Von der Vielfalt des Glaubens

6. September 2017

Auf den ersten Blick ist sie ein wildes Sammelsurium: Die Prinz Johann Georg-Sammlung des Instituts für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) umfasst neben russischen Ikonen auch Grabbeigaben aus der Zeit der Pharaonen. Hier finden sich Stücke aus koptischen Klöstern, Zeugnisse des frühen Islam und Kunstwerke aus dem alten Byzanz. Tatsächlich lässt sich all das auf einen Nenner bringen. Dr. Birgit Heide, Direktorin des Landesmuseums Mainz, erzählt davon.

Auf dem Tisch steht ein einfacher Karton. Einst als Paket verschickt, dient er nun zur Aufbewahrung einiger kleinerer und robusterer Stücke der Prinz Johann Georg-Sammlung. Dr. Birgit Heide greift hinein und holt ein in Papier gewickeltes Kreuz hervor. Sie streift sich Baumwollhandschuhe über, bevor sie es aus der Umhüllung hebt.

"Bei vielen Sachen können wir leider nicht mehr nachvollziehen, woher sie kommen", bedauert die Direktorin des Landesmuseums. Das gilt auch für dieses Kreuz. Es stammt wohl aus dem 19. Jahrhundert. Fein gearbeitet zeigt es Jesus Christus mit einem prächtigen Strahlenkranz. Die Kette, an der es hängt, weist verschiedene Symbole auf: eine Leiter und eine Zange, einen Speer, einen Krug. "Das sind die Arma Christi", erläutert Heide. Der Begriff bezeichnet Objekte, die auf die eine oder andere Weise mit dem Leben und Sterben von Jesus Christus in Verbindung stehen.

Sammler, Pilger, Wegbereiter

Im Jahr 1981 kam die Prinz Johann Georg-Sammlung als Dauerleihgabe von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ans Landesmuseum. "Hier im Museum verfügen wir über die besten Möglichkeiten, die teils sehr empfindlichen Stücke sachgemäß zu lagern", erläutert Heide.

Die Museumsdirektorin zieht den Katalog zu einer Sonderausstellung heran, die sie selbst für das Landesmuseum kuratierte: "Sammler, Pilger, Wegbereiter. Die Sammlung des Prinzen Johann Georg von Sachsen". Als Titelbild war damals eine Mumienkartonage aus dem ptolemäischen Ägypten, aus der Zeit zwischen dem dritten und dem ersten Jahrhundert vor Christus, gewählt worden. Zu sehen ist eine goldfarbene Gesichtsmaske mit großen Augen und kleinem lächelnden Mund. "Mit den Kartonagen wurden Kopf und Brust von Mumien abgedeckt", erklärt sie. Auch solche Objekte schätzte der sächsische Prinz, der Namensgeber der Sammlung. Sie gehören zu den fragilsten Stücken der Sammlung. "Die Maske lagert derzeit in unserem Depot in Mainz-Bretzenheim in einem temperierten Raum."

Von der Prinz Johann Georg-Sammlung ist meist wenig im Museum zu sehen. "Dabei ist es eine tolle Schausammlung", betont die Direktorin. Deswegen beschloss sie im Jahr 2004, die Sammlung möglichst in ihrer Gänze zu zeigen. Seinerzeit arbeitete sie noch als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Landesmuseum. Um die einzelnen Stücke zu dokumentieren, holte sie verschiedene Fachleute der JGU zusammen. Mit ihrer Hilfe entstand der umfangreiche Katalog. "Ich selbst beschäftigte mich vor allem mit der Biografie des Prinzen." Hier entdeckte sie den roten Faden, der die Sammlung trotz ihrer Heterogenität zusammenhält.

Ausprägungen des frühen Christentums

Prinz Johann Georg, Herzog zu Sachsen, wurde am 10. Juli 1869 in Dresden als zweiter Sohn des Prinzen Georg geboren. Sein Bruder Friedrich August war der letzte regierende König von Sachsen. "Es war klar, dass er als Zweitgeborener nie König werden konnte. Dafür übernahm er andere Aufgaben: Er betreute die Familiensammlung, er führte sie fort und erweiterte sie. Parallel dazu baute er seine eigene Sammlung auf."

Alle Stücke in der Prinz Johann Georg-Sammlung haben etwas mit dem Glauben zu tun. "Der Prinz war sehr religiös. Er interessierte sich vor allem für die verschiedenen Ausprägungen des frühen Christentums, aber auch für andere Formen von Religion. In seinen Reiseberichten findet sich zum Beispiel die ausführliche Beschreibung eines dreistündigen koptischen Gottesdienstes. Er wollte zeigen: Das sind alles Christen."

