Auf dem Weg zur modernen Demokratie – die Mainzer Republik

29. Oktober 2020

Das Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. (IGL) und das Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz Mainz zeigen in der Schule des Sehens eine Wanderausstellung zur Mainzer Republik. Damit porträtieren sie einen der frühesten Demokratieversuche auf deutschem Boden, der in der Öffentlichkeit bisher kaum die verdiente Aufmerksamkeit fand.

Es ist die erste Abbildung eines frei gewählten deutschen Parlamentariers. "Wir sind ein wenig stolz auf dieses Dokument", meint Sarah Traub vom Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. "Es handelt sich um das bislang einzige Bild eines Abgeordneten des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents. Wir haben es überhaupt erst bei den Recherchen zu unserer Ausstellung entdeckt und können noch gar nicht sagen, wer hier genau gezeigt wird. Immerhin wissen wir, dass die Illustration zwischen 1793 und 1795 entstanden ist. Wir werden weiter nachforschen."

Ein zeitgenössischer Text aus der Frankfurter Kayserlichen Reichs-Ober-Post-Amtszeitung beschreibt näher, was zu sehen ist: "Die Clubisten in Mainz zeichnen sich durch eine besondere Tracht aus. Sie tragen runde abgeschnittene Haare ohne Puder, einen Schnurrbart, und einen Bart zwischen den Lefzen und dem Kinn, einen blauen Rok, und über demselben eine breite dreyfarbige Schärpe, die von der rechten Schulter auf die linke Seite geht, und an welcher ein breiter Säbel hängt."

Historische Themen für die breite Öffentlichkeit

Für die Ausstellung "Auf dem Weg zur modernen Demokratie – die Mainzer Republik" haben Traub und ihr Historiker-Kollege Hans Berkessel, Vorsitzender der Stiftung Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz Mainz, eine ganze Reihe von Dokumenten zusammengetragen, die nun mit einigen begleitenden Texten in der Schule des Sehens auf dem Campus der JGU zu sehen sind: Auf sieben großen Schautafeln werden Vorgeschichte, Verlauf und Rezeption einer kurzlebigen Demokratie skizziert.

"Wir hätten natürlich noch viel mehr zeigen und schreiben können", sagt Traub. "Aber am IGL sehen wir unsere Aufgabe vor allem darin, die breite Öffentlichkeit für historische Themen zu interessieren, und das erreichen wir nicht durch wissenschaftliche Publikationen allein, die am Ende nur von wenigen Fachleuten gelesen werden."

Es begann 1792: Die französischen Revolutionstruppen unter General Adam-Philippe de Custine standen vor Mainz. Die Festungsanlagen waren hoffnungslos unterbesetzt, also kapitulierte die Stadt am 21. Oktober 1792 kampflos. Ein Kupferstich zeigt die Flucht des Adels vor dem anrückenden Feind, der sich allerdings in der Folge alles andere als feindselig verhielt. Mit den Truppen hielten die Werte der Französischen Revolution Einzug: Die Pfälzer und die Rheinhessen sahen sich konfrontiert mit einem "völlig neuen Verständnis für Menschen- und Bürgerrechte, eine[r] bürgerliche[n] Gesetzgebung und bürgerliche[n] Freiheiten", so der Ausstellungstext. Die Soldaten wurden einquartiert. "Es wohnte mehr Militär als einheimische Zivilbevölkerung in Mainz", meint Traub. Gastwirte und Lebensmittelmärkte verbuchten Rekordumsätze, Luxusgüter allerdings waren entschieden weniger gefragt.

Erstes demokratisch legitimiertes Parlament Deutschlands

"Ursprünglich wollten die Franzosen die Mainzer selbst über ihren Weg entscheiden lassen, natürlich immer in der Annahme, dass sie sich für die Demokratie begeistern würden", erzählt Traub. "Als allerdings die preußisch-österreichischen Truppen immer mehr Gebiete zurückeroberten, begannen die Franzosen zu drängen." Sie verordneten Wahlen. Alle freien Männer ab 21 waren stimmberechtigt, allerdings mit einem Haken: Sie mussten sich zu den Idealen Freiheit und Gleichheit bekennen. "Trotz der Einschränkung waren solche Volkswahlen etwas vollkommen Neues in Deutschland. Der Umschwung war gewaltig: In einem Jahr hatte der Kurfürst alles bestimmt und Politik fand ausschließlich bei Hofe statt, im nächsten sollten die Menschen alles selbst bestimmen."

