Die Universität zum Klingen bringen

21. Dezember 2015

Mit seinem Collegium musicum bietet die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) den Studierenden, Lehrenden und Angestellten der Hochschule die Möglichkeit, auf hohem Niveau gemeinsam zu musizieren. UniChor, UniOrchester und der 2013 gegründete Gutenberg-Kammerchor präsentieren die gesamte Bandbreite klassischer Musik.

Wenn Prof. Felix Koch über den schulischen Musikunterricht der 1970er- und 1980er-Jahre spricht, dann wird er leidenschaftlich. Der Musikpädagoge, der sonst so offen und freundlich lächelt, gerät sogar ein wenig in Rage. "Musikalische Bildung fand damals einfach nicht statt. Der Unterricht war zum Teil katastrophal. Die Musik wurde in den Hintergrund gedrängt. Entsprechend spielt für weite Teile der heutigen Elterngeneration klassische Musik kaum eine Rolle. Es fehlt dieser Generation – und damit auch deren Kindern – zumeist eine breite musikalische Sozialisierung."

Der Leiter des Collegium musicum setzt dem seine Botschaft entgegen: "Die Menschen müssen wieder lernen, Musik nicht als belanglose Nebensache, sondern als Kunstform zu begreifen. Wir müssen ihnen sagen, dass sie alle fähig sind, Musik zu machen, Musik miteinander zu erfahren. Der Begriff 'Person' kommt schließlich vom Lateinischen 'personare'. Er bedeutet 'durchtönen' oder 'in sich klingen'." Und klingen sollen die Menschen, wenn es nach Koch geht – ob in der Schule, wo er selbst einst als Musiklehrer unterrichtete, oder an der Universität.

Intensives Musizieren

Seit 2010 lehrt Koch als Professor für Alte Musik und Barockcello an der Hochschule für Musik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, im Jahr 2012 übernahm er die Leitung des Collegium musicum. Jüngst kam das Amt des Prorektors der Hochschule für Musik hinzu. Er hat also einiges zu tun. Dennoch nimmt er sich Zeit für ein Gespräch, bevor am Abend die Proben des UniOrchesters beginnen.

Das Büro des Collegium musicum liegt auf der Rückseite der Alten Mensa auf dem Gutenberg-Campus. An sich ist der Raum nicht klein, aber ein Cembalo steht vor Kochs Schreibtisch, das nimmt tüchtig Platz ein. Der Ellenbogen reibt sich am Instrument. Musik liegt buchstäblich nahe.

Immer mal wieder kommt ein Mitarbeiter herein, um die Raumsituation zu klären. Idealerweise sollen sich die Musikerinnen und Musiker über mehrere Säle verteilen. Geiger, Bratschisten, Cellisten, Blech- und Holzbläser sollen getrennt proben, bevor sie sich nach gut zwei Stunden zum Orchester vereinen. Die gesamte Alte Mensa wird erklingen.

"Ich kenne keine andere Universität in Deutschland, die Laien ein so intensives Musizieren ermöglicht", meint Koch. Mit der Wiedereröffnung der JGU durch die Franzosen im Jahr 1946 wurde zugleich das Collegium musicum gegründet. Es feiert also zusammen mit der Universität im kommenden Jahr seinen 70. Geburtstag.

Ein anderes Miteinander

Gleich zu Beginn war klar: Hier sollten Lehrende und Angestellte der Hochschule, vor allem aber Studierende aller Fachbereiche gemeinsam musizieren. "Sie alle treffen sich gleichberechtigt, das ist ein wichtiger sozialer Aspekt. Sie schaffen über die Musik ein anderes Miteinander als im Universitätsalltag."

Das Collegium musicum deckt alle Bereiche der Chor- und Orchestermusik ab. Aktuell zählt es rund 260 Mitwirkende. UniChor und UniOrchester erarbeiten jedes Semester ein neues Programm, das zum Abschluss einem breiten Publikum präsentiert wird. Daneben gibt es diverse Kammermusik-Ensembles und den von Koch 2013 ins Leben gerufenen Gutenberg-Kammerchor.