Der Prinz reiste im großen Stil und mit umfangreicher Entourage. Seine Besuche in Ägypten, in Syrien und der Türkei, in Russland, in Athen oder Konstantinopel mündeten oft in Staatsakten. "In Istanbul wurde er vom Sultan empfangen, in Ägypten vom Vizekönig. Er schrieb zwar, dass er inkognito als Graf von Weesenstein unterwegs war, aber in den Pässen stand dann doch drin, wer er tatsächlich ist. Alles war hochoffiziell. Das waren richtige Gesandtschaften, über die zu Hause in Sachsen täglich in der Zeitung berichtet wurde." Auf diesen umfangreichen Reisen kaufte der Prinz vieles für seine Sammlung, anderes wurde ihm feierlich überreicht.

Außergewöhnliche Klosterschätze

Bis hierhin war der Reisestil typisch für einen hohen Adeligen im 19. und 20. Jahrhundert. Doch Johann Georg konnte auch anders. "Er war eine vielschichtige Person. Er war Luxus zwar gewohnt, konnte aber auch darauf verzichten. In Ägypten besuchte er abgelegene koptische Klöster, die kaum ein Auswärtiger je zu Gesicht bekam. Dafür war er wochenlang auf dem Kamel unterwegs und übernachtete in Zelten. Das hat in dieser Zeit niemand gemacht. Auch nicht Wissenschaftler."

So kam Johann Georg ins Makarios-Kloster im Wadi Natrun in Ägypten. Von dort brachte er drei Holzscheiben mit Heiligenporträts mit. Sie waren ursprünglich Teil des dortigen Wandschmucks. "Die Heiligen wurden direkt auf den Putz gemalt. Oft handelte es sich um sehr einfache Darstellungen von geringer Qualität." Wichtig war der Kopf, der prächtiger aussehen sollte. "Deswegen wurde er ausgespart: Das Porträt wurde in einer eigenen Werkstatt auf Holzscheiben ausgeführt. Die wurden dann in die dafür vorgesehen Nischen eingefügt."

Dr. Birgit Heide blättert im Ausstellungskatalog. "Wir haben viele herausragende Objekte in der Sammlung." Sie deutet auf die Fotos prächtiger Ikonen aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Eine zeigt Johannes den Täufer mit zerzaustem Bart und zerfetztem Fell. "Das ist eine sehr drastische Darstellung."

Prinz Johann Georg starb 1938. Gegen Ende seines Lebens war er verarmt und ließ daher hohe Schuld
en zurück. Neben dem, was heute im Depot des Landesmuseums lagert, hatte er eine große grafische Sammlung zusammengetragen. "Davon wurde vieles verkauft, um die Schulden zu tilgen." Das rheinland-pfälzische Kultusministerium erwarb 1950 jene Stücke, die als Prinz Johann Georg-Sammlung zuerst an das Kunstgeschichtliche Institut der JGU gingen und nun im Landesmuseum Mainz aufbewahrt und betreut werden.

Von der Studentin zur Direktorin

Bereits 1999 kam Heide als wissenschaftliche Mitarbeiterin ans Museum. Sie kehrte nach einem anderthalbjährigen Aufenthalt in Berlin, wo sie am Museum für Vor- und Frühgeschichte arbeitete, zurück nach Mainz. Der Stadt war sie schon länger verbunden. "Ich kam ursprünglich zum Studieren her", erzählt sie. Sie belegte Vor- und Frühgeschichte an der JGU und promovierte schließlich 1997. "Mit solch einem Fach muss man flexibel sein." Also ging es erst mal in die Bundeshauptstadt – bis sie ein Stellenangebot vom Mainzer Landesmuseum erhielt. Sie begann als wissenschaftliche Mitarbeiterin, wurde Leiterin der Archäologischen Abteilung und ist nun seit dem 1. August 2017 Direktorin des Landesmuseum. Sie kuratierte eine ganze Reihe von Sonderausstellungen für ihr Haus. Im Gespräch wird dennoch immer wieder deutlich, dass sie der Prinz Johann Georg-Sammlung eine Sonderstellung zuweist.

"Es ist eine wunderbare Sammlung", bekräftigt sie, während sie weitere Stücke aus dem Karton holt. "Ich freue mich immer, wenn ich darauf aufmerksam machen kann." Ein weiteres Silberkreuz kommt zum Vorschein, eine Medaille mit dem Konterfei des Heiligen Georg, dem Namenspatron des Prinzen, eine fein gearbeitete Metallschale für Hostien aus dem Vorderen Orient ... Schon diese kleine Auswahl beeindruckt.