Apotheke lädt zum Rollenspiel

20. Februar 2014

In der Trainingsapotheke am Institut für Pharmazie und Biochemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) üben Studierende den Umgang mit Kunden. Hier steht der Praxisbezug ganz im Vordergrund. Die angehenden Apothekerinnen und Apotheker sollen lernen, wie es später sein wird im Berufsleben.

Alles sieht ungeheuer echt aus: der Tresen mit dem Kassencomputer, die Regale voller Medikamentenschachteln, der nett lächelnde Herr im weißen Kittel. "Als wir das hier aufgebaut haben, sind tatsächlich Kollegen gekommen, die etwas bei uns kaufen wollten", erzählt Dr. Bettina Zeiter lächelnd. "Sie dachten, wir eröffnen eine echte Apotheke."

Aber genauso soll es ja auch sein. In der Trainingsapotheke der Klinischen Pharmazie sollen Studierende ein Gefühl für ihren späteren Berufsalltag bekommen. Hier inszeniert Zeiter gemeinsam mit Doktorandinnen und Doktoranden Beratungs- und Verkaufsgespräche, wie sie Tag für Tag in einer Apotheke stattfinden.

Inszenierte Kundengespräche

Ein junger Mann kommt mit Nagelpilz. Was soll er tun? Reicht ein Lack oder ist der Nagel schon zu sehr zerfressen? Eine ältere Dame lässt ihren Blutdruck messen, ihren Blutzuckerspiegel lässt sie gleich mit überprüfen. Eine Schwangere hustet sich die Seele aus dem Leib. Sie wird diese Erkältung einfach nicht los. Aber ist es noch eine Erkältung? Kann der Apotheker ihr etwas Passendes empfehlen? Was muss er beachten bei der Schwangeren? Geht sie vielleicht doch besser zum Arzt?

"Klar haben unsere Studierenden am Anfang eine Hemmschwelle, das alles durchzuspielen", erzählt Zeiter. Die Fachapothekerin für Klinische Pharmazie ist verantwortlich für die Kurse in der Trainingsapotheke der JGU. "Aber die Zurückhaltung legt sich schnell." Das Konzept hat sich bewährt. "Das hier ist praktisches Lernen. Bevor es diese Apotheke gab, hatten wir in unserem Fach nur Vorlesungen."

Innovatives Lehrprojekt

Die Klinische Pharmazie ist ein recht junges Fach. Im Jahr 2000 wurde sie zum Prüfungsfach in der Pharmazie. Sie setzt auf Praxisorientierung. Der Kundenkontakt und die Medikamentenkunde stehen im Vordergrund. Da liegt die Einrichtung einer solchen Trainingsapotheke eigentlich nahe.

"Trotzdem haben nur ganz wenige deutsche Universitäten eine", sagt Zeiter. 2010 stellte Irene Krämer, Professorin für Klinische Pharmazie am Institut für Pharmazie der JGU und Direktorin der Apotheke an der Universitätsmedizin Mainz, zusammen mit ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Marion Eberlin die Idee von der Trainingsapotheke vor.

Das Gutenberg Lehrkolleg (GLK) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz förderte daraufhin dieses innovative Lehrprojekt. Diverse Sponsoren lieferten die Einrichtung. Alles könnte genauso in einer echten Apotheke stehen. Nur die Medikamentenschachteln wiegen etwas zu leicht: Sie sind leer.

Spickzettel am Bildschirm

Zeiter stellt sich hinter den Kassencomputer. Er ist das technische Herzstück der Apotheke. Eine kleine graue Karte klebt unauffällig neben dem Bildschirm. "Das finden Sie eigentlich in jeder Apotheke", erklärt sie. Auf dem Merkzettel stehen die zentralen Fragen für ein Beratungsgespräch. Es beginnt mit: "Wer ist betroffen? Welche Beschwerden? Wie häufig treten die Beschwerden auf?"

"Am Anfang stürmt sehr viel auf die Studierenden ein. Da sind die vielen Medikamente, über die sie Bescheid wissen sollten, und dann sind da die Kunden, die schnell Hilfe haben wollen." Manchmal sind es komplizierte Fälle, manchmal sind die Kunden selbst schwierig, dafür sorgt Zeiter auch in den Rollenspielen. "Da hilft so ein Zettel schon."

Eine weitere Hilfe bietet ein spezielles Computerprogramm für Apotheken. Zeiter scannt eine Packung Aspirin ein. Sofort erscheint auf dem Bildschirm, bei welcher Art Erkrankung das Medikament zu empfehlen ist oder mit welchen anderen Medikamenten es in Wechselwirkung treten könnte. "Wenn hier etwas rot angezeigt wird, ist das absolut kontraindiziert." Wer etwa blutverdünnende Mittel nimmt, darf auf keinen Fall Aspirin schlucken. "Darauf müssen wir unbedingt hinweisen." Das Programm lässt sich wie eine Checkliste durchspielen. Es geht um Allergien, um Einnahme bei Schwangerschaft und um einiges mehr.

Extra Kommunikationstraining

Doch das ist nur die eine Seite. "Ganz wichtig ist die Kommunikation mit dem Kunden. Dafür bieten wir ein spezielles Training an. Überhaupt geht die Tendenz dahin, dass Apotheker mehr beraten." Zeiter weiß, wovon sie spricht. Sie selbst arbeitet nicht nur am Pharmazeutischen Institut der JGU, sondern auch in einer echten Apotheke. "Wäre das nicht der Fall, würde ich schnell den Kontakt zur Praxis verlieren."

Im sechsten Semester kommen die Studierenden zum Seminar in die Trainingsapotheke. In kleinen Gruppen spielen sie Kundengespräche durch. Zudem absolvieren sie ein "Virtuelles Praktikum": Sie suchen sich ein Themengebiet zur Apotheke heraus, bearbeiten es und laden die Ergebnisse auf die Homepage der Klinischen Pharmazie. Wieder entsteht eine Art Merkzettel. "Im Seminar besprechen wir dann, ob alles übersichtlich und klar genug gelungen ist."

Aufwendiges Projekt

Seit zwei Jahren leitet Zeiter nun die Trainingsapotheke. "Das ist viel Aufwand", stellt sie fest. "Während des Semesters habe ich kaum für anderes Zeit. Die Gespräche müssen konzipiert, Seminarstunden vor- und nachbereitet werden – und dann gibt es noch viele Kleinigkeiten: Sie müssen zum Beispiel aufpassen, dass die Medikamentenpackungen auf dem neuesten Stand sind."

Trotz des Aufwands lohnt sich das Projekt. Die Rückmeldungen der Studierenden sind sehr positiv. Leider sind Trainingsapotheken immer noch selten. "Die Frankfurter überlegen gerade, ob sie eine einrichten", erzählt Zeiter. "Sie haben sich unser Projekt schon angeschaut."

Sie macht also langsam Schule, die Apotheke am Institut für Pharmazie. Denn auch, wenn es nichts zu kaufen gibt: Lernen können die Studierenden hier viel für ihr späteres Berufsleben.