9. Dezember 2015
Noch während ihres Studiums an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) gründeten Michael Schwarz und Alexander Griesser ihre Firma nachtschwärmerfilm. Sie drehen anspruchsvolle Dokumentarstreifen, die auf zahlreichen Festivals zu sehen sind. Und sie produzieren Imagefilme – darunter aufwendige Videos, mit denen sie ihre Alma Mater einer breiten Öffentlichkeit präsentieren.
Es geht um sechs Sekunden Film, aber diese sechs Sekunden sollen perfekt sein. Maximilian Roth arbeitet für die Hotline des Zentrums für Datenverarbeitung auf dem Gutenberg-Campus. Er sitzt mit einem Headset ausgerüstet an seiner PC-Tastatur. Im Licht des Scheinwerfers wirkt der kleine Raum taghell. Keine Armlänge vom Protagonisten entfernt kauert Alexander Griesser hinter seiner Kamera. Daneben steht Michael Schwarz und gibt Anweisungen.
"Kannst du so nah wie möglich an den Tisch heranrücken?", bittet er Roth. "Noch etwas tiefer mit dem Stuhl, geht das? Okay, wir machen eine erste Durchlaufprobe. Der Ton ist im Film nachher nicht mit drauf, aber du solltest trotzdem nur sinnvolle Dinge von dir geben – für die Lippenleser im Publikum." Griesser lässt die Kamera auf einer Schienenkonstruktion entlanggleiten: knapp einen Meter in sechs Sekunden. Das war's – für den Moment.
Kunst und Brot
Der fertige Film, für den die beiden Gutenberg-Alumni Michael Schwarz und Alexander Griesser hier gerade arbeiten, soll schließlich zu den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Wiedereröffnung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Februar 2016 vorgestellt werden. "Vielleicht kannst du auch ein bisschen mit der Tastatur arbeiten." Wieder gleitet die Kamera über die Schiene. "Sehr gut", meint Schwarz nach weiteren sechs Sekunden, "und gleich noch mal."
Dies ist nicht der erste Film, den Griesser und Schwarz für ihre Alma Mater drehen. Als die beiden im Jahr 2007 ihre gemeinsame Firma nachtschwärmerfilm gründeten, wollten sie zwar vor allem ambitionierte Dokumentarstreifen drehen. "Aber so gut wie niemand kann von seiner Kunst leben", sagt Griesser. Also produziert das Duo auch Auftragsarbeiten verschiedenster Couleur, darunter aufwendige Imagefilme für die Universität.
"Wir sehen das nicht als einen Brotberuf", stellt Griesser klar. "Das wäre auch schade, denn dann wären es keine nachtschwärmerfilm-Produktionen. Wir drehen keine Imagefilme im klassischen Sinn, sondern bringen Dinge hinein, die man so nicht erwartet. Wir suchen immer einen besonderen Ansatz. Das ist manchmal schwierig, macht aber unglaublich Spaß." Worin der besondere Dreh beim Dreh zum anstehenden Universitätsjubiläum besteht, wird allerdings noch nicht verraten. Das soll eine Überraschung bleiben.
Praxis und Philosophie
Schwarz und Griesser haben beide an der JGU studiert. "Vorher waren wir schon über Jahre im Filmgeschäft tätig", erzählt Schwarz. Er arbeitete unter anderem als Regieassistent fürs ZDF, Griesser hatte eine Ausbildung zum Mediengestalter absolviert. "Wir sind an die Uni gegangen, um uns den theoretischen Hintergrund zu holen."
"Ich wusste, wie Filmen praktisch geht", sagt Griesser. "Nun wollte ich zu einem gewissen Grad akademisch damit umgehen." Er studierte Filmwissenschaft, Publizistik und Politikwissenschaft an der JGU. "Ich habe sehr profitiert."
Bei Schwarz lief es nicht ganz so glatt. "Das Grundstudium Film- und Theaterwissenschaft bekam ich noch hin. Aber es war mir alles zu theoretisch, zu philosophisch." Er wechselte an die Kunsthochschule der JGU und wurde dort heimisch. Hier nahm er Tuchfühlung auf mit dem dokumentarischen Filmen – oder prosaischer: "Das Seminar Dokumentarfilm war Pflicht", so Schwarz.
