Eine Frau mit vielen Facetten

25. April 2018

Seit 2016 ist Prof. Dr. Ruth Zimmerling Gleichstellungsbeauftragte des Senats der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Die Politikwissenschaftlerin mit Mathematik-Diplom erzählt von ihren eigenen Erfahrungen auf dem Weg durch die akademische Welt und ihrem Engagement für mehr Diversität an der JGU.

Es gibt sieben Professuren am Institut für Politikwissenschaft der JGU. "Vier sind mit Frauen besetzt, eine ist vakant und ein Kollege ist vorübergehend beurlaubt", zählt Prof. Dr. Ruth Zimmerling auf. "Arne Niemann ist im Moment der einzige Mann in unserer Professorenrunde und ich denke, er fühlt sich recht wohl." Die Politologin lächelt breit bei dieser Äußerung, dann wird sie wieder etwas ernster: "Mir ist im Moment kein anderes Institut an unserer Universität bekannt, an dem so eine hohe Frauenquote zu finden ist."

Ihr selbst falle dieses besondere Mischverhältnis im Arbeitsalltag gar nicht weiter auf, so Zimmerling. "Ich denke nicht groß darüber nach. Wichtiger ist mir die Atmosphäre hier und die ist außergewöhnlich gut. Vielleicht wissen wir als Sozialwissenschaftler besser als viele andere, was zwischenmenschlich alles schiefgehen kann an Instituten. Wir sind uns bewusst, dass solch ein gutes Verhältnis Pflege braucht, dass es nicht selbstverständlich ist. Ich denke, gerade deshalb schätzen wir es so sehr."

Mathematikstudium anno 1972

Im September 2016 trat die Professorin für Politische Theorie die Position der Gleichstellungsbeauftragten an der JGU an. Für sie ist das nicht irgendein Amt, es liegt ihr am Herzen. Doch das führt nicht dazu, dass sie im Gespräch permanent über das Thema Gleichberechtigung spricht. Erst einmal erzählt sie von ihren persönlichen Erfahrungen, die mal mehr, mal weniger die Rolle der Frau in der akademischen Welt streifen.

Zimmerling begann 1972 ihr erstes Studium. Sie schrieb sich an der JGU für Mathematik und Volkswirtschaftslehre ein. Unter den Studierenden waren nur wenige Frauen – und wenn, dann in den Lehramtsstudiengängen. Zimmerling war eine von insgesamt nur zwei Frauen in ihrem Jahrgang, die auf ein Mathematik-Diplom hinarbeiteten. "Natürlich hatten wir nur Professoren. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass mir eine Frau Mathe vermitteln würde. Das wäre mir unpassend vorgekommen: ein Vorurteil, für das ich mich heute schäme." Zur Diplomprüfung gaben ihr Kommilitonen den Rat, im kurzen Rock anzutreten, das könnte helfen. "Natürlich kam ich in Jeans." Sie machte ihr Diplom. "Ich war nicht so brillant", meint sie bescheiden, "aber ich habe eine gewisse Art des Denkens mitgenommen und weiß seitdem, wie es ist, sich im Studium durchzubeißen."

Schließlich studierte sie noch Islamische Philologie bis zum Magister, dann kam sie ans Institut für Politikwissenschaft. 1989 wurde ihre Dissertation "Externe Einflüsse auf regionale Integrationsprozesse: Zentralamerika und Andenpakt" als die beste im Fachbereich ausgezeichnet.

Professur als Glücksfall

Parallel zum Studium arbeitete sie als Werkstudentin und später als freie Mitarbeiterin in der Systemanalyse bei IBM Deutschland. "Ende der 1970er-Jahre gab es da schon dieses Bewusstsein in der Wirtschaft: Wir brauchen unbedingt Frauen. Jeder Frau, die bis zwei zählen konnte, rollte man bei IBM den Teppich aus. Mir wurde eine attraktive Karriere in Aussicht gestellt – und sie haben nicht verstanden, dass ich mich für eine unsichere und viel schlechter bezahlte Stelle an der Universität entschied."

Lehraufträge führten Zimmerling später unter anderem nach Köln und Stuttgart, zudem reiste sie mehrfach für Gastdozenturen nach Amerika. Doch immer wieder kam sie auch ins Rhein-Main-Gebiet. Sie übernahm eine Vertretungsprofessur für Internationale Beziehungen in Frankfurt und arbeitete am Institut für Politikwissenschaft der TU Darmstadt, wo sie sich auch habilitierte. "Es war reine Glückssache, dass ich dann 2003 ausgerechnet nach Mainz berufen wurde."

