Der Weg zum Graecum kann auch spannend sein

20. Juni 2016

Julia-Maria von Schenck zu Schweinsberg lehrt mit Leidenschaft. An der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) macht sie Studierende fürs Graecum fit. Das gelingt ihr offensichtlich gut. Der Funke springt in ihren Kursen über, sie vermittelt die Begeisterung für die altgriechische Sprache und für antike Denk- und Lebensweisen. Dafür wurde sie jüngst mit dem Lehrpreis des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet.

"Die Studierenden kommen nicht freiwillig zu mir", stellt Julia-Maria von Schenck zu Schweinsberg klar. "Sie kommen, weil sie müssen. Sie kommen mit einer Riesenangst, weil sie nochmal für drei Semester eine tote Sprache pauken sollen. Und das alles mit der Ungewissheit: Kriege ich das überhaupt hin?" An beidem arbeitet die Gräzistin von der ersten Stunde an. "Die Angst ist bald weg", erzählt sie. "Die Studierenden merken schnell, dass da niemand vor ihnen steht, der ihnen etwas einbläuen will. Ich unterrichte schleichend."

Seit 2014 ist von Schenck als Lektorin für Griechisch an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz tätig. Hier bereitet sie vor allem angehende Theologinnen und Theologen, aber auch Studierende anderer Fächer auf das Graecum vor. Nun erhielt sie eine besondere Bestätigung für ihre "schleichende" Pädagogik. Das rheinland-pfälzische Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur zeichnete sie mit dem mit 10.000 Euro dotierten Lehrpreis des Landes aus. Vorgeschlagen werden die Preisträgerinnen und Preisträger jeweils von den Studierenden. "Auch deswegen ist diese Auszeichnung eine wunderbare Bestätigung für mich", freut sich von Schenck.

Der Geist muss fliegen

Sie spricht schnell, wenn sie erzählt. Es scheint beinahe so, als wolle sie möglichst viel in jede Stunde hineinpacken, als wollte sie keine Minute verschwenden. Zugleich aber sagt sie: "Ich habe nie eine Uhr dabei – aus Überzeugung. Ich will mich nicht dem Zeitzwang der modernen Welt aussetzen."

Das hat Auswirkungen auf ihre Kurse. "Ich versuche immer eine Zeitreise. Denn um die Sprache zu verstehen, müssen wir lernen, antik zu denken. Ich doziere nicht vorn am Pult, das wäre Scholastik, das wäre Mittelalter. Ich stehe mitten unter den Studierenden wie in der Platonischen Akademie. Oft lesen wir ein Stück Text und es entwickelt sich eine Diskussion. Jemand sagt: Stopp, das sehe ich anders – und plötzlich führt alles in eine ganz andere Richtung. Ich erlebe es oft, dass die Studierenden gar nicht gehen, wenn die Stunde vorüber ist. Sie machen einfach weiter. Das ist ein Austausch, der auch mir ungeheuer viel bringt. So etwas funktioniert aber nur, wenn der Geist fliegt."

Dass Griechisch nicht unbedingt sofort zum Fliegen einlädt, ist von Schenck durchaus bewusst. Es beginnt schon damit, dass es zahlreiche griechische Dialekte gibt, die beinahe schon eigene Sprachen darstellen. Wer Homer lesen kann, versteht noch lange nicht die Texte der großen griechischen Philosophen, ganz zu schweigen vom Idiom der christlichen Scholastiker.

Lehren als Privileg

"Also muss ich eine Auswahl treffen." Von Schenck konzentriert sich in ihren Kursen fürs Graecum auf Platon. Daneben bietet sie Koine-Kurse an, die weniger tief in die Sprache und die Vergangenheit eindringen: Koine ist der Dialekt des Hellenismus, der römischen Kaiserzeit, der frühen Christen und des Neuen Testaments. "Vor einigen Jahren waren die Koine-Kurse besser besucht als die Graecum-Kurse. Bei mir hat sich das umgekehrt. Viele sagen, sie möchten sich mehr mit der Sprache beschäftigen, und machen dann das Graecum, obwohl sie es gar nicht brauchen."

