Ein neuer Name fürs neue Geschlecht

15. Februar 2018

Wie wählen Menschen, die ihr Geschlecht wechseln, von einer Frau zu einem Mann oder von einem Mann zu einer Frau werden, ihren neuen Rufnamen? Welche Aspekte spielen dabei eine Rolle? Welche Hürden sind zu nehmen? Miriam Schmidt-Jüngst vom Deutschen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) beschäftigt sich in ihrem Dissertationsprojekt "Onymische Grenzmarkierungen: Die Selbstbenennung von Transpersonen" mit diesen Fragen.

Zuerst schien es ein übersichtliches, klar abgegrenztes sprachwissenschaftliches Thema zu sein. "Doch dann kam immer mehr dazu", erzählt Miriam Schmidt-Jüngst. "Medizinische und psychologische Fragen spielen eine Rolle, rechtliche und soziologische Aspekte. Ich konnte mich unmöglich auf ein Fach beschränken."

Es geht um Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren können, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Meist sind es Personen, die das jeweils andere Geschlecht annehmen möchten: Transmänner leben als Mann, Transfrauen leben als Frau – und möchten als solche wahrgenommen werden. Daneben gibt es eine Gruppe, die sich gegen die strikte Unterteilung in Mann und Frau wendet und jenseits dieser binären Einordnung eine Identität sucht.

Rufname hat viel Gewicht

Schmidt-Jüngst beschäftigt sich damit, wie diese Menschen mit ihren Rufnamen umgehen: Wie wichtig ist es ihnen, etwa von einem männlichen zu einem weiblichen Vornamen zu wechseln? Wie wählen sie den oder die neuen Namen? Was beeinflusst diese Entscheidung? Darauf und auf einiges mehr will sie Antworten geben in ihrer Dissertation.

"Mir wurde erst während der näheren Beschäftigung mit dem Thema klar, wie wichtig der Rufname für vieles ist", sagt Schmidt-Jüngst. "Mein Name gehört nicht nur mir selbst, er ist immer auch Ausdruck von sozialen Beziehungen, von Zugehörigkeiten." So werden über den Namenswechsel Familientraditionen verhandelt. Schmidt-Jüngst nennt ein Beispiel: "Transgender, die aus einer christlichen Familie stammen, wählen unter Umständen wieder einen christlichen Namen. Andere dagegen lehnen ganz bewusst solch einen Namen ab, gerade um sich von ihrem bisherigen Leben zu distanzieren." So eine Distanzierung hat Folgen: "Eltern fällt es oft schwer, diese Wahl nicht als Zurückweisung zu empfinden."

Die Idee zur Dissertation kam von Prof. Dr. Damaris Nübling, Sprachwissenschaftlerin am Deutschen Institut der JGU. Unter ihrer Leitung arbeitete Schmidt-Jüngst bereits am Projekt "Deutscher Familiennamenatlas" mit, einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Langzeitprojekt. Von 2013 an widmete sie sich dann dem Transgender-Thema. "Ich stellte fest, dass es zur Namenswahl von Transpersonen nur sehr wenig Literatur gibt. Es war also klar, dass ich mit meiner Arbeit Grundlagenforschung leisten würde."

250 Fragebögen, 16 Interviews

Schmidt-Jüngst nahm über Selbsthilfegruppen und Internetforen Kontakt mit Transpersonen auf. Sie verschickte einen Online-Fragebogen, den rund 250 Personen ausfüllten. Das war schon mal eine gute Grundlage für ihre Forschung. "In einem zweiten Schritt führte ich 16 persönliche Interviews in ganz Deutschland. Alle sprachen sehr offen mit mir. Ich glaube, für manche war es hilfreich, ihre Position noch mal klarer zu definieren."

Fragebogen und Interviews waren Neuland für Schmidt-Jüngst, die an der JGU Deutsche Philologie, Vergleichende Sprachwissenschaft sowie Sprachen Nordeuropas und des Baltikums studierte. Unterstützung fand sie in der DFG-Forschergruppe "Un/doing Differences. Praktiken der Humandifferenzierung", in der sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Soziologie, Ethnologie, Theaterwissenschaft und Germanistischer Linguistik zusammengeschlossen haben, um gemeinsam zu untersuchen, wie Differenzierungen und Kategorisierungen zwischen Menschen und Menschengruppen entstehen, sich verändern, verhärten oder wieder auflösen. Die Einbindung in dieses interdisziplinäre Umfeld an der JGU gab ihr nicht nur das methodische Handwerkszeug für ihre Befragung an die Hand, es eröffnete Schmidt-Jüngst auch in anderer Hinsicht neue Horizonte.

"Ich erfuhr viel über soziologische Theorien – aber auch darüber, wie schwer es sein kann, sich unter den verschiedenen Disziplinen zu verständigen. Schließlich spricht jeder von uns seine eigene Fachsprache, da müssen wir erstmal einen gemeinsamen Nenner finden." Genau das leistet die Forschergruppe.

Juristische Hürden

In Schmidt-Jüngsts Interviews kam nicht nur der Namenswechsel selbst zur Sprache, sie förderten darüber hinaus gleich eine ganze Reihe von Problemen rund um diesen Schritt zutage. Das schlägt sich auch in ihrer Dissertation nieder. "Ein Kapitel meiner Arbeit beschäftigt sich mit dem juristischen Aspekt des Namenswechsels, denn gerade in Deutschland haben wir eine Situation, die so nicht haltbar ist."

Wer seinen Rufnamen ändern möchte, damit dieser ihrem oder seinem neuen Geschlecht entspricht, muss zwei psychologische Gutachten vorlegen. "In Norwegen ist das mit einem Formular erledigt. Die Regelung in Deutschland hingegen ist so konservativ wie in nur wenigen anderen Ländern." Die Transition von einem Geschlecht in ein anderes sei ohnehin nicht leicht. "Da ist es kaum verständlich, wenn den Menschen zusätzlich noch solche Hürden in den Weg gestellt werden."

Schmidt-Jüngsts Dissertation ist so reich an Details, dass sie im Gespräch vieles nur andeuten und beispielhaft herausgreifen kann. So hat sie unter anderem festgestellt, dass gerade Transfrauen sehr darauf achten, möglichst weiblich zu erscheinen. "Sie haben den Eindruck, dass sie viele Rollenklischees übernehmen müssen, um wirklich akzeptiert zu werden." Das spiegele sich auch in der Namenswahl: "Transfrauen wählen oft Rufnamen mit vielen Vokalen, die besonders weiblich klingen. Julia oder Maria sind beliebt. Katrin klingt vielen schon wieder zu hart."

Wunsch nach normalem Leben

Unterm Strich hat Schmidt-Jüngst festgestellt, dass es den meisten Transpersonen darum geht, ein unauffälliges Leben in ihrer neuen Geschlechtsidentität zu führen. "Sie wollen als normaler Mann oder normale Frau durch den Alltag gehen – und dabei ist der Name vielen sehr wichtig."

Die Sprachwissenschaftlerin steht mittlerweile unmittelbar vor dem Abschluss ihres Dissertationsprojekts. "Nun muss ich all die verschiedenen Stränge zusammenfassen", meint sie. Das sei eine Herausforderung. "Aber ich konnte mich unmöglich auf mein Fach beschränken. Ich will einfach nicht in abgegrenzten Disziplinen denken." Gerade das könnte die besondere Qualität ihrer Arbeit ausmachen: Sie wird viel mehr sein als nur eine sprachwissenschaftliche Untersuchung.