Es begann mit Fritz Straßmann

7. April 2021

Nach der Wiedereröffnung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) nach dem Zweiten Weltkrieg prägte zunächst Fritz Straßmann die Mainzer Kernchemie: 1946 kam der Mitentdecker der Kernspaltung an die JGU, um hier ein eigenes Institut aufzubauen. Er initiierte unter anderem den Bau des Forschungsreaktors TRIGA Mainz. 1958 schrieb sich Norbert Trautmann für ein Studium der Chemie ein. Der Name Straßmann hatte ihn nach Mainz gelockt und damit begann eine weitere bedeutende Forscherkarriere.

Prof. Dr. Norbert Trautmann hält einen silbern schimmernden Brennstab in Händen und erklärt Details: "Die Umhüllung bestand früher aus Aluminium, aktuell wird Edelstahl genutzt. Der Kern enthält bis zu 20 Prozent angereichertes Uran-235." Der 81-Jährige deutet in das blau schimmernde Wasser des Kühlbeckens. "Etwa alle fünf Jahre geben wir solch ein Brennelement hinzu, um den Abbrand zu kompensieren." Sicherlich hat Trautmann all das bereits sehr oft erzählt, für ihn sind es Selbstverständlichkeiten, doch immer noch schwingt Begeisterung mit, wenn er Einblick in die Arbeit am Forschungsreaktor TRIGA Mainz gibt. "Die Anlage ist seit 1965 ununterbrochen in Betrieb, mit nur einer Ausnahme: 1995 mussten wir die Kühlkreisläufe erneuern. Deshalb war von Januar bis August kein Reaktorbetrieb möglich."

Der Forschungsreaktor auf dem Campus der JGU ist etwas Besonderes. "Es gibt in ganz Deutschland nur noch zwei davon", weiß Trautmann, "einen in München und den hier in Mainz. Der in Berlin wurde voriges Jahr abgeschaltet." Üblicherweise erbringt TRIGA Mainz eine Leistung von gerade mal 100 Kilowatt. "Das können wir aber für den Bruchteil einer Sekunde auf 250.000 Kilowatt erhöhen. Nach solch einem Impuls schaltet er sich dann automatisch ab." TRIGA kann nicht durchbrennen, dafür sorgen schlicht die Gesetze der Physik. Fachleute nennen das "inhärent betriebssicher".

Otto Hahn weiht TRIGA ein

Trautmann war dabei, als der Reaktor auf Initiative von Fritz Straßmann errichtet wurde. Auch die offizielle Einweihung durch den Chemie-Nobelpreisträger Otto Hahn 1967 erlebte er mit. Und vor 50 Jahren trat Trautmann den Posten des stellvertretenden Betriebsleiters an, bevor er 1991 die volle Verantwortung für TRIGA Mainz übernahm.

"An die Johannes Gutenberg-Universität Mainz kam ich allerdings schon 1958", erzählt Trautmann. Chemie war bereits früh sein Faible, das wollte er studieren. "Ich bin zwar im bayrischen Straubing geboren, aber meine Mutter stammte aus der Pfalz. Nach dem Krieg zogen wir in die Nähe von Frankenthal. Von der Lage her kamen zwei Universitäten für mich in Frage: Mainz und Heidelberg. Ich entschied mich für die JGU." Trautmann lächelt: "Der Name Straßmann zog mich an."

Fritz Straßmann, der 1938 gemeinsam mit Otto Hahn am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie die Kernspaltung entdeckt hatte, sollte 1946 im Auftrag der französischen Verwaltung just jenes Institut als Max-Planck-Institut für Chemie nach Mainz überführen. Parallel dazu baute er an der JGU ein eigenes chemisches Institut auf, das Jahrzehnte später zum Institut für Kernchemie wurde und sich jüngst unter dem Dach des Department Chemie wiederfindet.

"Wenn Straßmann irgendwelche Anliegen hatte, wandte er sich nicht an den Kanzler oder den Rektor der Universität", erinnert sich Trautmann. "Er ging direkt zum Kultusminister. Auch nahm er Kontakt zu Karl Wurster, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der BASF, auf und überzeugte ihn, dass er abzuführende Steuern doch am besten gleich in den Aufbau der Mainzer Kernchemie stecken sollte." So kamen Gelder für den sogenannten Bau M-Haupt mit seinen Laboratorien zusammen.

Neubau für die Kernchemie

"Straßmann war auch als Lehrer sehr unorthodox", meint Trautmann. "Es ging ihm mehr um das grundsätzliche Verständnis als um Wissensvermittlung nach dem Lehrbuch. Man sagte mir damals: 'In seine Anfangsvorlesung musst du erst gar nicht gehen, du versteht sowieso kein Wort. Studier erst mal ein paar Semester, dann ist es ein Genuss.' Genauso war es."

