Im besten Sinne europäisch

6. März 2024

Europa im Herzen, das Mittelalter im Blick: Die ersten Studierenden des Studiengangs "Transnational German Studies" haben Ende Februar 2024 ihr Semester in Mainz abgeschlossen. Im Gespräch mit dem JGU-Magazin berichten drei Studierende des Joint Master Degrees über ihre Zeit in der Stadt am Rhein – und die Faszination eines Studiums mit Schwerpunkten zwischen Mittelalter und künftigen Berufsbildern an vier verschiedenen Hochschulen in Europa.

Die ersten Studierenden des Masters "Transnational German Studies" bei der Abschlussveranstaltung in Mainz, zusammen mit Prof. Dr. Stephan Jolie (hintere Reihe, 4.v.r.) und Susanne Dereser (r.), Kulturchefin des SWR. (Foto: Peter Thomas)
Die ersten Studierenden des Masters "Transnational German Studies" bei der Abschlussveranstaltung in Mainz, zusammen mit Prof. Dr. Stephan Jolie (hintere Reihe, 4.v.r.) und Susanne Dereser (r.), Kulturchefin des SWR. (Foto: Peter Thomas)

 

Ein Abend im Mainzer Institut français mit 18 Studierenden aus zwölf Ländern auf vier Kontinenten: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Masterstudiengangs "Transnational German Studies" (TNGS) hielten Ende Februar 2024 mit dem Programm "Mainz auf Zeit. Eine internationale Spurensuche" kreative Rückschau auf ihr Semester an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Bilanz ziehen über ein lebendiges Semester, gleichzeitig die Suche nach einer Wohnung am Studienort ganz im Süden Europas organisieren: Wie fühlt sich diese Phase des Übergangs an? Neugierig sind die jungen Germanistinnen und Germanisten auf Palermo, die letzte Station des internationalen Masters. Aus der JGU nehmen sie wichtige Erfahrungen und Impulse mit.

Fehlen wird ihnen dabei eine besondere Erfahrung aus Mainz, sagt Sharon Ann Titus, die aus Indien kommt: Die Zeit hier habe sich ein wenig wie Nachhausekommen angefühlt. "Denn endlich konnten wir überall Deutsch sprechen – nicht nur in der Universität, sondern auch auf der Straße", erklärt die Master-Studentin. So wurde das eigene Studienfach plötzlich zum Schlüssel für die Alltagskommunikation. Die junge Frau hat sich nach der Schule für ein Germanistikstudium an der Universität Delhi entschieden. Nach Deutschland ist sie im Rahmen des Masterstudiengangs erstmals gekommen.

Mainz ist in dem für zunächst fünf Jahre von der Europäischen Union über das Erasmus-Mundus-Programm geförderten Studiengang jeweils die dritte Station für jede Gruppe. Der Aufenthalt der 18 jungen Germanistinnen und Germanisten aus aller Welt im Wintersemester 2023/24 an der JGU war die Premiere. Und diese ist rundum gelungen, freut sich Prof. Dr. Stephan Jolie: "Ich habe selten so viel über unser Fach und die eigene Lehre gelernt wie von und mit den internationalen Studierenden", resümiert der Professor für Literatur der älteren Epochen am Deutschen Institut und Vizepräsident für Studium und Lehre der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Prof. Dr. Stephan Jolie ist Professor für Literatur der älteren Epochen am Deutschen Institut und Vizepräsident für Studium und Lehre der JGU. (Foto: Peter Thomas)
Prof. Dr. Stephan Jolie ist Professor für Literatur der älteren Epochen am Deutschen Institut und Vizepräsident für Studium und Lehre der JGU. (Foto: Peter Thomas)

 

Lernen, entdecken, erfahren: Das gilt für die Teilnehmenden des Studiengangs nicht nur fachlich, sondern auch hinsichtlich des Lebens in verschiedenen Ländern und Städten. Was sie an Deutschland und Mainz beeindruckt hat, am Alltag in der Universitäts- und Fastnachtsstadt? "Die Menschen hier sind manchmal auf verrückte Weise organisiert und manchmal auf organisierte Weise verrückt", lacht Habriela Danko. Sie stammt aus der Ukraine, hat eine lange Beziehung zur Sprache und Kultur Deutschlands: Bereits ihre Schule kooperierte mit dem Goethe-Institut, 2016 nahm sie an einem Sommerkurs mit Jugendlichen aus aller Welt in Deutschland teil. "Bereits damals habe ich die Internationalität kennen und schätzen gelernt", sagt die Germanistin, die vor dem TNGS in Kiew und Leipzig studierte.

