8. August 2024
Das knallrote Science Sofa steht im Innenhof des Forums auf dem Gutenberg-Campus. Grünes Gras, Bäume spenden Schatten, auf dem markanten Sofa haben Prof. Dr. Michael Maskos und Prof. Dr. Stefan Müller-Stach Platz genommen. Physikochemiker Maskos leitet das Fraunhofer-Institut für Mikrotechnik und Mikrosysteme (IMM) in Mainz und ist seit März 2020 Vorstandsvorsitzender der MAINZER WISSENSCHAFTSALLIANZ (MWA), Mathematiker Müller-Stach ist seit 2017 Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und – ebenfalls seit 2020 – stellvertretender Vorsitzender der MWA. Im Interview sprechen die beiden über das große Potenzial der MWA für Stadt und Region.
Herr Prof. Maskos, Herr Prof. Müller-Stach, was zeichnet die MAINZER WISSENSCHAFTSALLIANZ aus?
Maskos: Die Allianz ist ein Netzwerk aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in und für Mainz und Umgebung. Von Anfang an hat die MWA in die Stadtgesellschaft und in die Region hineingewirkt und sich gleichzeitig in der Vernetzung von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen vor Ort engagiert. Wir blicken bereits auf mehr als 15 Jahre zurück: Unser Netzwerk hat sich 2008 zusammengeschlossen, ab 2009 haben wir gemeinsam mit der Landeshauptstadt und dem Wissenschaftsministerium für Mainz als "Stadt der Wissenschaft 2011" geworben – mit Erfolg – und 2013 wurde dann unser Verein gegründet. Seither steckt in unserer Arbeit "jede Menge Musik". Ich mag diese Metapher sehr, weil sie ein Ensemble nahelegt: Wenn ich mir nämlich die vielen beteiligten Organisationen und Personen mit ihren jeweiligen Themenschwerpunkten anschaue, dann ist das wie ein großes Sinfonieorchester mit vielen begnadeten Musikerinnen und Musikern. Das wiederum macht die Koordination durch den Verein und seinen Vorstand wichtig. Denn auch ein Spitzenorchester braucht Dirigentinnen und Dirigenten.
Müller-Stach: Die Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist Gründungsmitglied der Wissenschaftsallianz. Von Beginn an und insbesondere in den letzten Jahren hat die Allianz mit ihren Angeboten die Relevanz von Wissenschaft immer wieder klar herausgestellt. Vor dem Hintergrund der Pandemie und der anderen Krisen unserer Zeit ist die MWA wichtiger geworden als je zuvor.
Maskos: Die Allianz kann dazu beitragen, Mainz in der Welt noch sichtbarer zu machen. Dafür bietet unsere Mitgliederstruktur sehr gute Ausgangsbedingungen. Neben der JGU zählen zur MWA die weiteren Mainzer Hochschulen und die TH Bingen sowie die ortsansässigen außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Hinzu kommen Museen und forschende Unternehmen von BioNTech über Boehringer Ingelheim bis Schott.
Müller-Stach: Die Bedeutung der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wird weiter zunehmen. Gerade der geplante Biotechnologiecampus in unmittelbarer Nachbarschaft zur JGU wird dem Standort eine noch stärkere Rolle verleihen. Die Struktur der Wissenschaftsallianz zeigt, wie gut wir in der Region aufgestellt sind. Da geht es um Forschung, aber auch um Nachwuchsförderung und um den Transfer von Forschungsergebnissen in Wirtschaft und Gesellschaft. Dass wie in Mainz gleich vier namhafte, große Fördergesellschaften – Fraunhofer, Helmholtz, Leibniz und Max Planck – an einem Standort vertreten sind, ist in Deutschland nicht häufig. Das zeichnet uns wirklich aus. Klar ist aber auch: Die MWA darf sich nicht auf dem erreichten Status ausruhen, sondern muss immer neue Ideen entwickeln und umsetzen.
Welchen Stellenwert hat die Wissenschaftsallianz denn in der Stadt- und Regionalgesellschaft?
Maskos: Gerade der Wissenschaftsmarkt im Sommer in der Mainzer Innenstadt hat ein großes, treues und begeistertes Publikum. Und für unsere Reihe des "Meenzer Science-Schoppe" ist 2024 bisher das beste Jahr seit Programmstart. Hier treffen aktuelle Forschung und Mainzer Weinkultur in lockerer Atmosphäre zusammen. Das ist ein Stück lebendiger Alltag in der Wissenschaftsstadt Mainz. Und hier wird das Potenzial der Allianz als Vermittlerin und Netzwerkerin deutlich.
Der Wissenschaftsmarkt ist das wohl bekannteste Format der MAINZER WISSENSCHAFTSALLIANZ in der Stadt und der Region. Seit 2002 ist er jeweils im Sommer in der Mainzer Innenstadt zu Gast – ausgerichtet zunächst von der JGU, seit 2009 von der Allianz. Der diesjährige Markt steht – wie alle MWA-Veranstaltungen im Themenjahr 2024 – unter dem Motto "Mensch und Wachstum" und findet am 7. und 8. September rund um den Gutenbergplatz statt. Hier präsentieren Mainzer Wissenschaftler*innen ihre aktuelle Forschung und laden große und kleine Besucher*innen zum Erleben und Mitmachen, zum Staunen und Nachfragen ein. Kurzum: Wissenschaft zum Anfassen!
