Begegnung mit einem Hai – und die Folgen

5. September 2024

Filmemacher und Fotograf Tom Vierus lebt und arbeitet seit sechs Jahren in Fidschi. An seine erste Begegnung mit einem Hai erinnert er sich noch gut. Wenn er davon erzählt, ist seine Faszination für diese Tiere spürbar: Der drei Meter lange Hammerhai hat sein Leben nachhaltig beeinflusst. Und dass, obwohl er damals als Biologiestudent in Mainz eigentlich das Liebesleben der Fruchtfliegen erforschte. Aber nach dieser Studienfahrt nach Florida im Rahmen seines Bachelorstudiums war klar: Sein Interesse gilt fortan den Haien.

Heute ist Tom Vierus nicht nur Meeresbiologe, sondern bekannter und preisgekrönter Fotojournalist und Filmemacher. Er hat über 40 Länder bereist und lebt im südpazifischen Inselstaat Fidschi, genauer in Suva, der Hauptstadt auf der Hauptinsel Viti Levu.

Wir unterhalten uns über 16.000 Kilometer und zehn Zeitzonen hinweg. In Deutschland beginnt der Vormittag, in Suva ist es bereits dunkel. Neben Tom – er möchte geduzt werden – liegt einer der beiden Straßenhunde, die er vor Jahren aufgenommen hat. "Quasi meine Familie", sagt er. Denn viele Freunde und Verwandte sind weit weg – und der Zeitunterschied macht es schwierig, Kontakt zu halten.


Tom Vierus hat 2023 sein erstes Fotobuch veröffentlicht – über Haie in Fidschi. (Foto©: Tom Vierus)
Tom Vierus hat 2023 sein erstes Fotobuch veröffentlicht – über Haie in Fidschi. (Foto/©: Tom Vierus)

Dass Tom die Fremde nicht scheut, zeigt sich schon zu Schulzeiten. Er wird 1989 in Dresden geboren, nach der Wende zieht die Familie nach Berlin, später aus beruflichen Gründen des Vaters nach Trier. In der Oberstufe führt ihn ein Schüleraustausch nach Südafrika – und dort gefällt es ihm so gut, dass er ein Jahr dort lebt und das Abitur macht. Damit der Abschluss in Deutschland anerkannt wird, muss er ein Jahr das Studienkolleg besuchen – und so kommt er nach Mainz. Hier leistet er seinen Zivildienst und beginnt schließlich 2009 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) mit dem Biologiestudium. "Mainz ist bislang die Stadt, in der ich am längsten gelebt habe – aber nächstes Jahr wird es Suva sein."

Nach der ersten Haibegegnung beim Schnorcheln will Tom tropische Meeresökologie studieren. Um in Bremen einen Masterstudienplatz zu bekommen, bereitet er sich gezielt vor: Mit dem Bachelorabschluss in der Tasche zieht er 2013 für ein wissenschaftliches Tauchpraktikum nach Ägypten. Und dort bleibt er vorerst. "Damals habe ich in bestimmt 120 Tauchgängen alles gelernt, was man braucht." Denn bei wissenschaftlichen Tauchgängen wird nicht nur geschaut, sondern es werden bestimmte Parameter gemessen, wie zum Beispiel Anzahl und Art der Fische, Menge des organischen Materials oder Algenbewuchs auf Korallen.

Tom bekommt den erhofften Studienplatz und zieht nach Bremen. Nach einem Jahr Theorie soll ein Jahr Feldarbeit folgen – und um seinem Ziel, mit Haien zu arbeiten, näher zu kommen, schreibt er Hochschulprofessor*innen in verschiedenen tropischen Ländern an. Als er von der Universität des Südpazifiks eine positive Rückmeldung erhält, startet er eine Crowdfunding-Kampagne, um Geld für seine Studie zu sammeln. Dann ist es endlich soweit: Tom fliegt nach Fidschi und widmet sich der Feldforschung mit Babyhaien.

