und damit, wie gern Personen Fleisch essen. Karnistische Domination ging damit einher, ob schon einmal ein Tier getötet wurde, um es zu essen.

Jenseits davon sprach die Umfrage eine ganze Reihe von Aspekten an, die sich nicht direkt mit dem Fleischessen beschäftigen. "Die Leute konnten sich dort zum Beispiel selbst einschätzen. Wir fragten nach Persönlichkeitseigenschaften wie Empathie, Feindseligkeit, Offenheit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und emotionaler Stabilität."

Pfeiler blättert in dem veröffentlichten Fachartikel. Nun geht es um die Ergebnisse der drei Studien, da will sie sehr genau sein. "Es stellte sich heraus, dass etwa Empathie negativ mit den karnistischen Überzeugungen korreliert, während Feindseligkeit positiv korreliert." Menschen, die karnistische Überzeugungen unterstützen, gaben also öfter an, dass sie selbst eher zu feindseligen Interpretationen neigen und schätzen sich als weniger empathisch ein.

Konservative Normen und Hierarchien

"Außerdem haben wir festgestellt, dass Personen, die eine Dominanz des Menschen über das Tier annehmen, eher konservative Normen und Hierarchien bejahen. Zudem gibt es einen Zusammenhang zwischen karnistischer Domination und Vorurteilen gegenüber bestimmten Personenkreisen, fremdenfeindlichen Überzeugungen und etalbierten Autoritäten." Diese Korrelationen gebe es allerdings nicht bei Personen, die mit der karnistischen Rechtfertigung argumentieren.

Pfeiler stellt klar: "Unsere Ergebnisse bedeuten nicht, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt. Zum einen gibt es Personen, die zwar karnistischen Überzeugungen zustimmen, jedoch kein Fleisch essen, zum anderen gibt es Personen, die zwar Fleisch essen und dennoch karnistische Überzeugungen eher ablehnen. Darüber hinaus können wir nicht sagen, dass jemand Fleisch isst, weil er Hierarchien bejaht – oder umgekehrt. Wir stellen nur fest, dass es signifikante Überschneidungen bei solchen Positionen gibt."

Die Psychologie beschäftigt sich noch nicht lange mit dem Verhältnis von Tier und Mensch oder speziell mit der Ideologie des Karnismus. "Auch wir stehen mit unseren Studien noch am Anfang", betont Pfeiler. "Aber mit unserem Fragebogen haben wir jetzt ein Instrument geschaffen, mit dem wir weiterarbeiten können. In zukünftigen Projekten könnten wir zum Beispiel untersuchen, ob es Persönlichkeitsunterschiede zwischen Veganern, Vegetariern und Fleischessern gibt." Momentan arbeitet sie an einem solchen Projekt und verspricht: "Ich gebe Bescheid, wenn wir neue Ergebnisse haben."