Briefe aus dem Krieg

15. Januar 2019

Eine Ausstellung in der Martinus-Bibliothek zeigt Feldpost aus dem Ersten Weltkrieg: Alumnen des Mainzer Priesterseminars schrieben sie an ihren Regens Dr. Joseph Blasius Becker. Maximilian Künster untersuchte die Briefe im Zuge seiner Magisterarbeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Nun präsentiert er sie, angereichert mit einer Vielfalt an weiterem zeitgenössischen Material.

Am 12. August 1917 schreibt ein Mainzer Seminarist von der Front: "Hochwürdiger Regens, nun hat auch für mich der Krieg begonnen ..." Nach Rumänien hat es ihn verschlagen, dort geriet er ins Gefecht. "Wir bekamen schreckliches Flankenfeuer von beiden Seiten u. hatten bald über 40 Verluste. Die Comp. ist noch 56 M. stark." Der angehende Geistliche zweifelt. "Nein, ich glaube, es kam nicht so, wie man es sich am grünen Tische hinter der Karte vorgestellt hatte." Sein Kriegsalltag ist zermürbend. "Die Artillerie beschießt uns dauernd. Heute mal trotz des Feuers geschlafen. Es war nicht so heftig, da der Russe seine Batterien über den Sereth brachte heute Nacht. Hoffentlich geht es bald weiter. In Gottes Namen. Ihm sei aller Dank, der mich so beschützt." Gezeichnet: "R. Rainfurth".

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs studierten 79 junge Männer am Mainzer Priesterseminar, 70 davon wurden eingezogen. Viele schrieben von der Front an ihren Regens nach Hause. Insgesamt 477 Briefe sind erhalten. Ihnen ist nun eine Ausstellung in der Martinus-Bibliothek gewidmet: "Die Alumnen des Mainzer Priesterseminars im Ersten Weltkrieg – Feldpost an den Regens Dr. Joseph Blasius Becker". Maximilian Künster, Student an der Katholisch-Theologischen Fakultät der JGU, stellte die Schau zusammen. Sie erinnert auf besondere Weise an den Ersten Weltkrieg, dessen Ende sich 2018 zum hundertsten Mal jährte.

Adam Bertsch, gestorben am 20.6.1916

Im neuen Ausstellungsraum der wissenschaftlichen Diözesanbibliothek Mainz ist nicht nur eine Auswahl der Originalbriefe zu sehen. Eine ganze Reihe verschiedenster Zeitdokumente zeichnet ein lebendiges Bild: Ein Exemplar des "Katholischen Volksblatts" liegt in einer der Vitrinen aus. Die Wochenzeitung des Bistums Mainz gratuliert Wilhelm II. zum 56. Geburtstag. Da Krieg herrscht, verkündet der Kaiser, er "verzichte auf alle Festveranstaltungen an diesem Tag, nur eines solle nicht unterbleiben: Das Gebet für ihn". Ein paar Schritte weiter zählt ein Verzeichnis jene 14 Alumnen des Mainzer Priesterseminars auf, die im Krieg umkamen. Ihr Leben ist in wenigen Zeilen zusammengefasst: "Bertsch, Adam. geboren zu Dieburg (Hessen) am 11. November 1893. Tonsur 2. April 1914; Minores 19. März 1915. Einberufen (Inf.) 23.6.1915. Ins Feld 7.9.15. Gestorben im Lazarett (Bauchschuss) am 20.6.1916, nachdem er versehen worden war."

Künster beschäftigte sich in seiner Magisterarbeit ausführlich mit den 477 Feldpostbriefen. Er ordnete sie und wertete sie wissenschaftlich aus. Für diese außergewöhnlich gelungene Arbeit zeichnete ihn die Stiftung Mainzer Priesterseminar mit dem Josef Maria Reuß-Förderpreis aus. "Im Anschluss daran haben wir überlegt, ob man das Ganze auch ausstellen könnte", erzählt Künster. Das Priesterseminar unterstützte die Idee, und Prof. Dr. Claus Arnold, der bereits die Magisterarbeit betreute, übernahm die wissenschaftliche Begleitung.