Vom Autodidakten zum preisgekrönten Wissenschaftsfotograf

Das Fotografieren hatte Tom schon rund 20 Jahren zuvor in Südafrika für sich entdeckt. "Mein Vater schenkte mir vor der Reise eine kleine Kamera." Es war der Beginn seiner autodidaktischen Karriere als Fotograf und Filmemacher. "Später hatte ich erstmal nicht das beste Equipment, aber das fand ich nicht schlimm. Es ging in den ersten Jahren immer darum, möglichst viel zu fotografieren, auch Fehler zu machen und daraus zu lernen" (siehe ↓ Tipps vom Profifotograf ↓). Heute wird er von einem Markenunternehmen gesponsert.


Von Haien ist Fotograf und Filmemacher Tom Vierus seit vielen Jahren fasziniert. (Foto/©: Tom Vierus)
Von Haien ist Fotograf und Filmemacher Tom Vierus seit vielen Jahren fasziniert. (Foto/©: Tom Vierus)

Nach dem Masterabschluss will er zunächst promovieren. Aber dann bekommt er 2016 den Deutschen Preis für Wissenschaftsfotografie für seine Dokumentation über die Kinderstube der Haie. Das Medieninteresse ist groß. "Es gab Berichte und Interviews mit mir und über mich in Zeitungen, Radio- und Fernsehsendungen. Ich hatte die Möglichkeit, über Haie zu sprechen und über die Notwendigkeit, sie zu schützen. Und mir wurde klar, dass ich mit visuellem Storytelling mehr Öffentlichkeit erreiche und damit mehr für den Umweltschutz tun kann als mit wissenschaftlichem Arbeiten." Seine Idee: Er will mit seinen Fotos eine Brücke schlagen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit und so helfen, Projekte und Forschungsergebnisse bekannt zu machen.

Fidschi wird zur neuen Heimat

2018 zieht er mit seiner damaligen Freundin wieder nach Fidschi. "Denn alle großen Natur- und Umweltschutzorganisationen haben dort ihre Standorte." Der Anfang ist mühsam – auch wegen der nötigen Formalitäten. "So freundlich und offen die Menschen dort sind, so umfassend ist die Bürokratie." Aber schließlich bekommt er Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsgenehmigung und beginnt mit klassischem "Klinkenputzen", wie er sagt. Schreibt die Organisationen vor Ort an, stellt sich und seine Arbeit vor. "Bei zehn Anfragen kam vielleicht ein Auftrag zustande." Zusätzlich schreibt und fotografiert er für deutsche Tauchzeitschriften. Monate mit Aufträgen folgen Monate ohne Einkommen. "In den Perioden mit wenig Arbeit habe ich mich schon gefragt, was ich hier eigentlich mache. Aber so sind solche Anfänge halt. Man braucht einen langen Atem."

2019/2020 gründet er dann sein Unternehmen Pacific Media House. Heute ist er auf Fidschi bekannt. Heute fragen die Organisationen bei ihm an, ob er ihre Projekte im Umwelt-, Meeres- oder Klimaschutz dokumentieren kann. Zu seinen namhaftesten Auftraggebern zählen unter anderem der World Wildlife Fund (WWF) und die Wildlife Conservation Society (WCS), aber auch die Vereinten Nationen, das deutsche Zentrum für Tropen-Marineforschung und die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Und er fotografiert für die Tourismusbranche, speziell für Urlaubsresorts oder Tauchsafaribetreiber.


Die Natur unter Wasser hat Tom Vierus immer im Fokus. (Foto/©: Tom Vierus)
Die Natur unter Wasser hat Tom Vierus immer im Fokus. (Foto/©: Tom Vierus)

"Es läuft super. Manchmal habe ich so viel zu tun, dass ich sogar mal einen Auftrag ablehnen muss." Seine Arbeiten werden weltweit in Zeitschriften veröffentlicht, seine Filme auf Filmfestivals gezeigt. Zwischendurch verfolgt er eigene Projekte, hat etwa 2023 sein erstes Fotobuch veröffentlicht – über Haie in Fidschi. Er ist viel unterwegs, vor allem im Südpazifik. Wenn er mal nichts zu tun hat und mit seinen Hunden zuhause "chillen" kann, genießt er diese kurzen Momente wie Urlaub.

