18. Februar 2013
Roboter suchen neue Wirkstoffe gegen Krebs oder Alzheimer oder sie prüfen die Wirkung von Nanopartikeln auf den Menschen: Im Mainz Screening Center arbeiten Prof. Dr. Roland Stauber und seine Kollegen an einer ganzen Palette von Fragestellungen. Das Screening Center ist der Schnittpunkt eines weitverzweigten Netzwerks aus verschiedensten Institutionen.
Die freundliche Dame am Empfang der Klinik weiß nichts von einem Mainz Screening Center. "Aber einen Professor Stauber habe ich hier." Sie schaut in ihre Unterlagen, wo er denn nun genau zu finden ist. "Ach, in den Labors. Das ist da ganz hinten."
Da ganz hinten wartet Roland Stauber schon. Auf seinem Tisch stapeln sich Unterlagen. Er räumt ein Plätzchen frei. Im Hintergrund bringt ein Aquarium mit reichlich Wasserpflanzen etwas Grün ins Büro. Die Szene am Empfang nimmt der Professor für Molekulare und Zelluläre Onkologie an der Hals-, Nasen-, Ohrenklinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz mit Humor. "Forscher gelten hier als Exoten, sind aber die Hoffnungsträger für die Patienten von morgen", kommentiert er trocken. Dann wendet er sich dem eigentlichen Thema dieses Treffens zu: dem Mainz Screening Center, kurz MSC.
Von Pilzen, Bakterien und Schwämmen
Es geht darum, neue Wirkstoffe zu finden. Das klingt einfach, hat es aber in sich. Pharmaindustrie und Medizin lechzen nach neuen Stoffen, besseren Arzneien, neuen Therapieansätzen. "Dabei hat man sich früher vor allem auf synthetische Wirkstoffe konzentriert", meint Stauber. "Wir dagegen interessieren uns nun hauptsächlich für natürliche Stoffe aus Pilzen, Bakterien oder Schwämmen. Der Vorteil ist, dass die Evolution da schon eine Auswahl in Richtung Wirksamkeit getroffen hat. Sie nimmt auf Dauer nichts mit, was nur Ballast darstellt. Diese Vorselektion machen wir uns zunutze."
Der Reichtum an Wirkstoffen in der Natur ist bekannt, gerade in den Tropen gibt es viel zu entdecken. "Sie müssen jedoch gar nicht so weit reisen", so Stauber. "Die Vielfalt unserer heimischen Bodenbakterien hat es auch in sich."
An chemischen Verbindungen fehlt es also nicht. Stauber hat an die 30.000 verschiedene im Blick. Doch welche Substanz hat welche Wirkung, wenn sie denn überhaupt wirkt? Hier kommt das Mainz Screening Center ins Spiel, das Stauber initiierte und leitet. Hier ermöglichen Roboter, Stoffe mit ungeheurer Geschwindigkeit zu testen.
Chemiker, Biologen und Mediziner
Das MSC ist die zentrale Schnittstelle in einem Geflecht von Institutionen, das sich zur ChemBioMed-Initiative verbunden haben. Chemiker, Biologen, Bioinformatiker, Mediziner und Pharmazeuten ganz unterschiedlicher Institute arbeiten daran, Forschungsketten zu bilden, die bei der Gewinnung von Naturstoffen beginnen und im Idealfall bei der medizinischen Anwendung enden. Unter anderen sind das Institut für Biotechnologie und Wirkstoff-Forschung (IBWF), die Universitätsmedizin Mainz und die Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit im Boot.
An der Bekanntheit der jungen ChemBioMed-Initiative und des MSC hapert es im Moment noch etwas. Aber voriges Jahr unterstützte die Carl-Zeiss-Stiftung die Initiative mit einer Million Euro. "So etwas bringt unserer Entwicklung einen Schub und Aufmerksamkeit."
Beides ist wichtig, schließlich geht es um viel. Neue Stoffe zur Behandlung von Krebs oder Alzheimer wären dringend nötig. "Gerade wenn es um die Behandlung von Tumoren geht, können wir uns nicht allein mit den vorhandenen Medikamenten zufriedengeben", betont Stauber fest.