Im Hof des Gebäudes M-Haupt stand ein Neutronengenerator, finanziert aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Dies war der Vorgänger von TRIGA Mainz. An ihm forschte Trautmann für sein Diplom und seine Dissertation. "Ich untersuchte kurzlebige Isotope des Elements Protactinium, mit dem sich bereits Otto Hahn und seine Kollegin Lise Meitner beschäftigt hatten." Nicht nur Hahn interessierte sich für Trautmanns Arbeit, auch der US-amerikanische Chemie-Nobelpreisträger Glenn T. Seaborg schaute vorbei. "Ich entdeckte drei neue Protactinium-Isotope." Kurzlebige radioaktive Stoffe waren Trautmanns Spezialgebiet. Seaborg suchte genau diese Expertise für sein Labor an der kalifornischen Berkeley University. 1970 holte er den jungen Postdoc Trautmann in die USA. Doch der blieb nicht lange: "1971 wurde beim TRIGA Mainz der Posten des stellvertretenden Betriebsleiters frei. Der damalige Direktor der Kernchemie, Günter Herrmann, ließ anfragen, ob ich die Stelle übernehmen wollte – und ich kehrte zurück nach Mainz."

Trautmann führt durch das Gebäude des einstigen Instituts für Kernchemie, das noch in den 1960er Jahren errichtet wurde. Nebenan, auf der anderen Seite des Fritz-Straßmann-Wegs, wird gerade der alte Gebäudekomplex M-Haupt zurückgebaut. Dort soll später die Universitätsbibliothek ihr neues Zuhause bekommen. Zudem entsteht direkt angrenzend zum Forschungsreaktor ein Neubau für die Kernchemie. "Unsere Räumlichkeiten hier entsprechen einfach nicht mehr den aktuellen Standards", erklärt Trautmann. Der Neubau wird, wie bereits der Weg davor, Straßmanns Namen tragen. "Ich habe mit unserem Präsidenten ausgemacht, dass ich den Rückbau und den Neubau begleiten werde, denn dafür ist es wichtig, wenn sich jemand hier gut auskennt." Trautmann ist wochentags ab 6:30 Uhr als Ansprechpartner vor Ort, samstags kommt er etwas später. Die Arbeiten sollen 2023 beendet sein. "Ich habe meiner Frau versprochen, dass ich dann kürzertrete."

Zentrale Rolle für Reaktor

In den vergangenen Jahrzehnten prägte Trautmann das Institut für Kernchemie entscheidend mit –
nicht nur als Betriebsleiter von TRIGA, sondern vor allem auch als renommierter Wissenschaftler. "Straßmann hat mit sehr schnellen Trennungen gearbeitet, um kurzlebige Spaltprodukte zu untersuchen. Es gab seinerzeit keine Einrichtung weltweit, die das so intensiv betrieb." Kurzlebige Radioisotope bleiben bis heute eine Spezialität des Hauses. Mit ihnen lassen sich zum Beispiel superschwere Elemente erforschen. "Wir produzieren Targets, die dann im Schwerionenbeschleuniger am Darmstädter Helmholtzzentrum bestrahlt werden, um die schwersten Elemente zu synthetisieren."

Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Erforschung möglicher Endlager für radioaktives Material. "In Deutschland wird unter anderem Tongestein favorisiert und wir untersuchen, wie groß das Rückhaltevermögen des Tons bei gewissen Elementen ist. Hier haben wir es mit einem sehr aktuellen, aber auch komplexen Thema zu tun, das wir in einem großen Verbund mit weiteren Universitäten und Forschungseinrichtungen bearbeiten."

2016 wurde neben dem Forschungsreaktor ein Zyklotron zur Herstellung radioaktiver Isotope für die Radiopharmazeutische Chemie in Betrieb genommen. Zuvor bereits war die Forschung an bildgebenden Verfahren der Nuklearmedizin ein wichtiger Aspekt am Institut, doch mit dieser Anlage wurde eine neue Stufe erreicht.

Je länger Trautmann erzählt, desto deutlicher wird, wie viele Fäden in diesem Haus zusammenlaufen. So spielt der Forschungsreaktor auch für das Exzellenzcluster PRISMA (Precision Physics, Fundamental Interactions and Structure of Matter) sowie den Nachfolger PRISMA+ eine zentrale Rolle: Jüngst konnte eine der weltweit stärksten Quellen für ultrakalte Neuronen am TRIGA Mainz eingerichtet werden.

Vielfach geehrter Wissenschaftler

Trautmann selbst schaut auf eine erfolgreiche Karriere zurück, die allerdings noch nicht zu Ende ist, auch wenn er 2004 offiziell in den Ruhestand ging: Weiterhin veröffentlicht er wissenschaftliche Beiträge, weiterhin ist er vor Ort und im Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen. Auszeichnungen wie der Fritz-Straßmann-Preis, der Helmholtz-Preis, der Otto-Hahn-Preis oder der Glenn T. Seaborg Award for Nuclear Chemistry dokumentieren Trautmanns Bedeutung in der Welt der Kernchemie, andere Ehrungen wie der rheinland-pfälzische Verdienstorden oder die Ehrenmedaille der JGU lassen erahnen, wie sehr der 81-Jährige auch darüber hinaus geschätzt wird.

Darauf angesprochen zuckt Trautmann allerdings nur die Schultern. Von den eigenen Leistungen möchte er nicht so gern erzählen, das sollen andere tun. Er richtet lieber den Blick in die Zukunft und auf den gerade entstehenden Fritz-Straßmann-Bau. "Wenn der fertig ist, trete ich kürzer", wiederholt der Chemiker. Eigentlich ist das kaum zu glauben.

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