Mainzer Anti-Doping-Experte zieht sich zurück

10. Oktober 2017

Prof. Dr. Dr. Perikles Simon, Leiter der Abteilung Sportmedizin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), hat sich mit seiner Anti-Doping-Forschung weit über die Grenzen Deutschlands hinaus einen Namen gemacht. Sowohl in Fachkreisen als auch bei den Medien ist er viel gefragt. Nun kehrt er dem Thema Doping verärgert den Rücken. In Zukunft will er die Ergebnisse seiner Forschung verstärkt für andere Bereiche nutzen.

"Die Inszenierung des Anti-Doping-Kampfes gehört fest zum Spitzensport", sagt Prof. Dr. Dr. Perikles Simon. "An Kritik wird zugelassen, was gerade unbedingt sein muss. Dann folgt immer derselbe Reflex: Es gibt ein Dementi. Es heißt, es sei alles gar nicht so schlimm." Bis Ende der 1980er-Jahre sei der Kampf gegen Doping bis zu einem gewissen Grad noch real und reell gewesen. Doch auch da diente er nur als Feigenblatt, um peinliche Praktiken zu kaschieren. "Jetzt geht es tatsächlich nur noch um die Inszenierung", bekräftigt der Leiter der Abteilung Sportmedizin an der JGU.

Simon war in den vergangenen Jahren eine zentrale Figur in der Anti-Doping-Forschung. Unter anderem gehörte er der Evaluierungskommission an, die untersuchte, inwieweit die Universität Freiburg in die Dopingpraxis deutscher Fußballvereine verwickelt war. Er arbeitete an einer Studie über Doping bei der Leichtathletik-WM 2011 mit, die bis heute nur zum Teil veröffentlicht wurde. Vor allem aber trieb er die Forschung voran: So entwickelte er ein Verfahren, um Gendoping nachzuweisen, und er konnte zusammen mit einer internationalen Forschergruppe erstmals den vollen Umfang von Doping im Hochleistungssport offenlegen. Zutage traten Dopingquoten von 30 Prozent aufwärts. "Das stellt den Sinn und den fairen Charakter des Hochleistungssports essenziell infrage", konstatiert er. Simon machte Schlagzeilen. In TV-Talkrunden und Sportsendungen kam er immer wieder zu Wort. Nun ist Schluss damit.

Niemand greift durch

"In Sachen Doping greift niemand wirklich durch", sagt Simon. Als ein Beispiel nennt er die Teilnahme Russlands an den Olympischen Spielen 2016. "Die Dopingvorwürfe gegen Russland waren gut belegt. Man müsste harte Sanktionen gegen die Sportnation Russland, ihre Sportverbände und Hauptverantwortlichen verhängen. Da ist zu wenig passiert, um Sportfunktionäre in Zukunft abzuschrecken, Sportler systematisch zu dopen."

Simon sieht ein grundsätzliches strukturelles Problem: "Sport wird mit einer gewissen Lockerheit gesehen, gilt immer noch als Hobby." Das sei auch in Deutschland so. "Das beißt sich jedoch nicht nur mit dem großen persönlichen Engagement unserer Athletinnen und Athleten, sondern auch mit dem gewaltigen Gewicht, das die Sportverbände haben."

Der Weltfußballverband FIFA oder das Internationale Olympische Komitee IOC seien mächtige multinationale Organisationen. "Aber sie werden – wie mein Kollege Eike Emrich es schön auf den Punkt gebracht hat – geführt wie Kaninchenzüchtervereine." Im Fußball etwa haben sich die Gehälter rasant entwickelt, es geht um gewaltige Summen, die Verbände können sich in finanzieller Hinsicht mit internationalen Konzernen messen. Zugleich aber hinken sie jämmerlich hinterher, was Standards betrifft, die im Bereich der Wirtschaft längst gang und gäbe sind. "Wenn es etwa um Financial Fairplay geht, werden wie beim Anti-Doping-Kampf Regularien in der Praxis einfach ausgehebelt, ohne dass es geahndet wird."

"Die Frage ist: Wo wird genauer hingeschaut? Wenn es um Industrie und Konzerne geht, wird hingeschaut. Wenn Sie im Pharma-Bereich nicht sauber arbeiten, werden Sie irgendwann als multinationaler Konzern vor einem Gericht verklagt. Bei Steuerflucht haben wir die Daumenschrauben angesetzt. Sogar bei der katholischen Kirche haben wir ganz genau hingesehen, als es Unregelmäßigkeiten bei der Vatikanbank gab. Und gerade erwischt es den Automobilbereich. Nur FIFA, IOC und all die anderen Sportverbände können immer noch fasst uneingeschränkt tun, was sie wollen. Dabei bekommen sie auch noch in einem erheblichen Umfang öffentliche Gelder, zum Beispiel aus den Rundfunkgebühren. Das ist nur noch mit dem vergleichbar, was die Kirchen aus Steuereinnahmen bekommen."