Schnöde Formalitäten wie die vorlesungsfreie Zeit wischt von Schenck beiseite. "Meine Kurse laufen auch nach Semesterende weiter. Diese akademische Studierweise lässt sich nicht in einen Zeitrahmen pressen." Der Zuspruch bleibt groß, das weiß von Schenck, auch wenn sie nicht genau Buch darüber führt. Wer möchte und kann, der kommt. "Ich hasse Anwesenheitslisten wie die Pest."

Die Evangelisch-Theologische Fakultät lässt der Gräzistin viel Spielraum. "Ich bin eingebunden in ein Team, bin aber zugleich mein eigener Boss. Ich gestalte meine Kurse und suche aus, welche Lektüre passt. Da redet mir niemand hinein." Das sieht sie als großes Privileg.

Griechisch und Sanskrit

Lehren ist für von Schenck eine Leidenschaft, die tief wurzelt und früh begann. "Lehren ist die Kür", sagt sie. Mit gerade mal sechs Jahren rief sie die Kinder aus der Nachbarschaft in die elterliche Garage zum Vorschulunterricht. "Ich holte sie persönlich ab, egal, ob sie wollten oder nicht", erinnert sie sich lächelnd. "Einige Eltern beschwerten sich. Sie meinten, das ginge nun doch zu weit." Als die Sprösslinge allerdings in der Schule ausgesprochen gut abschnitten, verstummte die Kritik.

Von Schenck lehrt nicht nur gern, auch ihr Wissensdurst ist groß. "Ich wollte alles studieren: Geschichte, Archäologie, Philosophie ..." Sie beschränkte sich dann auf Klassische Philologie mit Griechisch und Latein, dazu kam die Germanistik. Damit deckt sie zumindest die Zeit von den Grundlagen der europäischen Zivilisation bis zur Gegenwart ab.

"Im Moment lerne ich Sanskrit", erzählt sie. Das eröffne ihr einen neuen Blick aufs Altgriechische. "Es gibt, nur um ein Beispiel zu nennen, die griechische Verbgruppe der sogenannten μι-Verben, an der man die Verwandtschaft des Altgriechischen mit dem Sanskrit besonders gut aufzeigen kann. Wenn ich das den Studierenden erklären, wenn ich die Beziehungen zwischen Sanskrit und Griechisch aufzeigen kann, bleibt das viel besser im Gedächtnis, als wenn ich ihnen nur sage: Diese Verben sind anders als die anderen."

Athen und die Flüchtlinge

Ach ja: und Farsi, die Sprache der Perser, die lernt sie auch noch. "Sanskrit lerne ich für meine Forschung", stellt sie klar. "Farsi für meine Flüchtlingsarbeit." In der vorlesungsfreien Zeit reist von Schenck regelmäßig nach Athen, um in einer Caritas-Einrichtung zu arbeiten. Dann müssen die Griechischkurse auf dem Gutenberg-Campus doch kurz ruhen. "Am Anfang war es nur eine Suppenküche für Obdachlose", erzählt sie. Dann kamen die Flüchtlinge. "Inzwischen haben wir eine Schwangerenberatung, einen Kindergarten, Englischunterricht und vieles mehr."

Damit ist sie bei einem Thema, über das sie mindestens so leidenschaftlich berichtet wie über ihre Arbeit an der Universität. In einer Ecke ihres Büros stehen bunte Schulranzen. Diese bekommt eine syrische Familie, deren Kinder demnächst eingeschult werden. Von Schenck sammelt Geld für Flüchtlinge, besucht Heime zu Hause im Hunsrück oder in Mainz. Sie half dabei, eine auseinandergerissene Familie zusammenzuführen. Sie schaut, wo Jobs zu haben sind für Flüchtlinge, oder sie bringt einfach mal einen Kofferraum voll Kuscheltiere zu den Kindern.

Bei diesen Erzählungen schwingt eine Grundüberzeugung mit: Jeder kann etwas tun. "Ich würde gerne mal einen Vortrag über meine Flüchtlingsarbeit hier an der Universität halten", meint von Schenck. Sie hält kurz inne, dann berichtet sie weiter von Athen, von Griechenland, wie es den Menschen dort geht – und von den Flüchtlingen hier in Deutschland. Es muss einfach viel hinein in eine Stunde, in ein Gespräch. Von Schenck schöpft aus, was es zu schöpfen gibt.