5. Juni 2013
Mit seinem Buch "Geschichte des Klimas" lädt einer der führenden Paläoklimaforscher zur Reise durch die Erdzeitalter. Prof. Dr. Frank Sirocko vom Institut für Geowissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) bietet Einsichten in die Vergangenheit, aber er wagt auch einen Blick in die Zukunft.
Frank Sirocko lächelt, während er Dinge erzählt, die in der letzten Zeit viele seiner Kollegen aus der Bahn geworfen haben. "Seit zehn Jahren erwärmt sich die Erde nicht mehr. Was all unsere Prognosen vorhergesagt haben, tritt nicht ein. Das ist schon ein Problem. Von 1980 bis 2000 hatten wir immer diese beiden Kurven, die parallel verliefen, genau, wie es unsere Modelle vorhersagten: der Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre und die Klimaerwärmung." Nun aber scheint alles infrage gestellt ...
"Klimaforschung ist nicht wie die Mathematik, in der man nach einer Formel etwas ausrechnen kann", so Sirocko, Professor am Institut für Geowissenschaften der JGU. "Für mich ist Klimaforschung wie ein Puzzlespiel. Wenn man ein paar Teile zusammenhat, zeichnet sich ein Bild ab."
Einige dieser Puzzleteile hat Sirocko in seinem gerade erschienenen Buch zusammengefasst. "Geschichte des Klimas" nennt sich der eher schmale Band. Ein paar eingeschweißte Exemplare stapeln sich noch im Büro des Professors. "Mit diesem Buch wende ich mich zwar an ein breites Publikum, aber es soll sich auch als Lehrbuch für Studierende eignen. Der Verlag wollte erst, dass ich im Stil von Zeitschriften wie GEO schreibe, aber damit war ich nicht einverstanden. Ich wollte einen gewissen wissenschaftlichen Anspruch erfüllen."
Vier Global Player sind am Werk
In seinem neuen Buch führt Sirocko die Leser auf eine Expedition durch die Erdzeitalter. "Schauen wir uns gemeinsam die wichtigsten Prozesse im Klimasystem an", schreibt er im Vorwort. "Begleiten Sie mich dann auf eine Zeitreise durch die Entwicklung des globalen Klimas und der Klimageschichte Mitteleuropas im Besonderen. Lassen Sie uns auf Zusammenhänge blicken, welche die Entwicklung der Menschheit gesteuert haben – und steuern werden."
Vier Global Player in Sachen Klima macht Sirocko aus: Langfristig spielt die Konstellation der Erde zur Sonne eine wichtige Rolle. Planet und Stern stehen nicht immer gleich zueinander. Die sich daraus ergebenden Veränderungen manifestieren sich in Zyklen von 20.000, 40.000 und 100.000 Jahren. Die Sonnenaktivität ist ein zweiter Faktor: Mehr Sonnenflecken bedeuten Protuberanzen und damit vor allem im ultravioletten Bereich mehr Energieeintrag in die Erdatmosphäre.
Hinzu kommen Vulkanausbrüche, die als plötzliche Ereignisse Einfluss nehmen. Und dann sind da noch die Treibhausgase, allen voran das Kohlendioxid, das schon vor dem Erscheinen des Menschen eine wichtige Rolle spielte. Sirocko folgt dem Spiel dieser vier Faktoren über die Jahrmillionen. Er berichtet, was die Forschung erklären kann, er hebt aber auch hervor, wo die Wissenschaft noch im Trüben stochert.
Vieles ist noch ungeklärt
Klar ist zum Beispiel, dass es vor 55 Millionen Jahren ein Temperaturmaximum gab. Der Rhythmus von Warm- und Eiszeiten ist auch bekannt. Aber schon, wenn es um den Zerfall der Eisschilde am Ende der letzten Eiszeit geht, wird es schwierig. Denn "wirklich dynamische Eismodelle, die die komplexen Abläufe physikalisch nachvollziehbar und mit dem richtigen zeitlichen Timing erklären, gibt es noch nicht", schreibt Sirocko.
Gerade dieses Eingestehen von Lücken macht den Geowissenschaftler so glaubwürdig, wenn er wieder zu den Gewissheiten kommt – ob sie nun Gegenwart oder Zukunft betreffen. Dass der Mensch seine Umwelt schon lange prägt, ist so eine Gewissheit. "In Mitteleuropa ist seit mindestens 6.000 Jahren alles vom Menschen beeinflusst." Und spätestens mit der Industrialisierung veränderte der Mensch die Atmosphäre: 25 Prozent des Treibhausgases Kohlendioxid sind menschengemacht. Der Anteil des weniger bedeutenden Treibhausgases Methan hat sich um 150 Prozent gesteigert.
