Bahnbrechende Messungen im Weltraum

17. Februar 2017

Mit dem Flug der Höhenforschungsrakete MAIUS 1 ist es Physikerinnen und Physikern erstmals gelungen, ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat im Weltraum zu erzeugen. Damit wollen sie in Zukunft das Gravitationsfeld der Erde genauer vermessen und vor allem das Einstein'sche Äquivalenzprinzip einem präziseren Test unterziehen. Seitens der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist die Forschungsgruppe Experimentelle Quantenoptik und Quanteninformation maßgeblich an dem Projekt beteiligt.

Es war ein großes Aufatmen, als die Höhenforschungsrakete MAIUS 1 endlich starten konnte. Am 23. Januar 2017 um 3:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit war es so weit: Die zwölf Meter lange Rakete donnerte in den Himmel. Dr. André Wenzlawski war einer von zwölf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die den Start vor Ort im Kontrollzentrum des schwedischen Weltraumbahnhofs Esrange miterleben konnten. Mittlerweile ist er zurück in Mainz. Beim Gespräch am Institut für Physik auf dem Gutenberg-Campus meint er sichtlich erleichtert: "Alles ist gut, wir sind tatsächlich geflogen."

Gerade mal 15 Minuten lagen zwischen Start und Landung von MAIUS 1. Das klingt nicht viel. Doch die Zeit reichte, um Bahnbrechendes zu erreichen. "Wir haben die Grundlagen einer Technik, die mit ultrakalten Quantengasen das Gravitationsfeld der Erde vom Weltraum aus vermessen und das Einstein'sche Äquivalenzprinzip genauer testen soll, demonstriert." Tatsächlich ist das mit dem Flug der Forschungsrakete gelungen. "Wir haben demonstriert, dass unsere Technologie funktioniert. Wir sind rundum zufrieden."

Verbundprojekt mit vielen Spezialisten

Wenzlawski gehört zu Prof. Dr. Patrick Windpassingers Forschungsgruppe Experimentelle Quantenoptik und Quanteninformation, kurz QOQI, am Institut für Physik der JGU. 2013 wechselte Windpassinger von der Universität Hamburg nach Mainz, Wenzlawski kam zwei Jahre nach. "Professor Windpassinger hat MAIUS 1 quasi mitgebracht."

MAIUS 1 ist ein Verbundprojekt, an dem viele Partner beteiligt sind. Neben der JGU sind die Universitäten in Hannover, Bremen, Hamburg und UIm, die Humboldt-Universität zu Berlin, das Ferdinand-Braun-Institut, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH) in Berlin, die Technische Universität Darmstadt und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit im Boot.

"Wir brauchten Spezialisten auf relativ vielen Gebieten", erklärt Wenzlawski. Bei anderen Projekten greift man gern auf bereits Vorhandenes zurück und fügt nur ein Modul mit einem speziellen Experiment hinzu. "Bei uns war das anders. Wir haben alles neu entwickelt: die Vakuumkammer, die Vorrichtung, mit der wir ein Magnetfeld erzeugen, das Lasersystem, die Steuerelektronik …"

Beim Verfahren der Atominterferometrie nutzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Welleneigenschaften von Atomen, um Messungen durchzuführen. Im Fall von MAIUS 1 stellten sie ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat aus Rubidium-Atomen her. Die Atome in diesem Kondensat haben eine Temperatur von knapp über dem absoluten Nullpunkt. Dadurch sind sie relativ gut zu kontrollieren und zu beobachten.

Hundertfach genauer messen

"Wir erzeugen in unserem Experiment eine Wolke von etwa 100.000 Atomen. Die beleuchten wir mit einem Laserstrahl, der von den Atomen absorbiert wird. Wir machen ein Foto davon und schauen uns dann den Schattenwurf der Atome an."

Auf der Erde wurden solche Messungen bereits mehrfach durchgeführt, im Weltraum allerdings hatte es bisher noch niemand geschafft. "Wichtig ist für uns die Frage, wie lange wir die Atome beobachten können", erläutert Wenzlawski. "Am Boden wirkt die Erdanziehung auf sie. Die Atome fallen schlicht runter. Dadurch sind wir typischerweise auf ein paar hundert Millisekunden beschränkt. Im Weltraum haben wir dagegen mehrere Sekunden Zeit. Da die Genauigkeit der Messungen mit dem Quadrat ansteigt, würde schon eine um den Faktor zehn längere Beobachtungszeit zu einer hundertmal genaueren Messung führen."

