Bronzekopf erzählt von afrikanischer Kultur und europäischen Plünderern

1. Juni 2012

Die Ethnografische Studiensammlung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) versteckt sich in den Kellerräumen des Forum universitatis. Mehr als 3.200 Objekte erzählen dort nicht nur Geschichten fremder Kulturen, sondern geben mindestens ebensoviel preis über die Kultur des europäischen Sammelns im Laufe eines Jahrhunderts. Kustodin Dr. Anna-Maria Brandstetter gibt einen Einblick in diese Schatzkammer.

Die schwere Brandschutztür im Keller des Forum universitatis verheißt nicht gerade viel. Sie könnte zu einem Heizungsraum führen. Ein unbedarfter Besucher würde vielleicht vermuten, dass hier unten Stapel vergilbter Akten ruhen. Tatsächlich aber verbirgt sich hinter der Tür ein Schatz: Dr. Anna-Maria Brandstetter vom Institut für Ethnologie und Afrikastudien der JGU dreht den Schlüssel im Schloss und führt hinein in die Ethnografische Studiensammlung. "Im ersten Raum haben wir die Objekte, die ein bisschen größer sind", sagt sie, bevor sie eintritt.

Da steht ein Kampfpanzer aus Kokosfasern in der Vitrine. Er stammt aus Mikronesien, von den Gilbert-Inseln. Eine Machtfigur aus dem Kongo starrt durchs Glas. Sie ist mit Nägeln besetzt, in ihrem Nabel steckt ein Schneckengehäuse. Und aus dem Hochland von Papua Neuguinea kommt ein seltsames kegelförmiges Gebilde aus Pflanzenfasern und Lehm. Zwei Gesichter hat es. "Wir wissen nicht mal, ob es wirklich aus dem Hochland stammt", meint Brandstetter. Ein Sammler hat es vor Jahrzehnten von dort mitgebracht. Welche Funktion es hatte? "Wir wissen es nicht."

3.200 Objekte im Keller

Dabei weiß Brandstetter als Kustodin der Sammlung sonst sehr viel über die rund 3.200 Stücke, die in den drei großen Räumen und ihren verwinkelten Verbindungsfluren ruhen. Auf dem Tisch in der Mitte des ersten Raums liegt eine Holzfigur mit Lederschurz. Sie misst knapp einen Meter. Die Arme sind mit Nägeln angebracht, Nägel markieren auch die Augen, Glasperlen schmücken den Hals. "In den 30er Jahren hat ein Sammler in Namibia diese und sechs weitere Figuren in Auftrag gegeben." Der Schnitzer stellte daraufhin seine eigene Familie dar: die Frau, Kinder.

"Die Ovambo haben keine Schnitztradition", erzählt Brandstetter. Entsprechend zurückhaltend ist das Holz bearbeitet. Die Brüste der Frauen etwa sind mit Nägeln befestigt. "Diese Figuren sind wunderschön. Es ist sehr beeindruckend, sie zusammen zu sehen." Die Kustodin beugt sich über ihren "Patienten". "Nur den Lendenschurz hier, den müssen wir fixieren." Das Leder hat einen Riss, deswegen liegt die Figur auf dem Tisch, getrennt von der Familie.

Große Mainzer Kongo-Expedition

Als 1950 der Aufbau der Ethnografischen Sammlung am neu gegründeten Institut für Völkerkunde anstand, wurde eine Frau zur prägenden Kraft. Dr. Erika Sulzmann leitete von 1951 bis 1954 die Mainzer Kongo-Expedition, die erste größere deutsche Forschungsreise der Nachkriegszeit. Dafür musste sie sich gegen Widerstände durchsetzen, denn eine Frau in dieser Position, das war ungewöhnlich. Mehr als 500 Objekte brachte sie mit nach Mainz. Es folgten weitere Reisen, weitere Objekte. Nach einer Anstellung als Assistentin am Institut war Sulzmann von 1960 bis 1976 Kustodin der Sammlung. Und selbst im Ruhestand arbeitete sie weiter an der Sammlung im Keller des Forum universitatis.

Brandstetter zeigt den alten Karteischrank Sulzmanns. Die Karten darin enthalten neben Beschreibungen der Objekte präzise Zeichnungen. Darüber thront eine alte Adler-Schreibmaschine. Inzwischen sind diese Dinge selbst geschätzte Objekte der Sammlung, genau wie die Vitrinenschränke, die alle noch aus Sulzmanns Zeit stammen. Sie stehen für ein Stück Wissenschaftsgeschichte, für eine Zeit, in der es noch üblich war, massenweise materielle Zeugnisse von den Reisen in fremde Länder mitzubringen.

Heilig und geheim

Diese Zeiten sind längst vorbei und auch die Stücke der Sammlung werden heute anders behandelt als damals. Brandstetter weist auf eine abgehängte Vitrine. "Sammlungen wie unsere haben immer auch Stücke, die heilig und geheim sind. Kein Mensch würde die einfach so zeigen." Hinter dem mit Papier verkleideten Glas ruhen Kultobjekte der australischen Aborigines, Begleiter auf ihren Traumreisen. Was vor knapp 100 Jahren einfach so seinen Weg nach Europa fand, wird heute in Absprache mit den zuständigen australischen Stellen verwahrt. Virtuelle Repatriierung nennt sich das. "Die Objekte bleiben da, wo sie sind, aber die Communities haben ein Mitspracherecht", stellt Brandstetter klar.

Dass der Umgang mit den Zeugnissen anderer Kulturen sich ändert, dafür steht auch ein Bronzekopf aus Nigeria, aus dem einstigen Stadtstaat Benin. "Es ist ein Ahnenkopf, er wurde zu Ehren eines verstorbenen Fürsten, eines Oba, aufgestellt", erklärt die Kustodin. Die Briten nahmen ihn 1897 auf ihrem Plünderungszug durchs Land mit. Sie nannten es damals Strafexpedition, weil zuvor mehrere Forscher in der Region getötet worden waren. "Viele Objekte wurden danach versteigert, um die sogenannte Strafexpedition zu finanzieren."

Die Narben des Oba

Ein Sammler erwarb das wertvolle Stück und gab es ans Linden-Museum in Stuttgart, von wo es im Tausch gegen andere Objekte nach Mainz kam. "Die meisten unserer Stücke mit problematischem Hintergrund stammen aus solchen Tauschaktionen", sagt Brandstetter, bevor sie sich wieder dem Kopf zuwendet. "Jeder Oba sieht anders aus. Schauen Sie den Kopfschmuck an, die Narben im Gesicht. Dies ist ein Beleg dafür, dass afrikanische Kunst durchaus nicht nur abstrakt ist."

Brandstetter stellt die Ethnografische Sammlung in Vorträgen vor, Leihgaben gehen an Museen und auch die Studierenden beschäftigen sich mit den Schätzen im Keller. "Im Moment gibt es zum Beispiel ein Seminar zur Geschichte des Sammelns", erzählt die Kustodin. Die Sammlung sei also gut in die Lehre eingebunden.

Beim Gang durch die niedrigen Kellerräume konzentriert sich die Kustodin auf wenige Objekte. Dennoch erzählt sie viele Geschichten, Anekdoten und Hintergrundinformationen, die alle mindestens ebenso viel über die Sammler wie über die Objekte ihrer Leidenschaft aussagen. Hier spiegelt sich nicht nur afrikanische, australische oder mikronesische Geschichte, auch europäische Vergangenheit wird sichtbar. Es ist, als hätte Erika Sulzmann eben erst ihre letzte Karteikarte beschriftet.