Einzigartig in der deutschen Hochschullandschaft ist die intensive Weiterbildung im Collegium musicum. Die eigene Chorakademie bietet nicht nur Anleitung im Gesang: Unterstützung in Stimm- und Gehörbildung oder Musiktheorie stehen ebenso auf dem umfangreichen Programm. In der Orchesterakademie dreht sich derweil alles ums Instrumentalspiel. Vieles wird im Einzelunterricht vermittelt, immer stehen professionelle Musiker oder Lehrkräfte zur Verfügung.

"Wir erreichen ein sehr hohes Niveau", sagt Koch. "Mit Laien muss ich vielleicht länger proben als zum Beispiel mit den Studierenden unserer Hochschule für Musik, aber das Ergebnis ist oft sehr gut." Und dieses längere Proben ist durchaus kein Nachteil. "Man wächst ganz anders in ein Stück hinein, wenn man mehrere Wochen damit arbeitet."

Der Gutenberg-Kammerchor

Angesichts der oft vollen Stundenpläne bewundert Koch die Disziplin der Studierenden. "Sie sind extrem gut organisiert und schaffen es, ein zeitintensives Studium mit einem zeitintensiven Hobby zu vereinen. Mitglieder unserer Chorakademie müssen damit rechnen, neun Wochenstunden anwesend zu sein. Hinzu kommt das Üben zu Hause."

Besonders den Mitgliedern des von Koch eingeführten Kammerchors wird einiges abverlangt. Hier sammeln sich die Besten aus dem UniChor, um noch ein Stück weiterzugehen, noch professioneller zu arbeiten. Prominente Gastdirigenten wie Konrad Junghänel arbeiteten bereits mit dem Chor. "Er war begeistert und will unbedingt wiederkommen." Gastspiele führten das Ensemble nach Kapstadt oder ins Elsass. "Seit drei Jahren sind wir auch bei den Frankfurter Domkonzerten zu Gast." Und immer wieder kombiniert Koch den Chor mit Profiensembles. "Das harmoniert ganz hervorragend."

Bei aller Professionalität oder Semiprofessionalität verliert Koch jedoch nie die sinnliche Freude am Musizieren aus dem Blick. Schließlich ist auch ColMusiKuss, die musikalische KinderUni, ein Teil des Collegium musicum. Hier engagiert sich der Professor als leidenschaftlicher Musikpädagoge, um Kindern die klassische Musik nahezubringen.

Dirigenten und Despoten

"Das ist ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit", betont er. "Ich bringe die Kinder übers Mitmachen, Mitklatschen und Mitsingen zur Musik. Wir müssen das Publikum mitnehmen, ihm etwas mitgeben, auch den Erwachsenen. Wir müssen ihnen etwas geben, an das sie anknüpfen können." Darin sieht Koch seine Aufgabe. Einfach ein Programm herunterspielen reicht nicht. "Es geht nicht um Selbstdarstellung, es geht um Vermittlung. Musik ist nicht ehrlich, wenn sie zur Selbstdarstellung wird."

Mit diesen Worten wendet sich Koch der Orchesterprobe zu. Die Säle sind inzwischen frei. Er selbst wird sich an diesem Abend vor allem um die ersten und zweiten Geigen kümmern. Auf dem Weg in den Saal meint er noch: "Beim Dirigenten entsteht oft der Eindruck, er sei ein Despot, der vor allem herumschreit. Wir brauchen aber Dirigenten, die Ansätze suchen, um Probleme zu lösen, die schauen, wie sie gemeinsam mit den Musikern das bestmögliche Ergebnis erzielen, die Mut machen, wenn jemand sagt: Mann, das Stück ist mir aber eine Nummer zu hoch."

Wie das funktioniert, demonstriert er nun. Bruckner steht auf dem Programm. "Wir wollen unsere Zeit nutzen, um wunderbare Töne zu erleben", begrüßt er die Musikerinnen und Musiker. "Kommt nach vorn, richtig weit vor." Ein kurzes Stühlerücken beginnt "Hier habt ihr die Chance, ganz nah zu sein." Dann geht es los. Die Alte Mensa erklingt, die Universität musiziert.