28. September 2021
Seit dem vorigen Wintersemester bieten die Rhein-Main-Universitäten (RMU) einen Weiterbildungsstudiengang für Menschen mit Berufs- und Lebenserfahrung an: Die "Evangelisch-Theologischen Studien" entstanden in Kooperation mit der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN).
Sie arbeitet als Architektin. Der Beruf gefällt ihr. "Aber die Theologie ist meine wahre Berufung", meint Melanie Neuburger. Sie erinnert sich, dass sie als junge Frau noch nicht allzu viel mit der Bibel anfangen konnte. "Ich habe erst später zum Glauben gefunden." Vor einem Jahr entschloss sie sich dann, ein Theologie-Studium zu beginnen. "Ich möchte Pfarrerin werden", sagt sie sehr entschieden.
Ein berufsbegleitender Weiterbildungsstudiengang der Rhein-Main-Universitäten Frankfurt und Mainz macht dies möglich: Er wendet sich speziell an Menschen, die bereits einige Berufserfahrung gesammelt haben, sich nun aber neu orientieren wollen. "Evangelisch-Theologische Studien" heißt das Angebot, das im vorigen Wintersemester an den Start ging. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) unterstützt das Projekt. Sie ist die dritte Partnerin in dieser Kooperation zwischen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
"Das Studium beflügelt meinen Alltag"
Zwölf Studierende schrieben sich 2020 ein, vier davon haben sich nun in den Räumlichkeiten der Evangelisch-Theologischen Fakultät der JGU eingefunden, um ein wenig von ihren Erfahrungen zu erzählen. "Wir waren noch nie hier und die meisten von uns sehen sich auch das erste Mal persönlich", meint Michael Buzzi. Angesichts der Corona-Pandemie war kaum an eine Präsenzlehre zu denken. Die ursprünglich geplanten Seminare und Vorlesungen wurden weitgehend in digitale Formate überführt. Für Buzzi hat das durchaus seine positiven Seiten, denn ursprünglich plante er, für die anberaumten Blockveranstaltungen jeweils aus dem Schwarzwald anzureisen. Nun jedoch kann er von zu Hause aus studieren.
"Ich führe als Selbstständiger einen kleinen Betrieb mit rund 40 Leuten", erzählt Buzzi. In den 1980er-Jahren hatte er schon einmal ein Theologie-Studium begonnen, schwenkte dann aber auf Informatik um. "Im Moment beherrsche ich meine Programmiersprachen sicher besser als das Hebräische", feixt er. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stieß er auf einen Artikel, der sich eher kritisch mit dem neuen RMU-Angebot auseinandersetzte: Ein sechs Semester umfassender Master-Studiengang schien dem Verfasser zu knapp, um sich für den Pfarrberuf zu qualifizieren. "Ich dachte mir aber: Das ist genau das Richtige für dich. Das ist der Traum meines Lebens." Buzzi bewarb sich prompt und stellt heute fest: "Ich bin ein glücklicherer Mensch. Das Studium beflügelt meinen Alltag, auch wenn ich keine Ahnung habe, was ich später damit mache."
"Wir wollen neue Wege zur Evangelischen Theologie erschließen", sagt Dr. Michael Rydryck, der den Studiengang koordiniert. Auch der Pfarrermangel sei sicherlich ein zusätzliches Motiv gewesen, die "Evangelisch-Theologischen Studien" aus der Taufe zu heben. Gerade Quereinsteiger seien für die Kirche interessant. "Ich finde sowieso, dass man Theologie eigentlich erst ab 40 studieren sollte", scherzt Prof. Dr. Michael Roth, der als Dekan an der JGU für den Studiengang verantwortlich zeichnet. Seelsorgerinnen und Seelsorger bräuchten Lebenserfahrung. "Die Idee vom lebenslangen Lernen spielt auch in der Theologie eine immer größere Rolle", ergänzt Rydryck.
