Künstlerin und Aktivistin wird Professorin

19. November 2018

Die renommierte iranische Künstlerin Parastou Forouhar wird im kommenden Jahr im Rahmen eines Fellowships des Gutenberg Forschungskollegs der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) eine fünfjährige Professur an der Kunsthochschule Mainz antreten. Zuvor gestaltete sie den städtischen Ausstellungsraum "apotheke" zu einem kalligraphischen Rundum-Kunstwerk.

Das Weiß der Wände, die Decke, der Boden, eine einzelne schlanke Säule, alles ist bedeckt mit arabischen Schriftzeichen – und mittendrin steht die Künstlerin: Parastou Forouhar hat über Wochen immer wieder in der "apotheke" gearbeitet. Der Ausstellungsraum der Kunsthochschule Mainz hat sich in dieser Zeit grundlegend verändert. In den letzten drei Tagen war die gebürtige Iranerin noch einmal sehr intensiv bei der Sache, und die Passanten konnten sie durch das weite Schaufenster beobachten, das den Raum zur Straße hin öffnet. "Die Arbeit spricht viele an", meint Forouhar. "Menschen aus ganz verschiedenen Regionen bleiben stehen und schauen mir zu."

An diesem Abend zieht das Kunstwerk noch mal besonders die Blicke auf sich. Vor dem Apothekenfenster sammeln sich die Neugierigen, während drinnen letzte Vorbereitungen für die Vernissage getroffen werden. Manche wagen sich spontan in den Raum. Eine junge Syrerin meint in den Buchstaben das Wort "Liebe" entziffern zu können. Ein junges Ehepaar schiebt seinen Kinderwagen mit dem schlafenden Sohn über die kalligraphischen Zeichen. Die drei stammen wie Forouhar aus dem Iran: "Dies hier bedeutet uns ungeheuer viel", sagt der Mann, nachdem er sich etwas orientiert hat. "Das ist unsere Kunst, unsere Kultur."

GFK-Fellowship für Forouhar

Der "Schriftraum" zeigt Wirkung. Mit ihm stellt sich Forouhar dem Mainzer Publikum vor. Die renommierte Künstlerin konnte über das Fellowship-Programm des Gutenberg Forschungskollegs (GFK) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) für eine fünfjährige Gastprofessur an der Kunsthochschule Mainz gewonnen werden. Dort wird sie eine Klasse für Freie Bildende Kunst leiten. Dieses außerordentliche Lehrangebot soll sich vor allem dem transkulturellen Dialog widmen. Auf diesem Gebiet möchte Forouhar mit ihrer "Gutenberg Research College Class" wichtige Impulse aussenden.

Doch nun geht es erst einmal um den Schriftraum. "Die Arbeit hat viel mit Rhythmus zu tun", erklärt die Künstlerin, während sie auf die Schriftzeichen deutet, die sich, verbunden durch kräftige Striche, immer wieder zu Wolken aus elegant geschwungenen Linien und Punkten ballen. "Es ist das Schriftbild des Nahen Ostens, das so viele arabische Länder nutzen. Ich habe es von der Funktion befreit. Es ist nicht lesbar, höchstens einzelne Buchstaben und Silben sind zu erkennen. Diese Befreiung bedeutet Verlust und Gewinn zu gleich."

So entsteht nicht nur für den von westlichen Sehweisen geprägten Betrachter etwas Exotisches. Auch jener Familie aus dem Iran oder der jungen Syrerin gibt die kalligraphische Kunst Rätsel auf. "In diesem Schriftraum entsteht eine besondere Situation", sagt Forouhar. "Er bricht mit der Normalität, er hat mit Fremdheit zu tun, er ist anziehend und irritierend zugleich. Was sagt er?"