Feierabend und noch wissensdurstig? In der Reihe Meenzer Science-Schoppe bringen Mainzer Wissenschaftler*innen aktuelle Forschung auf den Tresen, beantworten Fragen und laden zur Diskussion ein. Kurz, unterhaltsam und bei einem gepflegten Schoppe!
Müller-Stach: Die Sichtbarkeit der MWA weiter zu stärken, ist für uns ein wichtiges Anliegen. Ausgerechnet die Pandemie hat da einiges bewegt. Es war ja eine Zeit, in der viele Veranstaltungen schwierig umzusetzen waren. Hier konnten wir ganz niedrigschwellig in den Sommerferien an der Reihe "Mainz lebt auf seinen Plätzen" teilnehmen – ein Angebot, das wir dank unserer Kooperation mit der Landeshauptstadt auch heute erfolgreich anbieten. Den Wissenschaftsmarkt 2021 haben wir als digitale Online-Veranstaltung umgesetzt und mit der "Mainzer Science Box" zum Mitnehmen ergänzt. So haben wir einige Dinge überdacht oder neu aufgesetzt – und den Impuls für neue Ideen und Formate genutzt.
Maskos: Zur Stadtgesellschaft gehört auch die Vielfalt der Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen. Deshalb sind die Netzwerke wichtig, an denen sich die Wissenschaftsallianz beteiligt. Hier möchte ich den Mainz Campus Research Council nennen, das Dual Career Netzwerk Rhein-Main und die AG Junge Wissenschaft als Netzwerk für wissenschaftliche Nachwuchsförderung unter dem Dach der MWA. Zu unserer Strategie gehört ganz klar, nicht nur ein Programm mit attraktiven Angeboten zu erstellen, sondern Netzwerke in der Region aktiv mitzugestalten.
2020 wurde unter dem Dach der MAINZER WISSENSCHAFTSALLIANZ der Mainz Campus Research Council (MCRC) gegründet. Dieser soll die strategische Zusammenarbeit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit den außeruniversitären Forschungspartnern der MWA fördern und gemeinsame Aktivitäten und Projekte in der Forschung intensivieren.
Das Dual Career Netzwerk Rhein-Main (DCN-MRM) ist ein Netzwerk von Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen im Rhein-Main-Gebiet. Das Netzwerk unterstützt Partner*innen neu eingestellter Spitzenkräfte, eine ihrem Karriereziel entsprechende Stelle zu finden. Die MAINZER WISSENSCHAFTSALLIANZ unterstützt die Arbeit des Dual Career Netzwerks Rhein-Main und viele Mitglieder der MWA sind auch im DCN-MRM vertreten.
Die AG Junge Wissenschaft fördert den wissenschaftlichen Nachwuchs der MWA-Mitgliedseinrichtungen in frühen Karrierephasen, indem sie Raum für kollegialen Austausch schafft und Veranstaltungen für junge Forschende ausrichtet. Aktuell bereitet die AG einen Science Slam vor, bei dem Promovierende und Postdocs aus Mainz ihre Forschungsthemen und Fachgebiete in 10-minütigen, unterhaltsamen Vorträgen auf die Bühne bringen.
Kommunikation über aktuelle Forschung ist für die Allianz ein Kernelement der Arbeit nach außen. Wie groß ist deren Relevanz heute?
Maskos: Die Bedeutung von Wissenschaftskommunikation ist größer denn je. Für mich war es gerade in der Pandemie eine neue Erfahrung, dass Menschen ganz bewusst wissenschaftliche Aussagen ablehnen, obwohl diese argumentativ und faktengetrieben begründet sind. Dabei nimmt die Bedeutung der Wissenschaft für unsere Zivilgesellschaft doch stetig zu. Denn sie ist der entscheidende Innovationstreiber für Zukunftslösungen, die den Standort Deutschland prägen werden. Es ist eine Herausforderung zu schauen, ob Wissenschaftskommunikation in der Öffentlichkeit tatsächlich wirkt. Dabei geht es um nichts Geringeres, als unsere wehrhafte Demokratie zu stärken und die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger durch Wissen zu fördern.
Müller-Stach: Wissenschaft muss in ihrer Kommunikation nach außen an bestimmten Punkten sehr klar sein und deutlich Positionen beziehen, indem sie Hintergründe analysiert, schwierige Sachverhalte reflektiert und Lösungsmöglichkeiten erforscht. Natürlich geht es auch darum, stets offen zu sein für Dialog. Wobei klar ist: Unsere demokratischen Grundfesten sind nicht verhandelbar!
Welche Ziele setzt sich die Wissenschaftsallianz für die kommenden Jahre?
Müller-Stach: Ein wichtiges Anliegen für uns ist es, wie schon gesagt, eine stärkere Sichtbarkeit zu schaffen. Natürlich ist die Allianz der Organisator des Wissenschaftsmarkts – aber eben auch noch viel mehr. Das funktioniert heute schon bei vielen Themen und Veranstaltungsreihen – auch im Zusammenspiel mit der Stadt Mainz. Formate wie das Science Sofa und der Science Slam der AG Junge Wissenschaft am 12. September 2024 tragen ebenfalls dazu bei.
Maskos: Wir schauen uns auch immer wieder interessante Ansätze wie etwa Citizen Science an, also die Einbindung der Stadtgesellschaft in wissenschaftliche Projekte. So etwas ist sehr spannend und kann gleichzeitig sehr herausfordernd sein. Die MAINZER WISSENSCHAFTSALLIANZ kann dazu beitragen, dieses Potenzial zu heben.
Interview: Peter Thomas