Forschung am Schnittpunkt der Disziplinen

17. November 2014

Vor 30 Jahren wurde der erste Professor für Informatik an die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) berufen. Seitdem hat sich in dem jungen Fach einiges getan. Der runde Geburtstag ist Anlass für einen kurzen Blick zurück. Vor allem aber erzählen die Professoren vom Institut für Informatik von ihrer aktuellen Arbeit und laufenden Projekten. Denn Gegenwart und Zukunft interessieren sie mehr als die junge Geschichte ihrer Disziplin.

Der große Besprechungstisch ist beinahe leer, nur in der Mitte schlängelt sich ein Kabel um einen Laptop. Nach und nach treffen die Gesprächspartner ein, während Prof. Dr. Bertil Schmidt schon mal ein wenig plaudert. "Wir sind ein junges Team", erzählt der geschäftsführende Leiter des Instituts für Informatik der JGU. Wer hier älter als 50 Jahre sei, gehöre schon zu den Veteranen des Fachs, feixt er – und ein solcher Veteran kommt just hinzu: Prof. Dr. Elmar Schömer. Er hat in seiner wissenschaftlichen Laufbahn einige Weltrekorde aufgestellt, die in der Fachwelt, der Presse und insbesondere bei den Erbauern von Bohrinseln für Aufsehen sorgten. Doch davon später.

Dr. Hans-Jürgen Schröder gehört ebenfalls zu den etwas älteren Mitarbeitern. Als Akademischer Direktor des Instituts kümmert er sich um Studienmanagement und Studienfachberatung. Hinter ihm trudeln vier junge Professoren ein. "Er hat die beste Kaffeemaschine", feixt Schmidt mit Blick auf Prof. Dr. Andreas Hildebrandt. Dieser grinst auf dieses Kompliment wie ein großer Junge. "Die Atmosphäre hier ist sehr familiär", erklärt der Informatiker mit dem etwas umständlichen Titel "Head of Software and Bioinformatics". Das hätte er nicht extra erwähnen müssen. Der Umgangston ist locker. Die Wissenschaftler spielen sich die Bälle zu. Es wird ein lebendiges Gespräch.

Urvater der deutschen Informatik

In diesem Jahr feiert die Informatik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ihren 30. Geburtstag. Doch auf einen ausführlichen Blick in die Geschichte lässt sich die Runde nicht ein. "Informatiker sind per se eher an der Zukunft interessiert als an der Vergangenheit", erklärt Hildebrandt, "so rapide, wie sich die Technik und die Wissenschaft auf unserem Gebiet entwickeln." Schlaglichter müssen also genügen.

"In den 1960ern hat Friedrich L. Bauer hier gelehrt", fällt der stellvertretende geschäftsführende Leiter Prof. Dr. Stefan Kramer ein. Vier Jahre war Bauer Professor für angewandte Mathematik in Mainz. "Er ist einer der Urväter der Informatik in Deutschland." 1984 wurde mit dem mittlerweile emeritierten Kollegen Jürgen Perl der erste Informatik-Professor nach Mainz berufen. "1988 wurde das eigentliche Institut gegründet", erzählt Schröder. Die Informatik begann als Nebenfach. Doch die rasante Entwicklung im Bereich der Computer spiegelte sich auch im Institut. Die Informatik bekam mehr und mehr Gewicht und mauserte sich zum Hauptfach. "Wir waren eines der ersten Institute, das einen Bachelor-Studiengang in Informatik auf den Weg gebracht hat", sagt Schröder. Heute schreiben sich jedes Jahr um die 170 Studierende am Institut ein.

"Mit sieben Professuren sind wir ein vergleichsweise kleines Institut geblieben", so Schmidt. "Wir setzen auf eine familiäre Atmosphäre", ergänzt Schömer. "Aber qualitativ können wir uns mit größeren Instituten messen und methodisch haben wir eine sehr große Bandbreite", setzt Hildebrandt hinzu. "Wir sind sehr interdisziplinär orientiert, bei uns fließen ungeheuer viele Projekte zusammen." Prof. Dr. Ernst Althaus bestätigt: "Wir gehen oft Kooperationen mit anderen Fächern ein. Das bringt uns viel, kostet aber auch viel Energie." – "Wir müssen immer erst einmal die Fachsprache unseres Gegenübers verstehen lernen", erläutert Kramer. "Wir müssen seine Zielsetzungen begreifen."