Aus der Pflicht wurde Leidenschaft. "Mich reizt es, eine Geschichte möglichst authentisch zu erzählen, dabei aber immer auch einen künstlerischen Ansatz zu verfolgen." Seine Diplomarbeit "Kursdorf" entstand 2011. Da hatte sich das Team von nachtschwärmerfilm längst gefunden, Griesser war also mit von der Partie.
Lärm und Lied
"Viele haben die Geschichte von Kursdorf nicht geglaubt. Sie dachten, wir erfinden das", erzählt Schwarz. Der kleine Ort lag ursprünglich am Rande des Flughafens Leipzig/Halle. Als der Flughafen wuchs, umschloss er Kursdorf und nahm es in den Würgegriff. Heute wirken die paar Häuser mit ihrer Kirche wie eine exotische Insel im Flugbetrieb. Keine 30 Einwohner sind geblieben. Viele von ihnen kommen in dem 15-Minuten-Streifen zu Wort. Kursdorfer Bewohner reden vom Sterben ihres Ortes. Es ist im Grunde ein leiser Film, auch wenn im Hintergrund das permanente Getöse der Düsenjets den sehr speziellen Soundtrack liefert.
Trotz des Themas ist der Film nicht düster. Leiser Humor schwingt mit, wenn sich etwa ausgerechnet der Betreiber einer Kfz-Werkstatt über den Abgasgeruch der Flugzeuge beschwert oder ein anderer Einheimischer bitter-ironisch von der guten Verkehrsanbindung des Dorfes berichtet. "Wir nehmen jeden unserer Protagonisten ernst", stellt Schwarz klar. Gelacht oder geschmunzelt wird allenfalls mit den Menschen vor der Kamera, nie über sie.
Das gilt auch für den Kurzfilm "Peter Rist – Idealist", in dem nachtschwärmerfilm das Porträt des Finanz- und Wirtschaftsbürgermeisters der Stadt Reutlingen zeichnet, der sich entscheidet, einen neuen Weg einzuschlagen: Rist will Schlagersänger werden. Zwei Welten treffen aufeinander, die Rist allerdings mit einem Satz nah aneinanderrückt: "Als Bürgermeister habe ich viel mit Menschen zu tun – und auch als Musiker und Unterhalter. Da gibt es schon Parallelen."
Palästina und Mainz
Schwarz und Griesser sind mit solchen und einer Reihe weiterer Dokumentarfilme auf vielen Festivals vertreten. "Das ist eine ganz eigene Szene, bei der es aber auch immer schwieriger wird, mit Beiträgen unterzukommen", erzählt Schwarz. Auf rund 150 nationalen und internationalen Festivals war nachtschwärmerfilm bisher zu Gast, allein "Kursdorf" lief fünfzigmal und räumte dabei einige Preise ab.
Im Moment drehen die beiden Gutenberg-Alumni einen Film über den palästinensischen Langstreckenläufer Nader al-Masri, der 2008 bei den olympischen Spielen in Peking für sein Land antrat. "Sein Traum ist es, 2016 in Rio de Janeiro noch einmal dabei zu sein", erzählt Schwarz. "Das wäre seine letzte Chance auf Olympische Spiele. Aber die extreme Verhärtung der Fronten in Palästina macht das schwierig. Es ist kaum wahrscheinlich, dass er sich überhaupt qualifizieren darf."
Eine erste Vorschau zeigt al-Masri beim Training am Strand, beim Essen mit der Familie im bescheidenen Heim. Wieder setzen die Filmemacher auf leise Töne zur großen Geschichte – und auf einen Ansatz, mit dem das Publikum so vielleicht nicht rechnet. Darum geht es bei nachtschwärmerfilm, ob am Strand von Palästina oder im Rechenzentrum auf dem Gutenberg-Campus: Griesser und Schwarz suchen ihren eigenen Dreh.