So ließe sich zum Beispiel das Gravitationsfeld der Erde hundertmal genauer vermessen. Zudem ließe sich das Einstein'sche Äquivalenzprinzip, das besagt, dass Objekte im gleichen Gravitationsfeld gleich schnell fallen, genauer überprüfen. "Das Äquivalenzprinzip ist ein Teil der allgemeinen Relativitätstheorie, eine der Standardtheorien, mit der wir die Welt heute beschreiben." Dieses Standardmodell geht von vier Elementarkräften aus, die die Wissenschaft gern in einer Formel vereinen würde. Bisher ist das nicht möglich. Die Messungen könnten ein Stück weiter in diese Richtung führen.

"Wir wollten mit MAIUS 1 beweisen, dass wir prinzipiell imstande sind, so etwas im Weltraum durchzuführen." Auf der Erde werden die Messungen üblicherweise in einem Labor vorgenommen. "Es hat typischerweise etwa die Größe hier", meint Wenzlawski mit Blick auf den Seminarraum, in dem etwa 50 Studierende problemlos Platz finden. In der Rakete jedoch war entschieden weniger Raum: Die Nutzlast durfte 2,80 Meter der Raketenlänge einnehmen, bei einem Durchmesser von 50 Zentimetern.

Rentiere und andere Herausforderungen

Also musste alles kleiner und zudem robuster für den Flug werden. Windpassingers Gruppe konzentrierte sich auf das Lasersystem. "Das Licht wird normalerweise durch optische Fasern geführt. Um das Licht in die Fasern koppeln zu können, muss der Lichtstrahl mit einer Genauigkeit im Bereich von einem Mikrometer positioniert werden, ein Bereich, in dem schon geringe Temperaturveränderungen eine Rolle spielen", erklärt Wenzlawski einen Aspekt. "Schon bei ein, zwei Grad Erwärmung muss typischerweise alles neu justiert werden." Eine Erwärmung ließ sich nicht vermeiden in der Rakete, also musste ein spezielles Material her. "Wir nutzen die Glaskeramik Zerodur, die sich bei Temperaturveränderung nicht ausdehnt."

Seit 2006 tasten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Schritt für Schritt vor, um letztendlich wissenschaftlich verwertbare Messungen im Weltraum durchzuführen. Zuerst erprobten sie ihre Technik im Fallturm in Bremen, dann auf den Raketen TEXUS 51 und TEXUS 53 und nun mit MAIUS 1 im Weltraum.

"Wir hatten uns im Oktober 2016 in Schweden getroffen, um den Start von MAIUS vorzubereiten", erinnert sich Wenzlawski. Zwei Monate ackerten die Teams und stimmten alle Komponenten aufeinander ab. "Eine Woche verbrachten wir in der Polarnacht, das zehrte zusätzlich an den Nerven." Und dann musste der Flug verschoben werden: In der designierten Landezone tauchten Hirten mit ihren Rentieren auf, die natürlich nicht gefährdet werden durften. Also brachen die Forscherinnen und Forscher ab.

Optimaler Verlauf der MAIUS-1-Mission

Anfang 2017 traf sich die Forscherkollaboration erneut – und am 23. Januar war es dann so weit: MAIUS 1 konnte endlich starten. Nach 15 Minuten Flug mit rund 100 Experimentierdurchgängen schwebte der Behälter mit der Nutzlast an Fallschirmen hinab auf schwedischen Boden. "Uns ist eines der technisch aufwendigsten Experimente gelungen, die jemals mit einer Rakete durchgeführt wurden", betont Wenzlawski.

Und es geht weiter: 2020 und 2021 sollen MAIUS 2 und 3 starten, um weitere Aspekte zu erproben. Zudem hoffen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass ihr Experiment einen Platz auf der internationalen Raumstation ISS bekommt.

"Damit bekämen wir die große Chance, Experimente erstmals in einer dauerhaften Schwerelosigkeitsumgebung durchzuführen", meint Wenzlawski. "Aber selbst das wäre noch nicht die ideale Umgebung. Auf der ISS gibt es Vibrationen, die unsere Messungen beeinträchtigen können. Am besten wäre ein Satellit." Doch das ist Zukunftsmusik. Jetzt freut sich das Team um Windpassinger erst mal, dass die MAIUS-1-Mission so hervorragend lief. Die detaillierte Auswertung steht zwar noch an, "aber unsere Technologie hat funktioniert", freut sich Wenzlawski.