30. September 2024
Anlässlich der Ausstellung "70 Jahre Kunst am Bau" im Mainzer Zentrum für Baukultur bieten Dr. Justus Jonas und Dr. Klaus T. Weber Führungen zu den Skulpturen, Reliefs und Installationen auf dem Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) an. Die beiden erläutern Werke prominenter Künstler*innen, zeigen Skurriles und Verstecktes.
Zur Kunst am Bau im engeren Sinn gehört sie nicht, die Gutenberg-Büste im Innenhof der Alten Flakkaserne, dem Gebäude, das 1946 zum Ausgangspunkt der Wiedereröffnung der JGU wurde. "Ursprünglich war das Objekt im Biergarten der Mainzer Aktienbrauerei aufgestellt", erzählt Dr. Klaus T. Weber. Dort, in der Franziskanerstraße 3, meinte man damals den Standort der alten Druckwerkstatt von Johannes Gutenberg gefunden zu haben. "1950 kam die Büste als Geschenk auf den Campus. Ihre Qualität überzeugte allerdings nicht wirklich. Es handelt sich um Wirtshauskunst." Immerhin hat sich das Werk zu einem der Wahrzeichen der JGU gemausert – und dient nun als Startpunkt einer Führung zu entschieden bedeutenderen Campus-Kunstwerken.
Anfang September 2024 öffnete die vom rheinland-pfälzischen Finanzministerium initiierte Ausstellung "70 Jahre Kunst am Bau in Deutschland": Im Brückenturm direkt neben dem Mainzer Rathaus wurden 60 künstlerische Arbeiten vorgestellt. Dr. Justus Jonas, Mitarbeiter der Sammlungskoordination der Universitätsbibliothek Mainz, und Dr. Klaus T. Weber, Mitarbeiter der Abteilung Kunstgeschichte an der JGU, nahmen diese Ausstellung und das Jubiläum zum Anlass, eine eigene Führung zur Kunst an der Mainzer Universität zu konzipieren.
Rumpfs Ohrmuschel
Vor 70 Jahren startete ein Förderprogramm für Bildende Künstler*innen: Bei der Errichtung öffentlicher Gebäude sollte mindestens ein Prozent der Bausumme für ein Kunstwerk reserviert werden. "Kunst am Bau gab es bereits 1919 nach dem Ersten Weltkrieg, verbunden mit der Idee der Förderung Not leidender Künstler", so Weber. Diese Idee wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden Teilen Deutschlands aufgegriffen. "Das erste offiziell beauftragte Kunstwerk im Westen entstand Ende der 1950er-Jahre, in der DDR nahm das Programm bereits 1952 Fahrt auf", erzählt Weber. "Die erste Arbeit auf dem Gutenberg-Campus stammt von 1960."
Entschieden später, im Jahr 1992, wurde dann neben dem damaligen Neubau für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften die "Komposition auf Stele mit Ohrmuschel" von Gernot Rumpf errichtet. Sie ragt direkt hinter der Flakkaserne auf, nur einige Dutzend Meter von der Gutenberg-Büste entfernt. "Die Stele unterbricht eine Wegachse, die bereits seit der Römerzeit militärisch besetzt war", erläutert Weber. Der Künstler fügte einen neuen Akzent hinzu. Eine Muschel mit einem Ohr an der Öffnung ist am Fuß der Stele zu sehen, obenauf thronen Zahnräder, direkt darunter ein Schneckenhaus. "Rumpf nimmt den Sinnspruch der Universität, 'Ut omnes unum sint' – 'Dass alle eins seien', auf und setzt ihn in moderner Art um", meint Weber. Zugleich werden auch augenzwinkernde Anspielungen auf den großen Hörsaal des naheliegenden ReWi und insbesondere auf die etwas entferntere "Muschel" an der Naturwissenschaftlichen Fakultät gemacht, ergänzt Jonas.
Barbara Rumpf schuf für die andere Seite des Gebäudes das Gegenstück zum Kunstwerk ihres Mannes: die "Komposition auf Stele mit Ammonit". Auch diese Arbeit vereint organische mit mechanischen Formen. "Die beiden Säulen rahmen zwar das Haus für Recht und Wirtschaft, wirken aber eher als Solitäre", so Jonas. Was beide Werke vereint: Sie sind reichlich mit Plakaten beklebt. "Der Umgang mit dieser Kunst ist nicht immer der, den man sich wünschen würde", kommentiert Weber schulterzuckend, "aber diese beiden Stelen provozieren offensichtlich zur Interaktion."