Keine Kontrolle

Eine wirksame Kontrolle über diese Gelder gebe es nicht. "Mit dem Geld der Steuerzahler werden beispielsweise Infrastrukturen für große Sportereignisse geschaffen. Es werden Sportanlagen für das Training und Kaderschmieden fernab des Bedarfs in der Bevölkerung geschaffen, die später nur noch wenig nutzen. In welchen abgelegenen Gebieten diese Strukturen entstehen, entscheiden letztendlich Sportverbände im Einklang mit Landesministerien und dem Bund."

Auch im ethischen Bereich gebe es keinerlei Einflussmöglichkeiten. Das betreffe nicht nur wichtige Fragen wie das Doping. "Das IOC macht Bewerbern um die Olympischen Spiele nicht nur Auflagen, wenn es um die Versorgung der Funktionäre mit Hostessen geht. Es wird auch genau festgeschrieben, welche Firma in welchem Bereich um die Sportstätten herum werben und Produkte verkaufen darf. Unsere U-Bahnen und Straßen werden so zu erweiterten Verkaufsflächen des IOC umfunktioniert und Staaten bemühen sich in vorauseilendem Gehorsam, bei den Bewerbungen um die Spiele solche Auflagen zu erfüllen. Es geht ja schließlich um die ganz große Unterhaltung."

Für Simon ist unterm Strich klar: "Im Spitzensport ist sehr viel schiefgelaufen. Wir subventionieren etwas, das nachweislich unethisch und korrupt ist und das von uns wider besseren Wissens nicht ernsthaft hinterfragt oder kontrolliert wird. Wir sollten uns zum Beispiel Gedanken machen, wofür neue Sportinfrastrukturen geschaffen werden." Die aktuelle Linie in Deutschland sei, Elitesportler besser herauszufiltern und sie auf der Jagd nach Medaillen noch besser zu unterstützen.

Simon setzt dagegen das Modell in skandinavischen Länder. "Dort geht es um die optimale Versorgung der Bevölkerung mit Sportstätten. Sie stellen die Frage: Wie viele Leute sind durch neue Infrastrukturen zum Sport gebracht worden?" Es bekommt derjenige Gelder für Sportflächeninfrastruktur, der nicht nur den Bedarf in der Bevölkerung nachweist, sondern sich auch verpflichtet, die Nutzung dieser Infrastruktur über viele Jahre hinweg zu kontrollieren, durch geeignete Maßnahmen anzukurbeln und in hohem Maße zu gewährleisten."

Gesundheit im Fokus

Das wäre auch für die Bundesrepublik ein guter Weg. "42 Prozent der europäischen Bevölkerung sind physisch komplett inaktiv. Wir liegen dabei gut im europäischen Schnitt. Das ist so ungesund wie eine Schachtel Zigaretten pro Tag." Talente herauspicken und noch weiter fördern sei zudem auch für eine Förderung des Leistungssports nicht effektiv, das sei mittlerweile Stand der Forschung. "Wir müssen große Teile der Bevölkerung ansprechen, wir müssen Nachwuchsarbeit auf breiter Ebene fördern und daneben Angebote für alle Altersgruppen vorhalten. Das fördert nicht nur die Volksgesundheit, sondern erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass Toptalente überhaupt den Weg zu Sportstätten finden und entdeckt werden."

Um Volksgesundheit ging es und geht es Simon schon immer in seiner Forschung an der JGU. "Zu mehr als 90 Prozent beschäftigen wir uns damit, wie wir die Menschen in Bewegung bringen können. Zu zehn Prozent ging es bisher darum, den Spitzensport sauberer zu machen. Dieser Teilbereich ist kolossal am Unwillen der Beteiligten gescheitert."

Doch selbst diese zehn Prozent sind nicht sinnlos verpufft. "Unseren Gendopingnachweis haben wir entwickelt, um nicht natürliche Substanzen im Blut von Leistungssportlern zu entdecken. Dann hat sich herausgestellt, dass unser Verfahren sich in abgewandelter und erweiterter Form hervorragend zur Detektion von Krebs-spezifischen DNA-Sequenzen eignet." Auch für die Leistungsdiagnostik und vieles andere bringe eine detaillierte Analyse der frei im Blut zirkulierenden DNA großen Nutzen. "Wir werden bald in der Lage sein, diese DNA ihrem Ursprungsorgan zuzuordnen."

Einen Schatz heben

"Wir wollen die allgemeine Fitness steigern und darüber zum Gesunderhalt der Bevölkerung beitragen. Bei den 50-Jährigen etwa machen wir gewaltige Unterschiede aus: Der eine übersäuert schon auf dem Weg zum Kaffeeautomaten, der andere geht jeden Abend im Wald laufen. Entsprechend unterschiedlich steht es auch um das individuelle Risiko für Erkrankungen. Wie steuern wir alle gesund in ein hohes Alter? Das ist eine der großen Fragen. Was wir in den letzten 50, 60 Jahren im sportmedizinischen Bereich entwickelt haben, ist von ungeheurem Wert für die Volksgesundheit. Das ist ein riesiger Schatz." Diesen Schatz gilt es zu heben.

Simon hat sich endgültig aus der Anti-Doping-Forschung verabschiedet. Wird er damit womöglich auch aus den Schlagzeilen und Talkrunden verschwinden? Er lächelt. "Gerade haben wir ein Fernsehteam im Haus", erzählt er. "Es geht um den Erhalt von Fitness ..."