14. August 2019
Vor zehn Jahren begründeten die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und die Sektion Kalima des Kultur- und Tourismusministeriums von Abu Dhabi eine Kooperation: Werke aus dem Deutschen sollten ins Arabische übertragen werden. Am Germersheimer Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) formierte sich ein Pool von Übersetzerinnen und Übersetzern, der bis heute 142 Titel übertragen hat.
"Das Interesse an Literatur ist enorm in der arabischen Welt", sagt Mahmoud Hassanein. "Speziell Übersetzungen sind sehr beliebt und die Übersetzer selbst spielen eine entschieden prominentere Rolle, als man das zum Beispiel aus Europa kennt. Viele Leserinnen und Leser wählen ihre Lektüre danach aus, wer den Text übertragen hat. Sie vertrauen dem Urteil des Übersetzers, seiner Auswahl und der Qualität seiner Arbeit."
Während Hassanein erzählt, kramt er in einigen großen Kartons, die neben seinem Arbeitsplatz an der JGU-Dependance in Germersheim stehen. Sie sind bis obenhin vollgestopft sind mit Büchern. Zuerst fördert er Christa Wolfs Erzählung "Leibhaftig" zu Tage, es folgen Daniel Glattauers Roman "Gut gegen den Nordwind" und "Atemschaukel" von Herta Müller – alle aus dem Deutschen ins Arabische übersetzt. Als Nächstes präsentiert Hassanein eine Reihe Kinder- und Jugendbücher: Er selbst übertrug unter anderem Peter Härtlings "Das war der Hirbel" und "Eine Woche voller Samstage" von Paul Maar. "Wir haben hier auch Essaybände und Sachbücher", sagt er. Walter Benjamin ist ebenso vertreten wie Joschka Fischer mit "Die Rückkehr der Geschichte: Die Welt nach dem 11. September und die Erneuerung des Westens".
Germersheim als kompetenter Partner
Diese reiche Auswahl an Werken ist das Ergebnis eines großen Übersetzungsprojekts, das vor gut zehn Jahren startete: Im März 2009 wurde in Gegenwart des damaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck eine Absichtserklärung unterschrieben, die eine äußerst fruchtbare Kooperation zwischen der JGU und der Sektion Kalima des Kultur- und Tourismusministeriums von Abu Dhabi besiegelte.
"Ich war seinerzeit wissenschaftliche Hilfskraft am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft in Germersheim", erinnert sich Hassanein. "Kalima wurde zwei Jahre zuvor gegründet, um Übersetzungen ins Arabische zu fördern. Die Sektion fungiert dabei auch als Staatsverlag, der selbst Bücher herausbringt. Nun suchte man dort geeignete Ansprechpartner für Übersetzungen aus dem Deutschen – und zufällig suchten auch wir in Germersheim Unterstützung für unsere Übersetzungsarbeit." Dr. Hans-Joachim Bopst und Diplomübersetzer Mustafa Al-Slaiman vom Arbeitsbereich Interkulturelle Germanistik der JGU traten in Kontakt mit den Verantwortlichen von Kalima. "Sie brachten das Ganze in Gang und Mustafa Al-Slaiman koordiniert bis heute das Projekt, auch wenn er mittlerweile in Berlin lebt und arbeitet."
Der Germersheimer Fachbereich entpuppte sich als attraktiver Partner für Kalima: Schnell fand ein Pool von 24 kompetenten Übersetzerinnen und Übersetzern zusammen, die bis auf wenige Ausnahmen am Fachbereich tätig waren oder dort ihren Abschluss gemacht hatten. Hassanein war mit von der Partie. Er weiß noch, wie ihm sein damaliger Dozent Al-Slaiman Härtlings "Das war der Hirbel" in die Hand drückte mit den Worten: "Das musst du unbedingt übersetzen."
Autoren- und Übersetzertreffen zum Jubiläum
Für Hassanein war das eine wichtige Weichenstellung. Er profilierte sich als Literaturübersetzer und konnte 2014 in seiner Geburtsstadt Kairo den Deutsch-Arabischen Übersetzerpreis des Goethe-Instituts entgegennehmen. In Germersheim ist er als Lehrkraft für den Übersetzungsunterricht vom Deutschen ins Arabische sowie für sprachübergreifende Lehrveranstaltungen im Bereich Translationswissenschaft und Literaturübersetzen zuständig. Unter anderem arbeitet er an einem Konzept, das Arabische als erste und zweite Fremdsprache am Fachbereich zu etablieren. "Das Interesse am Arabischen ist bei unseren Studierenden ungewöhnlich groß", sagt er.
