Der mit dem Ball tanzt

15. November 2012

Ohne den Fußball läuft bei Thomas Rist gar nichts – ob in einer Freistunde, beim Spaziergang über den Campus oder im Interview. Immer spielt der Ball mit, denn neben seinem Sportstudium an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist der 29-Jährige einer von Deutschlands erfolgreichsten Freestyle-Fußballern.

79.000 Menschen sahen ihn zur Halbzeit in der Münchner Allianz Arena, noch mehr waren es beim Red-Bull-Flugtag 2012 in Mainz. "Dort stand ich auf der Abflugrampe und habe meine Moves gezeigt", erzählt Thomas Rist und demonstriert gleich, worum es geht bei seinem Sport, seiner besonderen Kunst.

Der Fußball wandert wie schwerelos über seinen Körper. Kurz ruht er auf der Stirn, saust hoch, landet auf dem Kinn, im Nacken, hüpft ein paarmal auf der Schulter. Das sind die Upper Moves. Dann saust das Leder hinab und um die Beine. Ein leichtes Antippen mit dem Fuß scheint zu reichen. Der Ball bleibt immer in der Luft. Alles sieht ungeheuer leicht aus, spielerisch eben. Das sind die Lower Moves. "Es gibt auch noch die Sittings", erklärt Rist. Im Sitzen lässt er Ball und Glieder in atemberaubendem Tempo umeinander kreisen. Das hat was von Breakdance.

"Mit dem Ball kriegst du sie alle"

Knapp hundert Freestyle-Fußballer gibt es in Deutschland, nur wenige können allerdings davon leben. Rist gehört dazu. Über eine Agentur ist er zu buchen. "Mit dem Ball kriegst du sie alle", sagt er, während er das gute runde Stück ausnahmsweise für ein paar Sekunden auf dem stoppelhaarigen Schädel ruhen lässt.

In Kapuzenshirt und Trainingshose ist der 29-Jährige zum Gesprächstermin gekommen. Und natürlich ist der Ball dabei: ein offizieller Matchball der Europameisterschaft, der deutliche Gebrauchsspuren zeigt. Im Auftreten hat Rist etwas von einem Hip-Hopper. Kein Wunder, das ist schließlich die Szene, in der moderner Freestyle-Fußball nun zu Hause ist, nachdem Starkicker, Werbekampagnen von Sportartikelherstellern und die Videokultur im Internet die Jonglage mit dem Ball populär gemacht haben.

Diplomarbeit mit B-Jugend-Kickern

Rist studiert Sport an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Gerade schreibt er an seiner Diplomarbeit, die sich – natürlich – um Freestyle dreht. "Ich untersuche den Einfluss einer Fußball-Freestyle-Intervention auf die technomotorischen Fähigkeiten im Fußball. Ronaldinho, Ronaldo, die Weltbesten beherrschen Freestyle-Tricks, aber direkt beim Spiel kann man eigentlich nichts damit anfangen."

Dann also indirekt? Für seine Pilotstudie hat Rist die B-Jugend des VfB Ginsheim eingespannt. Die jungen Kicker durchliefen eine Eingangsübung mit genau festgelegten Tests. "Dann habe ich die Gruppe halbiert. Mit der Versuchsgruppe habe ich vor jedem Training Freestyle-Tricks geübt, die Kontrollgruppe ging normal zum Training." Danach stand wieder die Übung an. Was dabei herauskam? Rist hält sich bedeckt. "Ich bin noch bei der Auswertung."

"Zuerst beherrscht der Ball dich"

Fußball und Freestyle – wenn es um die Frage geht, was das eine mit dem anderen zu tun hat, gehen die Meinungen stark auseinander. Regelmäßig zeigt Rist seine Moves auf der Frankfurter Zeil als Straßenkunst. "Manche kommen und sagen: Ey, du müsstest eigentlich bei Barcelona spielen. Andere sagen: Das ist doch nur Jongliererei. Das bringt doch nichts."

Dabei ist das mit dem "nur" so eine Sache. Freestyle hat es in sich. Rist begann 2005 damit und tat sich am Anfang schwer. "Die ersten ein, zwei Jahre sind frustrierend, da funktioniert kaum ein Trick. Zuerst beherrscht der Ball dich. Es dauert, bis du den Ball beherrschst." Und selbst, wenn es dann soweit ist, gibt es immer noch viel zu tun. "Freestyle ist so vielfältig. Du kannst nie alle Moves. Das wird nie langweilig."

"Du musst die Crowd kriegen"

Auf seinem Spaziergang über den Universitätscampus zeigt Rist, was er meint. Immer wieder lässt er den Ball laufen. Schnell tropft der Schweiß, denn was so leicht aussieht, kostet Energie und Konzentration. Außerdem ist Rist auch noch Entertainer. Der Ball dient ihm als Kommunikationsmittel. Er fliegt schon mal einer Studentin vor die Füße. "Mach doch mit!"

Viele schütteln den Kopf, lächeln aber immerhin, manche zeigen sich entschieden interessierter. "Du musst die Crowd kriegen", sagt Rist. Das klingt zwar nicht so, ist aber beinahe schon Soziologie. Ein paar Moves hintereinander, schnell bleibt eine kleine Traube Studierender stehen. Und wo ein paar stehen, kommen bald mehr hinzu ...

Kein Verband, kein Regelwerk

"Mein Ball ist der perfekte Eisbrecher." Das merkt der gebürtige Freiburger ganz besonders in seiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, etwa in der Fußballschule des VfB Stuttgart. "Für die Kids ist das ein super Koordinationstraining. Und schon die ganz Kleinen haben ihr Erfolgserlebnis." Zwar muss der Freestyler immer mal ein wenig helfen. Aber wenn dann ein Ball auf einer kleinen Stirn verharrt, ist die Begeisterung groß. "Die hätten sich das selbst nie zugetraut."

Ein Problem haben Freestyle-Fußballer: "Es gibt kein standardisiertes Regelwerk und keinen Verband." Wettbewerbe werden also entweder in Privatinitiative organisiert oder von Firmen ausgerichtet, etwa als Werbung für Sportartikel. "Das läuft ab wie eine Hip-Hop-Battle." Zwei Freestyler treten gegeneinander an, dreimal 30 Sekunden ist Zeit. Bewertet werden unter anderem Kreativität, Kontrolle und Style.

"Macht doch mit!"

Rist allerdings hat sich inzwischen aus dem Wettkampfgeschehen ausgeklinkt. "Ich mache mehr Events." Da nutzt ihm sein Talent als Entertainer. "Das unterscheidet einen guten Freestyler vom sehr guten Freestyler: Der sehr gute spielt nicht nur seine Routine runter. Er macht eine Show daraus."

Bald schließt Rist sein Sportstudium an der JGU ab, das Diplom ist in greifbarer Nähe. Was dann? Für diese Frage fischt Rist den Ball aus der Luft und klemmt ihn unter den Arm. Klar, er wird beim Freestyle bleiben. "Ich arbeite gern mit Kids. In Fußballcamps oder in Heidelberg beim DFB-Talentförderprogramm habe ich das schon getan. Das wäre ein Traumjob. Ich habe einen Trainerschein im Judo, so was liegt mir. Und Kids sind ehrlich. Das mag ich."

Nach diesem Statement fliegt schon wieder der Fußball, das runde Kommunikationsmittel. Ein paar Studierende bleiben stehen. Der Ball rollt auf sie zu. "Macht doch mit!"