Zwischen Kern und Schale
Kunst am Bau findet grundsätzlich eher wenig Beachtung. "Das Geld ist verausgabt, das Objekt aufgestellt, das war's", meint Weber lakonisch. "Es gibt keine Feier, nicht mal eine Betitelung." Die beiden Säulen des Ehepaars Rumpf hießen lange Zeit schlicht "Ohrmuschel 1" und "Ohrmuschel 2". Im Jahr 2006 spürte Weber in einem Projekt mit Studierenden den Kunstwerken auf dem Campus nach. Seitdem ist einiges über sie bekannt. Und auch sonst hat sich einiges getan: So gibt es mittlerweile einen Kunstbeirat an der JGU, der sich darum kümmert, welche Kunst auf dem Campus wie umgesetzt wird.
Von den Stelen geht es zu Vadim Kosmatschofs "Kopf" an der Alten Mensa, zu Silvia Willkens' "Ricercare" am Institut für Anthropologie – und zu Reinhold Petermanns "Schwingungen": Drei Skulpturen stehen seit 1975 auf der Wiese vor der Naturwissenschaftlichen Fakultät. "Ursprünglich waren sie aus Polyesterharz gearbeitet", berichtet Weber. "Recht schnell war aber klar: Das funktioniert nicht." Schon bald wurde eine Skulptur beim Rasenmähen beschädigt. Die "Schwingungen" bekamen Löcher und Risse. Petermann starb 2016, also wurde mit seiner Tochter geklärt, was passieren sollte. Heute bestehen die "Schwingungen" aus pulverbeschichtetem Edelstahl, sie leuchten in kräftigem Rot und Blau. Jonas reicht einige Fragmente des roten Originals herum, die entschieden blasser wirken.
Seit den 1990er-Jahren schufen die Künstler*innen zunehmend Werke, die in einen Dialog mit dem dazugehörigen Gebäude treten. Ein Paradebeispiel dafür ist Michael Wolffs Installation "Zwischen Kern und Schale" von 2008 im Treppenhaus des Instituts für Kernchemie. 118 phosphoreszierende Röhren verbinden den Alt- mit dem Neubau. Sie lassen an Brennstäbe denken, ihre Zahl entspricht den Elementen im Periodensystem. "Gerade im Dunkeln sind sie ein ästhetisches Vergnügen", schwärmt Weber. "Dies ist eine wunderschöne, überzeugende Arbeit."
Gefährdetes Relief
Jonas und Weber hatten sich ein Zeitlimit gesetzt: 60 Minuten sollte ihre Führung dauern, doch die sind längst überschritten, obwohl nur ein Ausschnitt des reichen Kunstbestands der Universität auf dem Programm steht. "Mann mit Pferd" von 1968 vor dem Philosophicum ist ein weiteres Werk Petermanns, der diesmal jedoch nicht abstrakt, sondern figürlich arbeitete. Das Thema Mensch und Pferd war vorgegeben, da an diesem Ort einst die alte militärische Wegachse auf die Stallungen der Flakkaserne traf. Jonas spricht von einem "harten, schwierigen Thema". Petermann setzte es virtuos um. Er vermied jeden militärischen Anklang, mied auch den Topos "Ross und Reiter". Tier und Mensch scheinen gleichwertig und von Zwängen entbunden nebeneinander zu stehen. Entspannt schauen sie gen Himmel.
"Haben Sie noch Zeit?", fragt Weber, während er durch das 2013 fertiggestellte Georg Forster-Gebäude führt. Kunst am Bau fehlt hier noch. "Bis heute ist nichts verausgabt", sagt er. Das sieht in der benachbarten Universitätsbibliothek anders aus. Es geht durch einen Lesesaal in einen Innenhof, in dem ein monumentales Betonrelief die gesamte Nordwand schmückt. Inge Blums "Diskussion" von 1964 zeigt schemenhaft drei Figurengruppen, die aus amorphen Figuren, vielleicht Hybriden zwischen Mensch und Tier, bestehen. "Es gibt einen Super-8-Schnipsel, der die Entstehung der Wand zeigt", meint Jonas. "Sie wurde tatsächlich mit dem Gebäude selbst errichtet." Der Innenhof liegt zwischen den beiden Hauptlesesälen der Bibliothek, das Mobiliar darin war ursprünglich zum Kunstwerk hin ausgerichtet. Diese Wand wirkt auf davorstehende Betrachter*innen gewaltig, hier steht bedeutende Kunst, die dem markanten Architekturstil der 1960er-Jahre eng verbunden ist.
"Dies ist sicher ein Objekt, das gefährdet ist", so Weber. "Wenn die Bibliothek einen Neubau bekommt, kann es mit Sicherheit nicht mitgenommen werden. Zugleich wäre der Verlust eines solchen Kunstwerks aus kunsthistorischer Sicht fatal." Mit diesem Gedanken entlassen Jonas und Weber ihr Publikum. Zwei weitere Führungen stehen in den kommenden Tagen an. Noch sind die beiden am Überlegen: Sollen sie dieselben Objekte vorstellen – oder doch andere? Es gibt viel Kunst zu entdecken auf dem Campus.
Text: Gerd Blase