Der Cowboy auf Weltreise

8. April 2013

Mit seinem Pionierprojekt "Western global – Interkulturelle Transformationen des amerikanischen Genres par excellence" hat Dr. Thomas Klein vom Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) Neuland betreten. Denn viele Aspekte des Western sind noch unerforscht. Jetzt hat der Kulturwissenschaftler zum Abschluss des Projekts zu einer Konferenz eingeladen und einen Ausblick auf zukünftige Forschungsfelder gegeben.

Breitbeinig steht er da, den Hut tief ins Gesicht gezogen. Der Wind zerrt an seiner Kleidung. Seine Hand greift zum Colt ... Dieses Plakat scheint allgegenwärtig zu sein in den Gängen des Philosophicums auf dem Mainzer Universitätscampus. Es wirbt für die kleine, aber feine Konferenz "Global Western – Interculturality, Transmediality, and Hybridity of the Western Genre".

Jeder kennt solche Bilder, aus dem Fernsehen oder aus dem Kino, aus der Werbung oder aus dem neuesten Erfolgsfilm von Quentin Tarantino. Der Western hat längst die Welt erobert, doch in der Forschung wurde er lange Zeit stiefmütterlich behandelt, sodass bis heute viele Fragen offen sind.

Western als Plattform interkultureller Kommunikation

Dr. Thomas Klein vom Institut für Ethnologie und Afrikastudien der JGU rief deswegen im Jahr 2008 sein Projekt "Western global – Interkulturelle Transformationen des amerikanischen Genres par excellence" ins Leben, das in den letzten drei Jahren von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde. Zum Abschluss lud der Kultur- und Filmwissenschaftler nun Kolleginnen und Kollegen aus Köln, Berlin und Göttingen, aus Leeds, Sydney und Mexico City zu einer zweitägigen Konferenz in Mainz ein, unterstützt vom hiesigen Zentrum für Interkulturelle Studien (ZIS).

Dessen Sprecher, Prof. Dr. Anton Escher, begrüßte denn auch die Teilnehmer. "Seit mittlerweile 12 Jahren fördert das ZIS Projekte und Tagungen zu Interkulturalität. Denn kulturelle Entwicklung ist nur möglich, wenn die verschiedenen Kulturen miteinander kommunizieren", so Escher. "Um aber kommunizieren zu können, brauchen sie ein gemeinsames Element, und da ist das Western-Genre eine ideale Basis."

Der Western hat nicht nur die Welt erobert, verschiedene Länder und Kulturen haben den Western auch für sich reklamiert und ihm oft eine sehr eigene Färbung gegeben. Dr. Thomas Klein untersucht einerseits, welchen Einfluss das amerikanische Genre auf nationale Filmindustrien ausgeübt hat und ausübt. Andererseits schaut er, wie der Western in den Ländern Lateinamerikas, in Australien oder Japan, in China oder Indien modifiziert wird und wie er andere Genres durchdringt. Inwieweit etwa wird der australische Bushranger-Film oder der japanische Samurai-Film durch die Formen des US-Westerns beeinflusst?

Der Cowboy kommt nach Mexiko

Gerade im mexikanischen Kino spielte der Western lange Zeit eine große Rolle. Die geografische Nachbarschaft und die historischen sowie kulturellen Überschneidungen zwischen den USA und Mexiko kamen hier zum Tragen. Der Cowboy wurde über spanische Einflüsse zum Vaquero und es entwickelte sich eine ausdifferenzierte Western-Kultur. Elemente der mexikanischen Folklore verbanden sich dabei mit Merkmalen des US-Westerns.

Siboney Obscura Gutiérrez von der Universität in Mexico City wirft einen Blick auf mexikanische Western der 1960er Jahre. Damals erlebte der Hollywood-Western eine Flaute, dafür gab es frische Impulse über den Spaghetti-Western italienischer Provenienz. Das mexikanische Kino reagierte darauf in seiner ganz eigenen Weise. Impulse aus universitären Kreisen erneuerten in diesem Fall die Szene.

So spielt Arturo Ripstein in seinem Film "Tiempo De Morier" von 1965 mit Stereotypen des Cowboys. "Er zeigt eine Parodie des klassischen Helden", meint Gutiérrez. "Sein Protagonist hat kein Pferd, reitet also selten. Er ist alt. Beim finalen Duell muss er seine Brille aufsetzen. Er zeigt Zeichen von Feigheit – und dann gibt es da noch diese Szene, wo er gemeinsam mit der weiblichen Hauptdarstellerin strickt." Gutiérrez sieht in alledem eine ironische Neuformulierung des Western.

Aborigines, Gauchos und indische Superhelden

An eben diesem Film zeigt Prof. Dr. Christian Wehr vom Fachgebiet Romanistik der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt auch, wie offen das Western-Genre für eine kulturelle Recodierung ist. Geht es im US-Western traditioneller Couleur um den Cowboy als Helden, der mit der Waffe aktiv Recht schafft, sieht das in "Tiempo De Morier" völlig anders aus. "Die Waffe dient nicht mehr der Zivilisierung, sondern ist ein Zeichen der Selbstzerstörung." Eine vaterlose Gesellschaft werde gezeichnet, die sich selbst zum Feind hat.

Verschiedenste nationale Aspekte kamen am ersten Tag der Konferenz zur Sprache. Es ging um "Aboriginal Cowboys" in Australiens "Far West", um Barbarei und Zivilisation im argentinischen Gaucho-Western oder um "Vegetarismus, Clint Eastwood und die tamilische Identität – die Schöpfung eines indischen Superhelden".

Angesichts des kleinen Teilnehmerkreises waren zudem immer wieder Diskussionen und Gespräche am Rande möglich – etwa über die Einflussnahme lateinamerikanischer Regierungen auf die Filmindustrien ihrer Länder. "Hier finden Sie Kollegen, die wirklich kompetent Auskunft geben können", freut sich Klein.

Von Karl May zum deutschen Heimatfilm

Er selbst hat im Laufe seines Projekts rund 150 Filme untersucht und skizziert kurz einen Aspekt seiner Forschung: "Die Landschaft im Western wird immer als etwas Ursprüngliches, Unangetastetes, von der Zivilisation nur zum Teil Erobertes dargestellt. Ob in Australien oder Lateinamerika, sie wird als etwas verwendet, was nationale Identität schaffen kann."

"Das ist unser Land", so die Botschaft dahinter. Ein besonderer Fall seien in diesem Zusammenhang die Karl-May-Filme mit ihren Drehorten in Jugoslawien. Taugen die, um nationale Identität zu suggerieren? "Als zentrales Motiv findet man hier immer die Berge", antwortet Klein. "Da gibt es eine direkte Verbindung zum deutschen Heimatfilm."

Demnächst will Klein untersuchen, wie das Western-Genre in andere Medien vordringt. Der zweite Konferenztag gab darauf bereits einen Vorgeschmack. Der Western als Videospiel kam zur Sprache, der Western im Comic oder die Western-Elemente in der ARD-Krimi-Reihe "Tatort".

Klein hofft auf finanzielle Förderung dieses Fortsetzungsprojekts. Vielleicht lädt er dann wieder zur Konferenz nach Mainz. Genug weiße Flecken gibt es jedenfalls noch auf der Weste des Westerns. Es bleibt noch viel zu entdecken in diesem Niemandsland.