12. September 2017
Von der renommierten Princeton University in den USA kam Dr. Arash Nikoubashman im Jahr 2015 an die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Hier leitet er am Institut für Physik die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe "Kontrollierter Transport und Anordnung von weicher Materie", die sich mit dem Verhalten von kleinen Teilchen in Flüssigkeiten beschäftigt.
"Weiche Materie ist überall", erklärt Dr. Arash Nikoubashman. "Sie sind weiche Materie, ich bin weiche Materie." Lächelnd greift sich der Physiker an die Hüfte. "Vielleicht wäre ich etwas weniger weich, wenn ich mehr Sport treiben würde." Nikoubashman lächelt und deutet auf die Tasse, die neben seinem Computer steht. "Selbst der Kaffee hier ist weiche Materie. In weicher Materie sind viele mikroskopische Pülverchen gelöst, verschiedenste Teilchen finden sich darin. Diese Teilchen sind in Bewegung. Wir interessieren uns dafür, wie sie sich bewegen."
Nikoubashman kam im Oktober 2015 von Princeton nach Mainz, doch sein Büro am Institut für Physik der JGU sieht noch immer aus wie gerade erst bezogen. Hier ein Regal, dort ein paar Stapel Papier.. Darauf angesprochen meint Nikoubashman: "Ich habe extra aufgeräumt. Es war ein bisschen unordentlich."
Reiz der weichen Materie
Tatsächlich könnten diese Aussage und der Raum mit seiner Minimaleinrichtung für Nikoubashmans Forschung stehen – und für die Art, wie er darüber redet: Er stellt Zusammenhänge möglichst einfach und anschaulich dar, verzichtet auf jeden überflüssigen Ballast und nimmt zu Gunsten der Verständlichkeit die ein oder andere Vereinfachung in Kauf. Innerhalb kurzer Zeit gelingt es ihm, ein klares Bild von seinem vielgestaltigen Forschungsgebiet, von der weichen Materie und den unzähligen Stoffen darin zu zeichnen.
"Man nennt unser Gebiet auch Küchenphysik. Denn wir beschäftigen uns nicht mit den großen Fragen. Uns geht es nicht um die Entstehung oder die Grundbausteine des Universums. Wir wollen wissen: Wie kann ich Handcreme geschmeidiger machen? Warum macht Waschmittel sauber? Dafür brauchen wir keine teuren Aufbauten und keine extremen Temperaturen. Unsere Forschung betrifft alle Bereiche des Alltags und sie liegt in einem Bereich, in dem uns Intuition relativ weit bringt. Das ist es, was mich daran reizt."
Bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) warb Nikoubashman eine Emmy Noether-Nachwuchsgruppe zum Thema "Kontrollierter Transport und Anordnung weicher Materie" ein. Solche Gruppen sollen herausragenden jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter anderem die Möglichkeit geben, sich erstmals in der Leitung eines Forschungsteams zu bewähren.
Nikoubashmans Gruppe geht es im Kern um die Bewegung kolloidaler Teilchen. Diese Teilchen können verschiedenster Natur sein. "Wir haben hier am Institut eine Gruppe, die eher in die biologische Richtung geht und sich für die Faltung von Proteinen interessiert, eine andere untersucht, wie sich Bakterien fortbewegen. Meine Arbeitsgruppe schaut sich unter anderem semiflexible Polymere an, also halbwegs steife Stoffe, die aus mehreren großen Molekülen bestehen. Wir wollen wissen, in welchem Zustand sie sich wie anordnen."
Spaghetti und DNA
Zur Veranschaulichung wählt Nikoubashman einen Vergleich aus der Küche: "Stellen Sie sich Spaghetti vor. Wenn die zu lange im Topf bleiben, entsteht eine verhedderte Masse, ein Knäuel. Im Rohzustand allerdings sind Spaghetti sehr steif. Sie bewegen sich völlig anders als die gekochten Nudeln." Wieder anders würden sich halbgare Nudeln oder Spaghetti al dente verhalten.
"Uns geht es natürlich nicht um Nudeln, wir beschäftigen uns mit Teilchen in der Größenordnung von Nano- und Mikrometern. Wie ordnen sich solche Teilchen an, wenn man sie mit einer Kugel umschließt. Wie verhält sich etwa DNA in einer Zelle?"