Forschung familiär

So laufen Gespräche am Institut – und so läuft das Arbeiten. "Wir entwickeln Methoden und Softwarepakete, um die Medikamentenentwicklung und die Krebsdiagnostik zu unterstützen", führt Hildebrandt Beispiele aus seinem Bereich an. "Wir übersetzen dafür Dinge aus der medizinischen in die mathematische Domäne. Wenn ich dazu einen Algorithmus brauche, gehe ich zu Ernst." Er nickt in Richtung Althaus, der für die theoretische Informatik verantwortlich zeichnet. "Wenn ich das Rechnen beschleunigen will, frage ich Bertil, und wenn ich eine visuelle Umsetzung brauche, gehe ich zu Elmar." Schmidt und Schömer nicken, Kramer fasst zusammen: "Bei uns geht ganz viel per Zuruf über den Gang."

Moderne Wissenschaften kommen ohne Computer, ohne Informatik nicht mehr aus. Entsprechend groß ist die Nachfrage nach Kooperationen mit dem Institut und entsprechend zentral arbeitet auch Prof. Dr. André Brinkmann, Leiter des universitären Zentrums für Datenverarbeitung (ZDV), der zum Gespräch leider nicht kommen konnte. Ob Philologie oder Biologie, Sportwissenschaften, Chemie oder Psychologie, überall sind die Informatiker gefragt. Schmidt forscht unter anderem zur Gen-Sequenzierung, Schömer geht Wolkenformationen auf den Grund.

Forschung interdisziplinär

"Wir machen gerade eine Studie, in der es um die Abluft in einem Mainzer Großkino geht", benennt Kramer eine ungewöhnliche Kooperation seiner Arbeitsgruppe mit der Gruppe von Prof. Jonathan Williams vom Max-Planck-Institut für Chemie. "Williams und seine Gruppe untersuchen die Luft auf enthaltene Spurengase." Was dünsten die Kinofans aus, wenn sie einen Liebes- oder einen Actionfilm sehen? "Jetzt haben wir noch eine Psychologin für die Auswertung dazugeholt."

Bei all diesen Projekten arbeitet im Hintergrund MOGON I. Das ist der im Jahr 2012 angeschaffte und 2013 ausgebaute Hochleistungsrechner der JGU. "Er gehörte seinerzeit zu den Top 100 in der Top-500-Liste der schnellsten Rechner der Welt", sagt Schmidt. Innerhalb Deutschlands lag er auf Rang acht. Angesichts der schnellen technischen Entwicklung ist Mogon inzwischen sicher einige Plätze nach unten gerutscht, doch ab 2015 rechnen die Professoren mit einem neuen High Performance Cluster, mit MOGON II.

Den Partnern aus den anderen Fächern sei manchmal schwer zu vermitteln, was so ein Rechner gut könne und was nicht, erzählt Hildebrandt. "Computer und Menschen haben ganz unterschiedliche Stärken. Wir müssen den Leuten erklären, was trivial und was schwierig ist. Ein Mensch erkennt in einem Bild eine Katze ohne Probleme, aber dazu ein Programm für den Computer zu entwickeln, ist eine Herausforderung." Das Durchmustern großer Datenmengen hingegen sei relativ leicht. "Die Stundenplanoptimierung wurde aber bis heute noch nicht gelöst", nennt Althaus ein bekanntes Beispiel, das gerade an einer Universität virulent ist.

Packprobleme gelöst

Schömer und sein Team beschäftigen sich mit einem weiteren Themenkomplex, der auf den ersten Blick so komplex gar nicht erscheint: mit Packproblemen. Hier war das Medienecho groß und die Bohrinselbauer profitierten. Es geht etwa darum, wie Gepäckstücke optimal in einen Kofferraum eingepasst werden. Oder etwas abstrakter: Wie ordnet man eine bestimmte Anzahl Kreise so an, dass sie wiederum in einen einzigen, möglichst kleinen Kreis passen?

Schömers Lösungen für das international diskutierte Packproblem machten Furore und stellten alte Weltrekorde ein. "Dann meldete sich diese Firma, die Bohrinseln baute", erzählt Schmidt. "Sie brauchten dicke Kabel und wollten wissen, wie sie die verschiedenen Fasern darin optimal platzieren können." Schömers Lösungen halfen.

Die Informatiker sind fast überall im Spiel, das wird deutlich in diesem rasant verlaufenden Gespräch. 30 Jahre Informatik an der JGU? Auf diesem Jubiläum ruht sich hier niemand aus. Informatiker sind eben eher an der Zukunft interessiert – und dort warten jede Menge interessanter Projekte auf die Professoren und ihre Teams.