Gemeinsam Artenvielfalt entdecken

18. Juni 2025

Anlässlich der Woche der Botanischen Gärten lädt die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zum BioBlitz 2025 ein: Im gesamten deutschsprachigen Raum soll die Vielfalt wilder Arten in Botanischen Gärten erforscht werden. Neben Fachleuten können auch Laien mit ihren Beobachtungen helfen, ein möglichst vollständiges Bild der Artenvielfalt vor Ort zu zeichnen.

Hendrik Geyer ist fündig geworden. Auf dem weißen Stoff seines Fanggeräts lässt sich ein winziges achtbeiniges Etwas ausmachen. "Das ist eine Sonnenspringspinne der Gattung Heliophanus", erklärt der Biologe von der Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz. Das wenige Millimeter große Tierchen hüpft zur Seite, wenn Geyers Fingerspitze ihr zu nahe kommt. "Sie hat gelbe Beine und gelbe Palpen. Wenn Menschen vor Spinnen Angst haben, ist die Sonnenspringerspinne ideal, um sich an die Tierchen zu gewöhnen – sie ist so zierlich und hübsch anzusehen." Eine Einstiegsspinne gewissermaßen.


Biologe Hendrik Geyer von der Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz ist Experte für Spinnen. (Foto: Stefan F. Sämmer)
Biologe Hendrik Geyer von der Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz ist Experte für Spinnen. (Foto: Stefan F. Sämmer)

Dr. Steffen Caspari, Leiter des bundesweiten Rote-Liste-Zentrums in Bonn, eilt mit einem kleinen Glaszylinder in den Händen vorbei. Eine Biene brummt darin. "Ich weiß nicht genau, um welche Art es sich handelt, aber ich weiß, wer es weiß", meint er mit Blick auf Noel Sillo, der als Biologiestudent an der JGU im Jahr 2019 eine groß angelegte Untersuchung zum Artenspektrum der Wildbienen im Botanischen Garten startete. Gut 200  Arten konnte er zählen. Damit ist der Garten auf dem Gutenberg-Campus ganz weit vorn, europaweit nur noch von Bayreuth übertroffen.

Dr. Carsten Renker vom Naturhistorischen Museum Mainz hat eine Quendelschnecke entdeckt. "Sie ist stark gefährdet." Das Tier braucht Wiesen, um überleben zu können. "Sie ist auf klassische Beweidung angewiesen. Überall, wo gemäht wird, verschwindet sie."


Dr. Carsten Renker verantwortet die Zoologische Forschung & Sammlung im Naturhistorischen Museum Mainz. (Foto: Stefan F. Sämmer)
Dr. Carsten Renker verantwortet die Zoologische Forschung & Sammlung im Naturhistorischen Museum Mainz. (Foto: Stefan F. Sämmer)

Jede Beobachtung zählt

Zum Auftakt der bundesweiten BioBlitz-Aktion wimmelt es im Botanischen Garten der JGU förmlich vor Fachleuten. "Rund 20 Expertinnen und Experten sind unserer Einladung gefolgt, möglichst viele Tier- und Pflanzenarten hier auf dem Gelände zu entdecken", erklärt Dr. Ute Becker, Leiterin der Grünen Schule im Botanischen Garten. "Ganz früh heute Morgen waren schon die Ornithologen da." Sie fanden unter anderem einen brütenden Buntspecht.

Mit dem zur Woche der Botanischen Gärten durchgeführten BioBlitz soll die Artenvielfalt der Gärten erfasst werden. Dabei geht es nicht um die Spezies, die bewusst angesiedelt wurden, sondern um all jene, die wild und ungeplant hinzugekommen sind. Dass die Botanischen Gärten im städtischen Umfeld mit ihrer Vielfalt an Lebensräumen einiges zu bieten haben, ist längst bekannt. Doch eine umfassende Zählung der "wilden Arten" im gesamten deutschsprachigen Raum findet 2025 zum ersten Mal statt: Neben Spezialist*innen sind auch alle Besucher*innen vom 14. bis 22. Juni eingeladen, ihre Entdeckungen zu melden.


Dr. Ute Becker von der Grünen Schule im Botanischen Garten der JGU ist schon jetzt auf das Ergebnis des BioBlitz 2025 gespannt. (Foto: Stefan F. Sämmer)
Dr. Ute Becker von der Grünen Schule im Botanischen Garten der JGU ist schon jetzt auf das Ergebnis des BioBlitz 2025 gespannt. (Foto: Stefan F. Sämmer)

"Jede Beobachtung in diesem Zeitraum ist wichtig", betont Becker. "Wer etwas entdeckt, kann das ganz unkompliziert über die Plattform iNaturalist melden. Dort finden sich Links zu verschiedensten Aktionen, auch zum BioBlitz." Mit drei thematischen Führungen hat der Botanische Garten der JGU den BioBlitz 2025 eröffnet. In den nächsten Tagen folgen weitere Aktivitäten, darunter zwei Kurse der Biodidaktik der JGU. Sowohl das Naturhistorische Museum als auch die Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz unterstützen die Aktion.