Um das herauszubekommen, arbeitet Nikoubashman mit Computermodellen. "Ich brauche für meine Arbeit kein kompliziert ausgestattetes Labor", so der Physiker und deutet auf seinen PC. "Das ist mein Labor. Computermodelle haben den Vorteil, dass wir absolute Kontrolle über die Umgebung haben und verschiedene Faktoren beliebig und sehr gezielt verändern können. Wir können sogar die Zeit anhalten."
Die Kunst der Computersimulation besteht für Nikoubashman darin, Modelle so einfach zu halten, dass sich gut damit rechnen lässt, sie aber zugleich so komplex zu lassen, dass sie brauchbare Vorhersagen liefern. Die DNA zum Beispiel mit ihren hunderttausenden Komponenten wäre als Rechenmodell nicht praktikabel. "Wir versuchen, gerade genügend Details mitzunehmen, aber nicht zu viele. Das ist der schmale Grat, auf dem wir wandern."
Vielversprechende Mikrofluidik
Nikoubashmans Gruppe betreibt Grundlagenforschung. "Aber wir schauen mit einem Auge, ob es am Horizont auch machbar ist, ob es später eine praktische Anwendung geben könnte." Er fragte sich zum Beispiel, wann eine Flüssigkeit viskoser wird: Wenn sie Polymere in steifen Ketten oder wenn sie dieselben Polymere als semisteife Ketten enthält? "Das klingt erstmal sehr theoretisch, ist aber interessant für die Lebensmittelindustrie – oder für die Ölindustrie, wenn etwa das Öl zäher werden soll."
Als weiteres Gebiet nennt Nikoubashman mikrofluidische Geräte. "Sie kommen zum Einsatz, wenn wir zum Beispiel Polymere unterschiedlicher Länge oder Form voneinander trennen wollen." Die Flüssigkeit mit den Polymeren wird durch einen feinen Kanal gepresst, der nur einen Typ von Polymeren durchlässt. "Wir versehen den Kanal dafür mit entsprechenden Hindernissen oder klebrigen Wänden."
Die Mikrofluidik ist für die Industrie interessant. "Mit dieser Methode erzeugen wir keine Schadstoffe und es ist kein einmaliges Ereignis, das man immer wieder neu einleiten muss, sondern ein kontinuierlicher Prozess." Auch bei Analyseverfahren lassen sich die winzigen Kanäle nutzen. "Wir können sie nach dem Baukastensystem einsetzen. Das ist ein absolut elegantes Prinzip, das viel Platz spart und preiswert ist." In Zukunft könnten große Analyselabore mit dieser Technik auf Koffergröße schrumpfen.
All dies und einiges mehr entwickeln Dr. Arash Nikoubashman und seine Gruppe an ihren Computern. Doch sie sitzen bei ihrer Forschung nicht isoliert an den Rechnern. "Wir brauchen den Austausch mit Experimentalphysikerinnen und Physiker, die unsere Modelle erproben und neue Impulse liefern. Das ist immerhin ein Drittel unserer Arbeit."
Herausragende Forschungsumgebung
Grundsätzlich ist Nikoubashman die Forschungsumgebung wichtig. Auch deswegen kam er von der Princeton University in New Jersey , wo er drei Jahre am Princeton Center for Complex Materials arbeitete, an die JGU. "Mainz ist für die Forschung mit weicher Materie eine hervorragende Adresse." Nicht nur die Universität, auch das Max-Planck-Institut für Polymerforschung leiste herausragende Arbeit. "Für einen jungen Forscher ist es wichtig, in einem Netzwerk zu arbeiten, und an der JGU bin ich sehr gut eingebunden." Nikoubashmans Emmy Noether-Nachwuchsgruppe ist der Arbeitsgruppe Physik der kondensierten Materie (KOMET) angegliedert und auch hier sind die Kontakte rege.
Dr. Arash Nikoubashman hat in Mainz all das, was er für seine Forschung braucht. Er hat sich gut eingefunden auf dem Gutenberg-Campus. Nur in seinem Büro schlägt sich das noch nicht allzu offensichtlich nieder – zumindest, wenn er Besuch erwartet.