Krebszellen und Klebstoffe
Zwar haben auch die Pharmaunternehmen ihre computergestützten Screening Center, auch sie suchen ständig nach neuen Wirkstoffen. "Aber wir haben einen Vorteil", wirft Stauber ein. "In so einem Industrieunternehmen sitzt immer jemand, der überlegt, ob sich eine Untersuchung auch wirtschaftlich lohnt. Solche Zwänge haben wir nicht, wir können auch gewagtere Ansätze verfolgen."
Ein Paradebeispiel dafür ist das Eiweiß Taspase1. In Krebszellen ist es vermehrt vorhanden. Wahrscheinlich setzt das Enzym wichtige Kontrollmechanismen der Zelle außer Kraft. "Wir fanden heraus, dass wir durch ein Aneinanderkleben von Taspase1-Molekülen deren Tumor fördernde Eigenschaft blockieren können." Nun musste noch der richtige Kleber gefunden werden. Dabei kommt nun das MSC ins Spiel. Inzwischen sind Stoffe aus Pilzen und Schwämmen im Visier der Forscher.
"Soll ich Ihnen unsere Labors zeigen?", fragt Stauber und ist schon unterwegs. Für den Laien gibt es nicht allzu viel zu sehen. Hier wirken keine Roboter, sondern Menschen. Einzelne Proben werden mit der Pipette aufgebracht, viele kommen unters Mikroskop, über dem mahnend steht: "Wenn Sie nicht wissen, wie Sie damit umgehen sollen: Fragen Sie!"
Roboter und Forscher
Der Kern des MSC findet sich allerdings in einem anderem Bau, dem sog. Verfügungsgebäude jenseits des Klinikgeländes. Hier drängen sich drittmittelgeförderte Projekte. "Home of the MSC" steht an einer Tür. Dahinter finden sich auf engem Raum Geräte und Kisten. "Wir haben gerade ein Pipettiergerät bekommen", entschuldigt Stauber die Unordnung. Der neue Roboter und der Server für die ungeheuren Datenmengen müssen noch aufgebaut werden.
Daneben steht als Herzstück ein Roboter-Mikroskop. "Es kann sich bis zu 500 Zellen auf einmal anschauen", erklärt Stauber. "Und das mehrfach in bis zu 384 verschiedenen Töpfen." Wichtig ist die Programmierung des Roboters. Die Forscher müssen sich genau überlegen, welche Substanz sie wie und auf was prüfen. Wenn der Roboter das dann "weiß", legt er los ...
Das Mainz Screening Center beackert ein weites Feld. So wird hier auch die Wirkung von Nanopartikeln auf den menschlichen Körper untersucht. Nanopartikel finden sich bereits in vielen Substanzen des Alltags, in Sonnencreme etwa. Auch nanomedizinische Anwendungen stehen in den Startlöchern. Doch wie wirken sie, wenn sie in menschliche Zellen eindringen?
Publicity und Public Relations
Nur wenige Quadratmeter misst der Raum des MSC. "Hier stehen Geräte für rund eine Million Euro", sagt Stauber. "Und das kommt nicht nur der Forschung zugute. Wer mit diesen Robotern im Studium lernt, ist später bei der Industrie sehr gefragt."
Das alles muss nur noch bekannter werden. Das Mainz Screening Center ist offen für neue Partner – und es ist gut platziert in der Universitätsmedizin Mainz, in unmittelbarer Nachbarschaft zur JGU, in der Nähe von Pharmaunternehmen. Alles spricht dafür, dass hier in Zukunft weitere Forschungsketten entstehen. "Mit der Förderung der Carl-Zeiss-Stiftung können wir Grundsteine legen für neue Schwerpunkte", so Stauber. Der Professor wirkt unternehmungslustig.
"Publicity und Public Relations gehören selbstverständlich auch zu unserer Arbeit", meint Stauber zum Abschied vor der Hals-, Nasen-, Ohren-Klinik und Poliklinik. "Kommen Sie doch bald wieder", ruft er noch, bevor er vorbei an der Dame am Empfang in Richtung Labor verschwindet.