Im Juni dieses Jahres feierte Germersheim mit einer Jubiläumsveranstaltung den zehnten Geburtstag des Übersetzungsprojekts. Hassanein saß mit Al-Slaiman im Organisationsteam. Unter anderem lasen sechs prominente deutschsprachige Autorinnen und Autoren gemeinsam mit ihren Übersetzerinnen und Übersetzern: Ilma Rakusa, Klaus Reichert, Paul Maar, Annika Reich, David Wagner und José Oliver trafen auf Shatha Kilani und Samir Grees, Mustafa Al-Slaiman und Mahmoud Hassanein.
"In den zehn Jahren ist eine ganze Bibliothek zusammengekommen", zieht Al-Slaiman von Berlin aus Bilanz. "Wir haben 142 Titel übersetzt. Dabei war es mir immer wichtig, dass unsere Leute gut honoriert werden: Sie bekommen 40 Euro für eine Standardseite, obwohl ein Betrag um 24 Euro üblich ist. Außerdem habe ich Wert darauf gelegt, dass ihre Namen auf der Titelseite der Bücher erscheinen, was so nicht üblich ist. Dazu gibt es noch weitere Anerkennungen: Wir laden zu Workshops ein und sind auch regelmäßig auf den Buchmessen in Frankfurt und Abu Dhabi zu Gast."
Die Arbeit mit den deutschen Verlagen entwickelte sich über die Jahre sehr positiv. "Mit vielen der Autorinnen und Autoren verbindet mich außerdem mittlerweile eine enge Freundschaft", sagt Al-Slaiman. Gleich zu Beginn des Projekts führten solche Verbindungen zu einem besonderen Phänomen: "2009 bekam ich Herta Müllers neuestes Buch 'Atemschaukel' noch vor der Veröffentlichung als Datei. Wir konnten also die arabische Übersetzung fast zeitgleich mit dem Original herausbringen und damit die Verleihung des Literaturnobelpreises an Müller im selben Jahr gemeinsam feiern."
Drei Millionen Euro für neue Übersetzungen
Das erfolgreiche Übersetzungsprojekt geht weiter. "Unser Jahresetat ist von Kalima noch mal erhöht worden", freut sich Al-Slaiman. "Er liegt nun bei zwölf Millionen Dirham. Das sind rund drei Millionen Euro nur für die Übersetzungen und die Verwaltung. Insgesamt übertragen wir aus elf Sprachen, aber die deutsche Literatur nimmt den größten Platz ein: Keine andere erreicht solch ein Volumen." Zudem sei die Qualität außerordentlich. "Ich arbeite mit wunderbaren Kollegen zusammen. Mahmoud Hassanein zum Beispiel überträgt nicht einfach ins Arabische, er arbeitet mit den Autoren zusammen und schreibt im Grunde einen eigenen Text. Gerade bei Maar ist ihm das besonders gut gelungen. Die Anerkennung dafür war hoch."
In Germersheim packt Hassanein die Bücher zurück in ihre Kartons. „Ich bin nur ein Übersetzer unter vielen", stellt er klar. "Ich will mich nicht in den Vordergrund drängen." Doch immerhin ist er derjenige, der bis heute das Übersetzungsprojekt in Germersheim vertritt, der von der Arbeit daran erzählen kann.
Jene 142 Bände sind übrigens ein Geschenk von Kalima. Sie waren anlässlich der Jubiläumsveranstaltung in einer Ausstellung am Fachbereich zu sehen. Klar ist, dass weitere hinzukommen werden. Und klar ist auch, dass Al-Slaiman, Hassanein und Co. spätestens 2021 ihre Arbeiten auf der Buchmesse Abu Dhabi präsentieren werden, denn dort wird Deutschland einen Gastauftritt haben – mit dem Sams und dem Hirbel, mit Müllers "Atemschaukel", mit Rilkes Gedichten, Kafkas Tagebüchern und vielem mehr.