Ohne Artenvielfalt kein Netzwerk Natur

Was eher nüchtern als "Fachführung Arten" angekündigt ist, wird unter Dr. Carsten Renkers Regie zur Entdeckungsreise, die erstmal nur wenige Schritte in den Garten hineinführt. Renker zeigt eine Kantige Laubschnecke, eine Gewächshausassel und eine Steinweichsel-Gespinstmotte. Er findet den eher seltenen Mittleren Wegerich, natürlich am Wegesrand. "Wir sind in diesem Botanischen Garten außerordentlich artenreich unterwegs", meint er. Das liegt auch am bunten Ensemble nachgebildeter Landschaften wie der Mainzer Sandflora oder einer Streuobstwiese. Der Garten ist nicht besonders groß, das Bayreuther Gegenstück etwa umfasst entschieden mehr Fläche, doch er ist vielseitig gestaltet. Das wirkt sich positiv auf die Artenvielfalt aus – und bremst das Vorankommen der Führung, weil es so viel zu entdecken gibt.

In der kleinen Teichanlage auf dem Gartengelände findet sich nicht nur eine Stockente mit Küken, die etwas verdutzt über den Besucherandrang scheint. Über das Wasser huschen Libellen. Renker macht eine Hufeisen-Azurjungfer aus, eine Große Königslibelle, einen Vielfleck, einen Plattbauch, einen Großen Saugpfeil und Feuerlibellen. Ein angereister Libellen-Experte macht auf eine weitere Art aufmerksam: Er hat ein Granatauge gefangen, das er nun wieder fliegen lässt, zudem zeigt sich im Vorbeiflug eine Große Prachtlibelle.

"Neben dem Klimawandel ist Artensterben ein ganz großes Thema", betont Hendrik Geyer, der gemeinsam mit Chris Dlouhy von der Stiftung Umwelt und Natur Rheinland-Pfalz eine "Einführung in iNaturalist und ArtenFinder RLP" anbietet. "Aber warum ist es wichtig, ob die eine oder andere Wanze, ob dieser oder jener Schmetterling in freier Natur vorkommt? Wir sind von vielen Dingen, die uns die Natur gibt, abhängig. Ganz viele verschiedene Arten übernehmen die unterschiedlichsten Dienstleistungen. Sie sind in einem komplexen Netzwerk verflochten. Nehmen wir eine Art heraus, verschwindet ein Knotenpunkt", erklärt Geyer. Und irgendwann hat das Netz so viele Knoten verloren, dass es nicht mehr trägt.


Chris Dlouhy von der Stiftung Umwelt und Natur RLP ist auch Ansprechpartner für die Portale iNaturalist und ArtenFinder Rheinland-Pfalz. (Foto: Stefan F. Sämmer)
Chris Dlouhy von der Stiftung Umwelt und Natur RLP ist auch Ansprechpartner für die Portale iNaturalist und ArtenFinder Rheinland-Pfalz. (Foto: Stefan F. Sämmer)

Mangel an verlässlichen Daten

"Die Crux ist: Wir haben ziemlich wenig Daten darüber, was da draußen überhaupt kreucht und fleucht", so Geyer. Hier kommen iNaturalist, aber auch die von der Stiftung Natur und Umwelt betriebene Plattform ArtenVielfalt ins Spiel. Über diese und ähnliche Projekte kann die Bevölkerung ihre Beobachtungen melden – und das auch über den einwöchigen BioBlitz 2025 hinaus. Die Portale setzen Künstliche Intelligenz ein, die Arten bestimmt und dabei ständig hinzulernt. "Bei Plattformen wie unserem ArtenFinder werden die Meldungen zusätzlich von Fachleuten geprüft", erklärt Geyer. Er selbst kennt sich besonders mit Spinnen aus, sein Kollege Dlouhy weiß viel über Pflanzen. Von ihm kommt noch ein kleiner Tipp: "Wenn Sie mit dem Handy zum Beispiel eine Blume fotografieren, ist die Perspektive von oben auf die Blüte die denkbar schlechteste. Am besten schießen Sie mehrere Bilder aus verschiedenen Blickwinkeln, damit können sowohl die Fachleute als auch die KI am meisten anfangen."

Die Führungen sind vorbei, doch der BioBlitz nimmt jetzt erst richtig Fahrt auf. "Das wird ein langer Tag heute", meint Becker. "Es ist ja lange hell und wir wollen am Abend noch Lichtfallen aufstellen." Die Fachleute bleiben also noch – und einige wollen auch später im Jahr wiederkommen. Caspari etwa ist Spezialist für Flechten und Mose, die er allerdings im Winter am besten entdeckt.

Wie gut der Botanische Garten der JGU beim BioBlitz 2025 abschneidet, wird sich dann demnächst in der Gesamtauswertung zeigen. Doch einige Indizien stimmen optimistisch: Die große Zahl wilder Bienen und die Vielfalt an kleinräumigen Landschaften lassen auf ein gutes Ergebnis hoffen.

Text: Gerd Blase