Denn seine Arbeit ist abenteuerlich und durchaus anstrengend. Er reist mit großem Gepäck: Oft müssen zwei, drei große Koffer mit mehreren Kameras, Drohnen, Ladegeräten und Tauchausrüstung an abgelegene Orte transportiert werden. Wie neulich, als er in Papua-Neuguinea mehrere Dörfer besuchte, zu denen keine Straßen führen. "Das war faszinierend. In einem Ort war ich der erste Weiße, den die Menschen dort bisher gesehen hatten." Oder als er in ein Blue Hole mitten im Dschungel tauchen sollte (siehe ↓ Tauchen im Blue Hole ↓). Der nächste Auftrag steht auch schon: Es geht in den Regenwald. "Mir ist klar, dass ich diese Arbeit nicht mein ganzes Leben lang machen kann. Aber im Moment ist es das, was ich am liebsten tue."

Positive Botschaften sind Tom Vierus wichtig

Dabei beschäftigt Tom auch der Klimawandel. "Er ist überall spürbar. Mehrfach im Jahr Korallenbleiche, mehr Stürme, zunehmende Küstenerosion, weniger Fische, auch wegen der Überfischung durch den Menschen. Die Welt ist generell nicht auf dem besten Weg", sagt er und fügt sofort hinzu. "Aber ich bleibe trotzdem positiv. Positive Botschaften sind wichtig, ich will nicht in eine pessimistische Starre verfallen." Er werde sich weiter auf die "Gratwanderung" begeben, einerseits die existierenden Schäden zu dokumentieren, andererseits die wunderbaren Orte und die Schönheit der Natur in grandiosen Fotos zu zeigen – als visueller Appell: "Hey, schaut mal, wie schön das ist. Das steht auf dem Spiel, das muss geschützt werden."

Mittlerweile sind es nicht mehr nur Haie, die ihn begeistern, sondern die gesamte Natur und das Leben unter und über Wasser. Und das Abtauchen ins tiefe Blau. Und das Fotografieren. Und das Reisen. So wird er erstmal weitermachen mit dem visuellen Geschichtenerzählen. "Es war die richtige Entscheidung damals – und ich habe noch viel vor."


TIPPS VOM PROFI-FOTOGRAFEN

Was können Laien beim Fotografieren falsch machen? "Ich denke, die größten Fehler sind, zu statisch zu sein und das Ganze zu verkopft anzugehen", sagt Profi Tom Vierus. Sein Tipp: verschiedene Perspektiven ausprobieren, also auch mal von unten nach oben fotografieren, sich auf den Bauch legen oder durch etwas hindurch fotografieren. "Das kann Dynamik in die Fotos bringen und Interesse wecken." Ungewöhnliche Perspektiven seien wertvoll in einer Zeit der Bilderflut. Und noch ein Rat: "Ich finde es extrem wichtig, einfach viel zu fotografieren und damit auch viele schlechte Bilder zu produzieren. Aus Fehlern lernt man und man sammelt Erfahrung. Und wie bei fast allen Dingen im Leben: Je öfter man etwas macht, desto besser wird man darin. Deswegen sage ich angehenden Fotograf*innen: 'Shoot, shoot, shoot. Je mehr, desto besser.'"

 

TAUCHEN IM BLUE HOLE

Die Expedition in Papua-Neuguinea, die Tom Vierus begleitete und fotografisch dokumentierte, war Teil eines Projekts des WWF, um so viel wie möglich über die Gegend, Fauna und Flora sowie von und über die Menschen vor Ort zu erfassen und zu lernen. Das Blue Hole, der Zugang zu einem unterirdischem Höhlensystem, wurde in den vergangenen Jahren immer mal wieder von Menschen besucht, einige davon waren Wissenschaftler*innen, andere Taucher*innen, die auf Tauchexpeditionen vor der Küste unterwegs waren und hierher einen Abstecher machten. Tom Vierus erzählt: "Wir sind mit rund 40 Leuten den Fluss hinaufgefahren bis zu dem Punkt, wo wir zu Fuß weitergehen mussten. Mit Unterstützung durch die lokale Bevölkerung haben wir stundenlang das Tauch- und Fotoequipment durch den Regenwald getragen und dann einige steile und spitze Felsen hinunter, bis wir an dem nahezu surreal wirkenden Blue Hole ankamen."


Text: Irmela Heß