8. Dezember 2016
Das Internet ist reich an Daten, Fakten und Inhalten verschiedenster Art – doch es ist arm an Sprachen. Nur etwa sechs Prozent der Sprachen der Welt sind vertreten. Ein internationales Konsortium hat sich zum Digital Language Diversity Project (DLDP) zusammengeschlossen, um Regional- und Minderheitensprachen den Weg ins Netz zu bahnen. Prof. Dr. Anneli Sarhimaa und ihre Mitarbeiterin Nora Kruse vom Forschungs- und Lehrbereich Sprachen Nordeuropas und des Baltikums (SNEB) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) wirken an diesem Projekt mit.
"Das Internet ist gleichgültig gegenüber seinen Inhalten und Nutzern", sagt Prof. Dr. Anneli Sarhimaa. "Es bietet zwar unendliche Möglichkeiten, aber wenn Menschen nicht aktiv werden, kommen ihre Inhalte im Netz einfach nicht vor." Das gilt besonders für kleine Sprachen. Sie sind im Internet unterrepräsentiert. "IT-Unternehmen haben selbstverständlich mehr Interesse, Programme oder Apps für Weltsprachen wie das Englische zu entwickeln. Für kleine Sprachen lohnt sich das nicht."
"Wir finden vielleicht Informationen über Sprachen wie Karelisch oder Sardisch", räumt Nora Kruse ein. "Doch es ist schwierig, Einträge in diesen Sprachen zu entdecken." Sarhimaa nimmt den Faden auf: "Sehr vereinfacht dargestellt, funktioniert das Internet über Algorithmen. Diese Algorithmen wurden für die großen, normierten Sprachen geschaffen, fehlen aber für die meisten Regional- und Minderheitensprachen. Deswegen finden die Suchmaschinen Einträge in kleinen, weniger normierten Sprachen oft nicht."
Sardisch, Bretonisch, Karelisch, Baskisch
Anfang 2016 gründeten fünf Institutionen das Digital Language Diversity Project (DLDP), um europäischen Regional- und Minderheitensprachen den Zugang zur digitalen Welt zu erleichtern. Unterstützung bekamen sie dabei von der Europäischen Union, die das auf drei Jahre angelegte Projekt über das Erasmus+-Programm fördert.
Das DLDP hat vier Minderheitensprachen im Blick: Sardisch und Bretonisch, Karelisch und Baskisch. Für sie stehen vier der fünf Partner: Das Istituto di Linguistica Computazionale des Consiglio Nazionale delle Ricerche (CNR-ILC) in Italien, das European Language Equality Network (ELEN) in Frankreich, Karjalan Kielen Seura in Finnland und die baskische Organisation Elhuyar Fundazioa in Spanien.
"Die JGU ist mit dem Forschungs- und Lehrbereich Sprachen Nordeuropas und des Baltikums als einzige akademische Ausbildungsorganisation mit dabei", sagt Sarhimaa. Doch nicht nur das: Ein Anstoß für das DLDP war das ebenfalls von der EU geförderte ELDIA-Projekt "European Language Diversity for All", das Sarhimaa von 2010 bis 2013 koordinierte. Im Rahmen dessen wurden neun finno-ugrische Sprachen untersucht und ein Sprachvitalitätsbarometer entwickelt, das die Existenzbedrohung von Minderheitensprachen erfasst. "Seinerzeit hatten wir zwar auch die Medien mit im Blick, aber beachteten den digitalen Aspekt noch nicht in diesem Maße. Dr. Claudia Soria vom CNR-ILC sprach mich darauf an und fragte, ob ich an einer Art Folgeprojekt zu ELDIA interessiert sei."
Mainz koordiniert Trainingsprogramm
Bei ELDIA und beim DLDP geht es im Kern um eines: "Jede Sprache reflektiert eine Kultur", so Kruse, "und mit dem Erhalt von Sprachen erhalten wir auch die kulturelle Vielfalt." Das DLDP geht in mehreren Schritten vor. "Am Anfang stand eine Umfrage bei den vier Sprachgemeinschaften. Wir wollten feststellen, in welcher Form sie ihre Sprache bereits im Internet nutzen, aber auch, wo ihre Bedürfnisse liegen, wo Weiterentwicklungen stattfinden sollten."