Da sie alle drei Rhein-Main-Universitäten kennt, verfolgt sie interessiert den engeren Zusammenschluss der Hochschulen seit 2015. "Es sind sehr unterschiedliche Universitäten, die sich sehr gut ergänzen können. Aber es ist nicht ganz einfach, über die Landesgrenze hinweg zu Kooperationen zu kommen." Immerhin hat ihr Kollege Prof. Dr. Arne Niemann mit dem Jean Monnet Centre of Excellence "EU in Global Dialogue" bereits vor längerer Zeit eine enge Zusammenarbeit mit der TU Darmstadt auf den Weg gebracht.

Doch zurück nach Mainz: Zimmerling hat seit 2003 in verschiedensten Gremien der JGU mitgewirkt, darunter auch im Senat. "Ich denke, diese Arbeit ist wichtig, man kann einiges mitgestalten." Nun also gestaltet sie die Gleichstellungsarbeit mit.

Gleichstellung ist nicht nur Frauensache

"In diesem Bereich wird viel getan an der JGU", lobt sie. "Wir haben immerhin fünfmal in Folge den Total E-Quality Award für unsere Gleichstellungsarbeit bekommen und der Präsident hat eine Stabsstelle für Gleichstellung und Diversität eingerichtet – wobei Sie schon am Titel merken, dass es nicht nur um die Gleichstellung von Mann und Frau geht. Das Verfassungsgericht hat kürzlich anerkannt, dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt; außerdem spielen unterschiedliche Kultur und Herkunft oder unterschiedliche Bildungswege ein Rolle."

Eine Gleichstellungsbeauftragte des Senats ist gesetzlich vorgeschrieben. "Wobei es mich stört, dass es in Rheinland-Pfalz eine Frau sein muss, als sei Gleichstellung Frauensache", so Zimmerling. "Ein Teil meiner Arbeit besteht allerdings in der Beratung von Menschen, die sich sexuellen Übergriffen ausgesetzt sehen. Auf dem Campus studieren und arbeiten gut 40.000 Personen, das ist wie eine Kleinstadt. Auch hier kommt es zu Vorfällen, wir sind nicht besser als der Rest der Gesellschaft. Manche meinen, wegen dieser Aufgabe müssten Gleichstellungsbeauftragte weiblich sein – aber manchmal sind die Opfer ja auch Männer! Ich könnte mir vorstellen, dass diese sich eher einem anderen Mann anvertrauen." Folgerichtig hat Zimmerling mit Dr. Karl Marker einen Mitarbeiter hinzugezogen, der sie einerseits bei ihren Lehraufgaben am Institut entlastet und sie jetzt auch in ihrer Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte unterstützt.

Außerdem gibt es einen eigenen Senatsausschuss für Gleichstellung, dem Zimmerling vorsitzt. "Im Moment besteht er zu mehr als der Hälfte aus Männern. Das freut mich, weil es zeigt, dass Gleichstellung zumindest an der JGU längst nicht mehr als Frauensache betrachtet wird."

Zugleich stellt sie klar, dass es ihr weiterhin sehr um die Rechte von Frauen geht, dass hier noch einiges im Argen liegt: "In vielen Fächern und Fachbereichen sind Frauen als Studierende in der Überzahl, aber das spiegelt sich nicht in der Besetzung von Professuren wider. In der Medizin etwa haben wir viele fähige Frauen, ihre Promotionen sind durchschnittlich sogar besser als die der Männer, aber weiter oben in der Hierarchie gibt es einen Bruch, sie fallen heraus." In einigen Fachbereichen werde viel getan, um fähige Frauen für Führungspositionen zu rekrutieren, doch auch dort blieben oft die Männer in der Überzahl.

Männer müssen sich melden

"Ich denke, das liegt vor allem an der Doppelbelastung, an der Schwierigkeit, Familie und Beruf zu vereinen. Professorin ist ein 60-Stunden-Job – mindestens. Es wird Leistung erwartet. Ich bewundere Kolleginnen, die so etwas trotz Kindern schaffen." Zimmerling sieht die Männer in der Pflicht. "Gleichstellung der Frauen kann nur funktionieren, wenn Männer sich melden und sagen, dass sie auch etwas vom Vatersein haben wollen, dass sie sich auch in der Familie engagieren wollen. Wenn ein Mann in einer Sitzung sagt, dass um halb fünf Schluss sein muss, weil er sein Kind aus der Kita abholen muss, wird das akzeptiert. Frauen in derselben Situation sind oft noch immer zu defensiv."

Das Arbeitsfeld als Gleichstellungsbeauftragte sei weit und in vielen Bereichen diffus, meint Zimmerling. "Ich hätte nicht gedacht, dass es so viel Aufwand ist. Aber ich mache es gern, auch weil ich weiß, dass die Universitätsleitung die Aufgabe ernst nimmt. Ich sehe deutlich den Willen, nichts zu versäumen, damit wir exzellenten Frauen den Weg in Wissenschaft und Lehre ebnen können. Wäre das nicht der Fall, wäre es für mich sinnlos, im Amt zu bleiben."