"Theologie ist selbst denken"
Beide sind begeistert, wie sich ihre Studierenden entwickeln. "Unsere Diskussionen gehen viel schneller als in den grundständigen Studiengängen in die Tiefe", sagt Rydryck. "Das Interesse ist groß, Dinge gemeinsam zu erarbeiten", erzählt Roth. "Theologie gibt keine Antworten. Wir besitzen kein Wissen, das man einfach übernehmen und auswendig lernen kann. Theologie ist selbst denken. Dieser Ansatz irritiert gerade Studierende, die direkt nach dem Abitur zu uns kommen. Sie wollen oft etwas Fertiges präsentiert bekommen. Das ist in unserem Master-Studiengang ganz anders."
"Ich möchte mich mit existenziellen Fragen beschäftigen", sagt Simone Becker. "Deswegen habe ich dieses Studium begonnen. Ich brauche keine vorgefertigten Antworten, sondern Anregungen, mit denen ich weiterdenken kann. In meinem ersten Studium nahm ich viele Vorlesungen einfach so mit", erinnert sich die Religionspädagogin. "Das brachte mich nicht weiter. Ich muss mich und meine eigenen Fragen einbringen können. Wenn ich die ausklammere, ist das der Tod im Topf." Auch sie strebt nicht unbedingt ein Pfarramt an: "Ich sehe es einfach als Privileg, dass ich mir die Zeit für dieses Studium nehmen kann. Einen Berufswunsch habe ich nicht direkt vor Augen."
Friederike Zeiler studierte vor Jahren Pflegemanagement und arbeitet aktuell auf einer Intensivstation. "Ich habe jede Menge Brüche in meinem Leben anzubieten", meint sie mit einem leisen Lächeln. Es sei eine Herausforderung, den Job, drei Kinder, einen Partner und das zweite Studium unter einen Hut zu bringen. "Das Interesse für religiöse Themen war bei mir schon immer vorhanden, auch wenn ich nicht besonders christlich sozialisiert wurde. Als ich von der Möglichkeit erfuhr, als Quereinsteigerin Theologie zu studieren, hielt ich das zuerst für eine Schnapsidee."
"Es muss Spaß machen"
Doch Zeiler wagte es und entschied sich dafür: "Ich bin dankbar, dass ich etwas mit dem Kopf tun kann, und meine Familie ist froh. Ich bin zufriedener, selbst wenn ich jetzt im Nachtdienst arbeite und wir finanzielle Einbußen hinnehmen müssen. Ich weiß sehr genau, was ich will. Wenn ich solch ein Studium beginne, stehe ich es auch durch. Allerdings unter einer Bedingung: Es muss Spaß machen." Sie schaut hinüber zu Rydryck, zu Roth: "Und es macht tatsächlich Spaß. Wir haben ein Riesenglück mit unseren Dozenten."
Die Philipps-Universität Marburg bietet bereits seit längerem einen Theologie-Studiengang für Quereinsteigerinnen und -einsteiger an, nun sind auch die Rhein-Main-Universitäten mit von der Partie, Greifswald und Wuppertal zogen nach. "Anders als in Marburg halten wir unsere Studierenden nicht separat. Wir bieten bewusst Veranstaltungen an, in denen sie mit jüngeren Kommilitoninnen und Kommilitonen in Kontakt kommen", sagt Rydryck. "Unser Studium ist praxisbezogen. Neben den grundständigen Themen berücksichtigen wir kulturwissenschaftliche Aspekte sehr stark. Dass wir etwa die Kirchenmusik direkt einbringen, ist ein Novum." Auch nach Corona werden digitale Angebote nicht verschwinden. "Wir setzen auf solche Elemente, denn sie haben sich bewährt. Außerdem erhöhen sie unsere Reichweite."
Der ersten Studierendenkohorte von 2020 wird in diesem Jahr eine weitere mit zehn Kandidatinnen und Kandidaten folgen. "Das ist eine gute Größe für einen Master-Studiengang, wir sind sehr zufrieden", betont Roth. Dann wendet er sich an die Studierenden, die heute zum ersten Mal in Mainz zu Gast sind. "Haben Sie noch etwas Zeit?", fragt er. "Ich könnte Ihnen unser Haus zeigen ..."