Am 17. März 1793 trat in Mainz das erste nach demokratischen Grundsätzen gewählte Parlament Deutschlands zusammen. Das Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent erließ ein Dekret, in dessen erstem Artikel es verkündete, dass "der ganze Strich Landes von Landau bis Bingen, welcher Deputierte zu diesem Konvente schickt, von jetzt an einen freyen, unabhängigen, unzertrennlichen Staat ausmache, der gemeinschaftlichen, auf Freiheit und Gleichheit gegründeten Gesetzen gehorcht."

Doch noch im Sommer desselben Jahres machte die Belagerung von Mainz durch Koalitionstruppen der Republik den Garaus. Die Stadt wurde massiv bombardiert, während sich aus dem Umland Schaulustige einfanden, darunter auch Johann Wolfgang von Goethe, der später von den Vorgängen berichtete. Eine zeitgenössische Illustration dokumentiert, wie revolutionär Gesinnte niedergeprügelt wurden. Viele gerieten in Festungshaft, darunter auch die Frauen einiger Abgeordneter.

Rezeptionsgeschichte von politischen Grabenkämpfen geprägt

"Rheinland-Pfalz ist einer der Hotspots für frühe Beispiele der Demokratie auf deutschem Boden", meint Traub, "und die Mainzer Republik ist noch mal ganz besonders spannend – nicht zuletzt auch wegen ihrer Rezeptionsgeschichte: Erst in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren hat man sich losgelöst von politischen Grabenkämpfen damit beschäftigt." Bis zum Zweiten Weltkrieg schien es unerhört, dass ausgerechnet der Erbfeind Frankreich die Demokratie in deutsche Lande importiert haben sollte, und danach beschäftigte sich die DDR-Historiografie stark mit dem Thema, was es wiederum Historikerinnen und Historikern aus dem Westen erschwerte, nüchtern zu urteilen.

Auch diese Details spiegeln sich in der Ausstellung: Der West-Historiker Hermann Weber stand gegen den Ost-Historiker Heinrich Scheel. "Sie stritten sich sogar auf einer Podiumsdiskussion in Mainz", sagt Traub. Webers Doktorand Franz Dumont kam dann mehr und mehr zu einer vorurteilsfreieren Sicht auf die Mainzer Republik. Seine Forschung setzte Maßstäbe.

Das alles hätten die Mainzer bereits einige Monate früher erfahren sollen: Die Eröffnung der Ausstellung war ursprünglich für März geplant. Gastgeber sollte das "Haus des Erinnerns" in der Innenstadt sein. "Dann kam Corona dazwischen und unsere Schautafeln lagen erst einmal im Keller. Das Haus war einfach zu klein, um sie unter diesen besonderen Bedingungen zu zeigen. Wir suchten eine neue Heimat und fanden die Schule des Sehens auf dem Campus." Hier bietet eine breite Fensterfront ideale Bedingungen in Zeiten der Kontaktbeschränkungen: Alles Material ist von außen zu besichtigen, nebst einigen Schautafeln zu einem weit
eren Aspekt früher Demokratie, einer kurzen Geschichte des Freiheitsbaums.

Wanderausstellung bis 15. Januar 2020 auf dem Campus

"Unsere Ausstellungen sind meist als Wanderausstellungen konzipiert", erklärt Traub. "Das IGL ist regelmäßig auf dem Wissenschaftsmarkt oder auf dem Rheinland-Pfalz-Tag zu Gast. Wir gehen gern auch in Schulen. Wir wollen durch unsere Aktivitäten Geschichte unter die Bevölkerung bringen. Dabei möchten wir auch Menschen erreichen, die sich sonst vielleicht nicht damit beschäftigen – ob über unsere Publikationen, über digitale Projekte wie unser Internet-Portal regionalgeschichte.net oder eben über diese noch relativ neue Ausstellungsreihe zu frühen Beispielen der Demokratie." Nach dem ersten Kapitel zum Freiheitsbaum und dem zweiten zur Mainzer Republik sind weitere Folgen geplant.

"Gerade überlegen wir, wo die Ausstellung als nächstes Station machen soll", sagt Traub. "Grundsätzlich können sich Interessenten gern bei uns melden." Bis zum 15. Januar 2020 ist die Mainzer Republik nun erst einmal auf dem Campus zu Gast. Sie lässt sich jederzeit rund um die Uhr besuchen. "Selbst nachts wird sie gut ausgeleuchtet", verspricht Traub. Wer also mag, kann vorbeischauen – einfach so.