Spätestens hier stellt sich die Frage: Woher weiß die Wissenschaft über das Klima der Vergangenheit Bescheid? Ganz einfach: Sie hat Archive angelegt. Bohrkerne aus dem Eis der Antarktis, Staubsedimente oder Baumringe geben Auskunft. Sirockos Arbeitsgruppe "Klima und Sedimente" hat ebenfalls ein solches Archiv angelegt. Es ruht im Keller des Instituts, in das der Geowissenschaftler nun einlädt.
Fossile Brennstoffe gehen zur Neige
Im Kernarchiv ELSA, kurz für Eifel Laminated Sediment Archive, reiht sich Bohrkern an Bohrkern. Sie stammen aus 22 Eifelmaaren und werden derzeit unter verschiedensten Gesichtspunkten untersucht. "Wir haben hier einen Kalender der letzten 500.000 Jahre", sagt Sirocko. Aneinandergelegt wären die Bohrkerne 2.500 Meter lang.
Doch zurück ins Jahr 2013: Die Menschheit verbraucht die fossilen Brennstoffe des Planeten in atemberaubendem Tempo. Kohlendioxid, das in der Erdgeschichte in Öl, Gas oder Kohle gebunden war, wird wieder freigesetzt. "Die Kohlendioxid-Emission wird sich in den nächsten Jahren noch erhöhen", prognostiziert Sirocko. "Auch weil die Schwellenländer in ihrer Entwicklung nachziehen."
Und nicht nur die Freisetzung der Treibhausgase ist ein Problem. Die fossilen Brennstoffe, auf denen die moderne Welt fußt, gehen zur Neige. "Ich bin überzeugt, dass wir schon in 15 bis 20 Jahren Erdöl nicht mehr im gewohnten Umfang zur Verfügung haben, Kohle wird spätestens in 100 Jahren knapp", konstatiert Sirocko. "Wir werden dann alle notgedrungen bei der Sonnenenergie landen."
Kohlendioxid-Recycling als Chance
"Für mich persönlich gibt es da nur eine Lösung: Wir müssen das Kohlendioxid aus der Atmosphäre sequestrieren." Dies sei unter Einsatz von Sonnenergie möglich. Sirocko schweben als Ort des Geschehens die südlichen EU-Länder vor. "In Thermiekraftwerken würde dort Kohlendioxid zu Methan reduziert, das dann über Pipelines in den Norden transportiert werden und zur Energiegewinnung verbrannt werden könnte."
"Das wäre eine effektive Methode, Sonnenenergie zu speichern", ist sich Sirocko sicher. Über einen nachhaltigen geschlossenen Kohlendioxid-Methan-Kreislauf würde diese Energie nutzbar gemacht. Das müsste aber geschehen, bevor das Kohlendioxid in der Erdatmosphäre eine zu hohe Konzentration erreicht. "An dieser Technologie arbeitet heute noch keiner, aber es ist theoretisch möglich. Und sobald das Erdöl weg ist, wird einer das machen. Schön wäre, wenn man heute bereits mit der Grundlagenforschung beginnen würde."
Aber wie ist das denn? Sind die Treibhausgase überhaupt ein Problem? Die Erde erwärmt sich schließlich nicht mehr. Sirocko kommt zurück auf die Global Player: "Spätestens seit Al Gore und das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) im Jahr 2007 den Nobelpreis bekommen haben, setzt die Forschung auf Kohlendioxid, wenn es um den Klimawandel geht." Das IPCC, also der Weltklimarat der Vereinten Nationen, habe viel Unterstützung bekommen, doch andere Klimafaktoren würden dafür vernachlässigt.
Sonnenflecken werden unterschätzt
"Vor 40 Jahren waren Sonnenflecken noch das Thema schlechthin. Da waren viele Forscher überzeugt, dass die Veränderlichkeit der Sonne die wichtigste Klimasteuergröße ist", erinnert sich Sirocko. "Als Beweis wurde das sogenannte Maunder-Minimum von 1650 bis 1720 angeführt. Damals wurde es sehr kalt." Wissenschaftler der NASA diskutieren heute, ob die kalten Jahre seit dem letzten Sonnenfleckenminimum in den Jahren 2009 bis 2011 nicht mit einem vergleichbaren Prozess in Zusammenhang zu bringen sind und den Treibhauseffekt, der immer noch weiterläuft, maskieren."
Es ist eben schwer, ein Puzzle zu interpretieren, wenn viele Teile fehlen oder falsch liegen. "Was wir vor 20 Jahren für richtig hielten, kann heute durchaus überholt sein", gibt Sirocko zu bedenken, während er den Keller mit den Bohrkernen verlässt. "Es ist wichtig, dass wir das erkennen."