Brücke zwischen Sehwelten

Forouhar kam 1991 als alleinerziehende Mutter nach Deutschland. Zuvor hatte sie an der Universität Teheran Kunst studiert, nun schloss sie an der Hochschule für Gestaltung Offenbach ein Graduiertenstudium an. Als Künstlerin erregte sie bald Aufsehen: Sie stellte in der Region aus, und ein erstes Stipendium führte sie ins internationale Künstlerhaus Schloss Balmoral in Bad Ems. Über weitere Stipendien kam sie nach Melbourne und Rom. In der Folge zeigte sie ihre Werke in Berlin und München, London und New York, Teheran und Istanbul. Längst gilt sie als eine der wichtigsten Stimmen der iranischen Gegenwartskunst.

Doch auch als Kritikerin des iranischen Regimes verschafft sich die Künstlerin Gehör. 1998 wurden ihre Eltern als führende Oppositionelle vom iranischen Geheimdienst ermordet. Forouhar selbst wurde jüngst vom iranischen Revolutionsgericht wegen Blasphemie und Propaganda zu sechs Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Dennoch fährt sie immer wieder in das Land ihrer Geburt und erhebt kritisch ihre Stimme. "Die Trennung zwischen politischem Aktivismus und Kunst mache ich nicht in meiner Person", meint sie kategorisch. "Ich mag keine Schubladen."

Dr. Martin Henatsch, Rektor der Kunsthochschule Mainz, freut sich sowohl über das Kunstwerk im Ausstellungsraum "apotheke" als auch über diese außergewöhnliche Professorin, die dank der Finanzierung durch das GFK im Sommersemester ihre Mainzer Klasse eröffnen wird. "In der 'Gutenberg Research College Class' wird sich all ihr Leben und Werk bündeln", so Henatsch. Die künstlerische Klasse solle Brücken bauen zwischen den Sehwelten der Kulturen des Islam und des zentraleuropäisch-nordamerikanischen Kunstraums. Hier mangele es immer noch an einem vorbehaltlosen, nicht hierarchisch wertenden Blickwechsel.

Ausstellungsraum "apotheke"

Die "apotheke" eigne sich in besonderer Weise, Forouhar vorzustellen. "Es ist ein Raum, der ganz übers Schaufenster funktioniert", erklärt Henatsch. "Damit wirkt er sehr niedrigschwellig. Sie sehen ja, wie viele Menschen diesmal stehen bleiben. Einen solchen Raum zu finden war eine der ersten Aufgaben, der ich mich als Rektor gestellt habe: einen Ort mitten in der Stadt, mitten im Leben, wo wir die Menschen abholen."

Tatsächlich erregt das ehemalige Ladenlokal immer wieder Aufsehen: Zur Eröffnung der "apotheke" vor rund einem Jahr präsentierte sich die Kanadierin Shannon Bool mit der Ausstellung "Entrata Reale" als neue Professorin. Es folgte der Hochschul-Alumnus Mario Hergueta mit "F 4 FAKE". Künstlergespräche ergänzen das Angebot. Daneben nutzen Studierende den Raum. "Gerade für sie ist es eine Herausforderung, hier zu bestehen", sagt Henatsch. Der Mietvertrag für die "apotheke" läuft bis zum kommenden Sommer. "Ich gehe aber davon aus, dass wir spätestens bis dahin bewiesen haben, wie erfolgreich wir sind, und dass unser Vertrag verlängert wird. Ich möchte die 'apotheke' nach dem Vorbild des Portikus etablieren: Was er für Frankfurt ist, soll die 'apotheke' für Mainz sein."

Forouhar zeigt mit ihrem "Schriftraum", wie Kunst selbst im Vorübergehen wirken kann. Die Mens
chen drücken sich die Nasen platt am Fenster, während drinnen Prof. Dr. Georg Krausch die zukünftige Professorin begrüßt: Der JGU-Präsident stellt die Rolle des GFK als Förderer exzellenter Forschung heraus, er bekräftigt die Verbundenheit der Universität mit ihrer Kunsthochschule, bevor er sich dem Raum zuwendet und sich umschaut: "Zugegeben, ich als Physiker bin kein Fachmann", räumt er ein. "Aber dies ist ein sehr eindrucksvolles Kunstwerk."