Darauf baut ein sprachenübergreifendes Trainingsprogramm auf, dessen Entwicklung Sarhimaa und Kruse derzeit koordinieren. "Zwar sind unsere Umfragen noch nicht vollständig ausgewertet", so Sarhimaa, "aber wir erkennen schon klare Tendenzen, auf die wir reagieren können."
"Unser Programm wird acht bis neun Module enthalten", verrät Kruse. "Zuerst erläutern wir, warum die Internetpräsenz kleiner Sprachen so wichtig ist. Ein weiteres Modul beschäftigt sich mit Wikipedia." Die Internet-Enzyklopädie ist im Prinzip für alle Sprachen offen, doch es muss erst eine gewisse Menge an Artikeln in einer bestimmten Sprache vorhanden sein, bevor diese online zugänglich gemacht werden. "Ein Abschnitt wird sich mit Self-Publishing beschäftigen, also mit der Möglichkeit, Texte abseits eines Verlags zu veröffentlichen." In weiteren Modulen werden Social Media, Apps und Online-Wörterbücher behandelt.
Internet bietet viele Chancen
Anfangs wird das Trainingsprogramm über den Server der JGU laufen. "Wir nutzen dabei Moodle, weil es weltweit die am weitesten verbreitete Lehr- und Lernsoftware ist", sagt Kruse. Wer dazu beitragen will, dass eine Minderheitensprache im Netz präsent ist, kann sich hier eine Art Aktionsplan herunterladen.
Sarhimaa betont die Chancen, die das Internet für die kleinen Sprachen bietet. "Zum Beispiel ergibt sich das Problem der Diaspora nicht mehr. Vertreterinnen und Vertreter kleiner Sprachen können weltweit kommunizieren, egal wo sie gerade sind. Waren sie früher oft isoliert, so finden sie jetzt Gesprächspartner."
Die vier vom DLDP behandelten europäischen Sprachen stehen weder im Internet noch in der realen Welt gleich da – im Gegenteil: "Das Baskische hat sich in einer Weise revitalisiert, wie ich das vor 20 Jahren noch nicht für möglich gehalten hätte", berichtet Sarhimaa. Eine eigene baskischsprachige Universität hat mittlerweile eröffnet und auch in der digitalen Welt hinterlässt die Sprache mehr und mehr Spuren. "Es gibt zum Beispiel mehrere Online-Wörterbücher zum Baskischen."
Empfehlungen für politische Entscheidungsträger
Wichtig für einen Erfolg ist, gerade im Internet, eine gewisse Normierung. "Im Baskischen ist sie auf orthografischer Ebene gelungen." Dies lässt den baskischen Dialekten bei einer gemeinsamen Schreibweise ihre Eigenheiten. Schwieriger sieht es zum Beispiel im Karelischen aus. Da gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen den unterschiedlichen finnischen und russischen Gruppen, was zur Norm erhoben werden soll. "Solche Phänomene treten bei kleinen Sprachen öfter auf", erzählt Sarhimaa. "Die einzelnen Gruppen fürchten um ihre Eigenständigkeit."
Bis 2018 wird das DLDP laufen. Am Ende soll sich ein spezielles "Digital Language Survival Kit" nicht nur an die Sprecherinnen und Sprecher des Karelischen, Sardischen, Bretonischen oder Baskischen richten. "Es wird auch klare und umsetzbare Empfehlungen für politische Entscheidungsträger enthalten", kündigt Kruse an. Darüber hinaus sind sowohl das Trainingsprogramm als auch das Survival Kit übertragbar auf Regional- und Minderheitensprachen weltweit. Das DLDP könnte also die Weichen für eine neue Vielfalt im Internet stellen, das an Sprachen noch allzu arm ist.