"Zum großen Jubiläum des Kriegsendes gab es einige Ausstellungen und Veranstaltungen, aber wir sind mit unserem Projekt doch in eine Lücke gestoßen", erzählt Arnold. Der regionale Bezug macht die Schau interessant, mehr noch allerdings berührt die sehr persönliche Note. Die Originalbriefe in den Vitrinen, mal mit blassem Bleistift, mal mit dem Federhalter geschrieben, bringen die Schicksale der Alumnen sehr nahe. "Es gab einen Brief mit einem großen braunen Fleck darauf", erinnert sich Künster. "Der Schreiber kreiste den Fleck ein und entschuldigte sich dafür: Es sei so nass und matschig im Schützengraben."

Weihe rettet vorm Kriegsdienst

Die Ausstellung erschöpft sich nicht in historischen Exponaten. Begleitende Texte klären über die Hintergründe auf: Es geht unter anderem um das Verhältnis des Katholizismus zum Kaiserreich, um das Mainzer Priesterseminar oder um den Regens Dr. Joseph Blasius Becker. "Er war eine Respektsperson", meint Künster. "Er hatte als Regens die Studienfortschritte und die spirituelle Entwicklung der Seminaristen zu beurteilen." Entsprechend respektvoll sind die Briefe formuliert. Der Regens wird als "Vielgeliebter Vater" oder "Hochwürdiger Herr" adressiert.

Häufig ist in Geschichtsbüchern von einer großen vaterländischen Euphorie die Rede, die bei Kriegsausbruch breite Bevölkerungsgruppen ergriff. "Die aktuelle Forschung relativiert das", sagt Arnold. Viele Menschen waren alles andere als begeistert, sie hatten schlicht Angst vor dem Krieg. "Auch die Seminaristen beschäftigte erst einmal, wie sie ihn überleben, wie sie aus dem Inferno herauskommen sollten. Einige interpretierten den Krieg als Strafe oder schrieben von einer persönlichen Läuterung. Politische Aspekte wurden gar nicht so sehr rezipiert."

Auf offizieller Ebene bemühte sich die katholische Kirche, ihr Engagement im Krieg zu rechtfertigen. "Der Tenor war aber auch: Wir sind die Kirche und erst mal frei vom Staat", stellt Arnold klar. Auf persönlicher Ebene liefen Bestrebungen, Menschen vor dem Militärdienst zu bewahren. "Wer ein geistliches Amt inne hatte, wurde nicht eingezogen, also beraumte der Mainzer Bischof manchmal im letzten Moment die Weihe von Subdiakonen und Diakonen an." Davon zeugt ein Telegramm: "morgen 7 uhr subdiakonatsweihe auch die 4 des folgenden halbkurses".

Kapellen-Automobil für die Front

Die Ausstellung hat viel zu bieten: Joseph Roos, einer der wenigen Seminaristen, die zum Leutnant ernannt wurden, schoss Fotos von den Kriegsschauplätzen. Zerstörte Kirchen sind auf den kleinformatigen Schwarzweißbildern zu sehen, Bombenkrater, Drahthindernisse vor dem Schützengraben oder ein Soldatenfriedhof. An anderer Stelle ist eine weitere Meldung des "Katholischen Volksblatts" zu lesen. Sie preist das Kapellen-Automobil an: "Der Feldaltar ist an der Rückwand des Automobils eingebaut, dessen beide Türen geöffnet Altarflügel bilden. Ein großes Zelt, das ebenfalls an der Rückwand angebracht ist, bietet, aufgeschlagen, Schutz gegen die Unbilden des Wetters."

Die Ausstellung ist auf einiges Interesse gestoßen, auch die Medien berichteten darüber. "Der SWR bat mich zum Beispiel, für einen Bericht noch ein paar Feldbriefe herzurichten", erzählt Künster. Offensichtlich sind es die einzelnen Schicksale, die besonders berühren.

Künster möchte am Thema dranbleiben: "Für meine Dissertation werde ich die Feldpost von Alumnen aus dem Zweiten Weltkrieg auswerten. Es sind ungefähr doppelt so viele Briefe hier am Priesterseminar erhalten wie aus dem Ersten Weltkrieg." Und wer weiß: Vielleicht wird es auch dazu eine Ausstellung geben.