Die Lehre vom niedermähenden Schwert

11. April 2013

Gerade mal 50 Sportlerinnen und Sportler trainieren in Deutschland mit der japanischen Schwertlanze, der Naginata. Einige davon tummeln sich in den Turnhallen des Allgemeinen Hochschulsports der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Mehrmals wöchentlich legen sie ihre Rüstungen an und messen sich im Kampf.

Es wird laut in der Gymnastikhalle. Schreie hallen durch den Raum. Dazu ist das Klacken der hölzernen Schwertlanzen auf die Rüstungen zu hören. "Men, S'ne, Men, Men, S'ne!" Wie ein Tanz mit Waffe wirkt das, was die Sportler da vollführen. "S'ne, Dô!" Vor geht es und zurück, Blocken und Angreifen im Wechselspiel. "Men, S'ne, S'ne!"

"Manche kostet es am Anfang schon Überwindung, den Gegner so anzubrüllen", erzählt Thomas Gerstmann. "Das ist eben ungewohnt." Ungewohnt ist so einiges an diesem Sport. Naginata nennt sich die Waffe, mit der ein gutes halbes Dutzend Studierende hier regelmäßig trainieren, Atarashi-Naginata heißt die Sportart. Wörtlich übersetzt bedeutet das "neuer Naginatastil".

Mainzer üben japanische Kampfkunst

Gerstmann ist einer der Trainer dieser kleinen Gruppe. "In meinem ersten Semester habe ich mir diese Sportart ausgeguckt", erzählt er. "Ich wollte irgendetwas mit Waffen machen. Kendo kannte ich schon, aber Naginata hatte ich noch nie gehört. Okay, dachte ich, das versuchst du."

Der angehende Politikwissenschaftler zeigt seine Naginata: 2,20 Meter ist sie lang. Der Schaft besteht aus japanischer Eiche, obenauf sitzt ein gebogenes Teil aus Bambus. "Erste Aufzeichnungen zur Naginata gibt es um das Jahr 750 n. Chr." Im alten Japan waren sie Teil des Waffenarsenals der Samurai. Neben dem Schwertkampf und dem Bogenschießen gehört Naginatadō zu den ältesten Kampfkünsten des Landes. "Es heißt, die ersten Naginata seien entstanden, als man kaputte Samurai-Schwerter auf einen Holzschaft pflanzte."

Naginata bedeutet "niedermähendes Schwert". "Auch wenn es für viele wie ein Speer aussieht, es ist ein Schwert. Wir stechen auch nicht, wir schneiden." Die Reichweite der Waffe ist groß, deswegen braucht es zum Training Platz. Die weite Halle ist auch bei wenigen Sportlern schnell voll.

Der Alltag bleibt zurück

Am Beginn einer jeden Stunde steht die Einstimmung. "Wir lassen den Alltag hinter uns. Smalltalk über das Kinoprogramm oder das Studium gibt es nicht. Dafür treffen wir uns zum Stammtisch." Gerstmann merkt wohl selbst, dass er gerade etwas ernst klingt, also schiebt er nach: "Das heißt nicht, dass es bei uns nichts zu lachen gäbe."

Es geht nicht gleich in den Kampf. Zuerst werden Figuren durchgespielt. Die Sportler stehen im Kreis. Ihre Rüstungen liegen noch am Rand. Die Bündel bilden eine exakte Reihe. Auch das gehört zum Sport. Vieles schöpft Naginata aus alten Traditionen. So liegt das Bündel des unerfahrensten Kämpfers der Eingangstür am nächsten. Die Ausrüstung des erfahrensten ist am weitesten vom Eingang entfernt. "Wenn ein Angreifer hereinkäme, würde er zuerst auf die neuen Krieger treffen, der erfahrene hätte Zeit sich vorzubereiten", erklärt Gerstmann die dahinter stehende Taktik.

Die Sportler haben sich jetzt paarweise aufgestellt. Sie greifen wechselweise an und blocken. "Das ist ein festgelegter Schlagabtausch. Wir müssen das Timing und die Schläge perfekt beherrschen." Das Tempo bestimmen die Paare selbst. "Besser, sie machen es langsam und führen alles sauber aus, als wenn sie schnell und ungenau sind." Auf die Körperhaltung kommt es an, auch der Abstand muss stimmen.

Engi und Shiai – zwei Wettkampfformen

Auf Wettkampfebene ist dies eine extra Disziplin, Engi genannt. "Man hat einen festen Partner und weiß auch ein paar Wochen vorher, welche Formen verlangt sind. Zwei Teams treten gegeneinander an, drei Wettkampfrichter beurteilen die korrekte Ausführung." Das alles passiert noch ohne Rüstung.

Doch nun wird es allmählich Zeit für Shiai, den eigentlichen Kampf. Die Sportler legen ihre Rüstungen an. Ein jeder kniet hinter seinem Bündel. Zur Ausrüstung gehören Schienbeinschoner (Sune), ein Brustpanzer (Dô), der Helm (Men) und die gepolsterten Handschuhe mit Gelenkschutz (Kote). Lagen aus dicht gewobener Baumwolle schützen die Sportler. Das Helmgitter besteht aus in Holz gefasstem Titan.

"Als im 17. Jahrhundert die Schutzkleidung aufkam, wurde das durchaus kontrovers diskutiert", erzählt Gerstmann. Inzwischen ist sie fester Bestandteile des Atarashi-Naginata, des neuen Naginatastils.

Nicht nur der Treffer zählt

Ein Kampf dauert nur wenige Minuten. Es gewinnt der, der zuerst drei Treffer erzielt. Dabei muss der Sportler immer ansagen, wohin er schlägt beziehungsweise schneidet. Die Zielzonen korrespondieren mit den Rüstungsteilen. "Men" meint den Kopf, "Sune" den Unterschenkel, wobei im Eifer des Gefechts gern ein gebrülltes "S'ne" daraus wird.

"Ich muss nicht nur treffen", stellt Gerstmann klar. "Ich muss korrekt ansagen, muss die korrekte Körperhaltung haben, meine Körperspannung halten. Und auch die Körperhaltung meines Gegenübers spielt eine Rolle."

Hinter Atarashi-Naginata steckt wie hinter so vielen japanischen Kampfsportarten eine ganze Philosophie – und wie bei den meisten asiatischen Kampfsportarten kommt es nicht auf die Kraft an. "Der 80-Jährige kann gegen die 20-Jährige antreten. Geschlecht und Alter spielen da keine Rolle." Auch die Gruppe, die hier trainiert, ist gemischt. Eine Studentin tritt durchaus mal gegen einen zwei Köpfe größeren Kommilitonen an.

Anfänger sind immer willkommen

Rund 50 Sportler üben in Deutschland mit der Naginata. "Wir sind eine kleine Gemeinde, aber wir versuchen, zu vielen Wettkämpfen zu fahren." Unlängst waren die Mainzer in Prag zu Gast. Einen deutschen Vizemeister haben sie auch schon gestellt.

"Wir freuen uns immer über Anfänger", meint Gerstmann. Ein gewisser Fundus an Ausrüstung ist da. "Und wenn was fehlt, improvisieren wir. Notfalls behelfen wir uns sogar mit einem Besenstil."

Neugierige sind also willkommen. Und gerade bei einem engen Studienplan oder im Prüfungsstress empfiehlt Gerstmann Atarashi-Naginata. "Es gibt nicht Besseres, um mal für zwei Stunden abzuschalten", so der Politikwissenschaftler.