"Ist das überhaupt Wissenschaft?"

10. Juli 2012

Große Bögen schlagen kann Prof. Dr. Friedemann Schrenk, der 13. Inhaber der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur. Das bewies der Paläoanthropologe zum Abschluss seiner Vorlesungsreihe "Out of Africa" ein weiteres Mal. Von fossilen Zähnen über rassistische Denker und genetische Erkenntnisse führte sein Weg bis zur Mitgliederwerbung für die Freunde der Universität Mainz.

Eine Frage begegnete Friedemann Schrenk an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) häufiger: "Ist das überhaupt Wissenschaft, was Sie da machen? Sie erzählen doch immer nur schöne Geschichten." Er lächelt, als er das zitiert, und spart sich eine Verteidigung. Tatsächlich ist es so, dass der Paläoanthropologe beides geschickt verbindet. Die Mainzer haben es erlebt.

Neun Abende unterhielt der Gutenberg-Stiftungsprofessor mit der Vorlesungsreihe "Out of Africa: Zur Globalgeschichte des Homo sapiens" sein Publikum. Da saßen Senioren neben Studenten, Kinder neben Honoratioren. Zum Finale nun richtete Schrenk unter dem Titel "Um-Deutungen – Fossilgeschichte und ihre Rekonstruktionen" noch mal ein paar Schlaglichter auf sein Fach.

Was Zähne erzählen können

Zum Finden von Fossilien empfiehlt der Forscher Google Earth. "Früher gab es nur superteure Satellitenbilder", erinnert er sich. Jetzt nutzt er das Netz, um Orte zu finden, wo Sedimente aus dem Boden wittern. Dies sind potenzielle Fundstellen. Schrenk selbst entdeckte vor 15 Jahren vor laufender Kamera an einem solchen Ort einen fossilen Zahn. Er war nach Afrika gekommen, um einen Film zu drehen über die Paläoanthropologin Meave Leakey. Einen Ausschnitt hat Schrenk mitgebracht. Leakey zeigt sich dort begeistert vom Fund. "Daran sehen Sie, dass nichts gestellt ist. Das hätte sie nie für einen Film getan."

Von diesem Zahn eines Vormenschen führt Schrenk rasant über weitere Zahnfunde zu einem Gemeinschaftsprojekt mit Wissenschaftlern vom Geographischen Institut der JGU: "Wenn die globale Temperatur sich ändert, ändert sich auch das Isotopenverhältnis im Wasser." Es wird davon beeinflusst, wie viel Wasser als Eis an den Polen gebunden ist. Im Zahnschmelz lagern sich diese Isotope an, und fossile Zähne von Flusspferden bergen so Informationen über das Klima vergangener Epochen. "Es gibt Kollegen in Mainz, die sind grandios darin, das rauszulesen. Finden Sie das toll? Ich finde das toll."

Was die Menschen unterscheidet

Weniger toll findet Schrenk, wie lange der Rassismus Einfluss auf die Sicht von Fossilien nahm. Auch dieses Thema schneidet er zum Abschluss noch mal an. Carl von Linné teilte in seiner Schrift Systema Naturae die Menschen in Rassen ein. Schrenk zitiert aus der zweiten Auflage von 1758: Der Amerikaner sei "errötend, cholerisch, von Gebräuchen regiert." Der Asiate "grausam, habsüchtig, von Ansichten und Meinungen regiert." Der Afrikaner "matt, träge, gleichgültig, von Willkür regiert." Dagegen strahlt der Europäer: "Augen himmelblau, scharfsinnig, erfinderisch, vom Gesetz regiert."

"Sie lachen, aber das ist der Beginn der Zuordnung von sozialen zu biologischen Einteilungen", sagt Schrenk. Einzig der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz habe im 17. Jahrhundert begriffen: "Rassen gehen auf klimatische Verhältnisse zurück." Der Kommentar des Stiftungsprofessors: "Die nächsten 300 Jahre hätte man sich sparen können."

Was die Genetik dazu sagt

Tat man aber nicht. Ob Georges Cuvier, Paul Broca oder Ernst Haeckel – sie alle glaubten früher oder später, gravierende rassische Unterschiede zu erkennen. Ergänzend zeigt Schrenk Bilder von Kolonialausstellungen und Völkerschauen: 1885 lehrten in London "Male and Female Australian Cannibals" die Besucher das Fürchten, "50 Wilde Kongoweiber" gab es 1913 in Berlin zu bestaunen. "Das alles geschah immer vor dem Hintergrund: Wer ist der Überlegene, wer der Unterlegene?" Der Afrikaner galt als niedrigste Stufe des Menschen, ganz oben stand der Europäer.

"Was sagt die moderne Genetik dazu?", fragt Schrenk – und gibt gleich die Antworten: Schimpansen zeigen untereinander eine zehnfach höhere genetische Vielfalt als der Mensch. Und die genetische Variabilität innerhalb einer menschlichen Population liegt mit neunzig Prozent viel höher als die Variabilität zwischen den Populationen zweier Kontinente. Da sind es gerade mal zehn Prozent. "Genetische Unterschiede zwischen Rassen gibt es nicht, also wurde der Begriff Rasse abgeschafft."

Was aus Afrika kam

Der Homo sapiens ist aus wenigen tausend Individuen hervorgegangen und hat sich von Afrika aus über den Globus verteilt. Alle wichtigen Erfindungen wurden in Afrika gemacht, ob Fischfang, Bergbau oder Malerei. Sie zogen mit den Migranten auf die anderen Kontinente.

Wieder ein Sprung, Schrenk zeigt eine Weltkarte der Gegenwart: "Heute werden globale Migrationen sehr stark unterbunden." Die Wohlstandsregionen schotten sich ab. Das ist auch für den Paläoanthropologen ein Problem. "Die Forschung, die wir betreiben, findet nicht in den Wohlstandsregionen statt." Karonga in Nordmalawi ist der Ort, an dem Schrenk seine wichtigsten Funde machte, aber auch ein Ort, mit dessen Menschen er sich verbunden fühlt. Hier unterstützte er die Initiative der malawischen Bevölkerung, ein Museum zu gründen. Hier entstanden über die Jahre mehr und mehr Bildungseinrichtungen.

Was die Mainzer tun können

"Ihr Engagement ist gefragt", wirbt Schrenk für die Organisation Uraha, die das alles auf den Weg brachte. Dann springt er ein letztes Mal und erinnert an die Freunde der Universität Mainz, den Verein, der im Jahr 2000 die Stiftungsprofessur ins Leben rief. "Auch da ist Ihr Engagement gefragt."

989 Mitglieder zählen die Freunde. An diesem letzten Vortragsabend will auch Schrenk beitreten. "Ich mach' das aber nur, wenn noch zehn Leute dazukommen. Jeder, der kommt, kriegt von mir ein signiertes Buch dazu." Und sie kommen. Schrenk zählt mit: "1.000, 1.001 ..."

Der 13. Inhaber der Stiftungsprofessur verabschiedet sich mit den Worten: "Wenn Sie noch irgendwas wissen wollen, können Sie mir gern eine E-Mail schreiben." Dann geht es ans Signieren. Eine Schlange bildet sich und lässt den Paläoanthropologen so schnell nicht weg aus Mainz.