Geleitet wird der Studiengang von Prof. Dr. John Greenfield. Der Germanist der Universität Porto ist in Mainz bekannt, er war im Jahr 2014 der erste Preisträger des Gutenberg Teaching Award der JGU. "Entwickelt hat sich das Programm unter anderem aus dem Erasmus+ Strategic Partnership 'TALC_me: Textual und Literary Cultures in Medieval Europe',“ erklärt Prof. Jolie. "Auf dem Papier war alles 2017 fertig", erinnert der Vizepräsident an die ersten Schritte hin zum heutigen Studiengang.

Dann aber folgte die Herausforderung, den europäischen Master in vier Ländern mit vier verschiedenen Hochschulsystemen einheitlich und gleichberechtigt mit einer einzigen Studienordnung abzubilden. Schließlich wird ein Joint Master Degree von den teilnehmenden Universitäten nicht nur anerkannt, sondern tatsächlich auch gemeinsam vergeben. Das zeichnet den TNGS aus, denn es gibt nur wenige solche Joint Master Degrees auf europäischer Ebene.

Eintauchen in mittelalterliche Identitäten

"Wir tauchen ein in faszinierende mittelalterliche Identitäten, die sich sehr von modernen Konzepten unterscheiden“, sagt Giuseppe Di Paola zum Kernthema der wissenschaftlichen Auseinandersetzung im Master. Der Student aus Italien gehört zur ersten Gruppe des Studiengangs. Beziehungen zu Deutschland hatte er bereits über seine Familie: Da war einerseits der Verwandte, der ein Restaurant in Bamberg betrieb. Dort war Di Paola als Jugendlicher mehrfach in den Sommerferien zu Besuch. Den konkreten Impuls für das Germanistikstudium gab aber sein Vater: "Er schenkte mir im Alter von elf Jahren eine zweisprachige, deutsch-italienische Ausgabe der 'Leiden des jungen Werthers'. Das ist eigentlich keine Lektüre für einen Elfjährigen. Aber bei mir hat damals der Funken der Neugier auf deutsche Literatur und Sprache gezündet."

Drei Studierende des Masterstudiengangs - Giuseppe Di Paola (2.v.l.), Sharon Ann Titus (m.) und Habriela Danko (2.v.r) - im Gespräch mit JGU-Vizepräsident Prof. Dr. Stephan Jolie (r.) und Dr. Jessica Quinlan (l.).
Drei Studierende des Masterstudiengangs - Giuseppe Di Paola (2.v.l.), Sharon Ann Titus (m.) und Habriela Danko (2.v.r) - im Gespräch mit JGU-Vizepräsident Prof. Dr. Stephan Jolie (r.) und Dr. Jessica Quinlan (l.).

 

Was Giuseppe Di Paola ebenso wie seine Kommilitoninnen und Kommilitonen an dem Programm schnell schätzen lernte, ist die Verbindung der akademischen Agenda mit der Vielfalt des Fachs an den vier Standorten – und mit der starken Anknüpfung an die Kompetenzvermittlung für die berufliche Praxis nach einem geisteswissenschaftlichen Studium. Diesen Aspekt beschreibt Stephan Jolie durchaus selbstbewusst: Es gehe den Organisatorinnen und Organisatoren des Studiengangs um die Stärkung von "Humanities for Global Players" – um Geisteswissenschaft für globale Institutionen. Die verpflichtenden Praktika finden bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Mainzer Allgemeinen Zeitung, beim ZDF, im Institut français, dem Staatstheater Mainz sowie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz statt. Hier gibt der Schulterblick in die Praxis, das sogenannte "Job-Shadowing", Einblicke in die Berufsfelder Medien und akademisches Arbeiten. Ähnlich vielfältig waren auch die Inhalte des Praxisprojekts, in dem die Studierenden ihre Zeit in Mainz reflektierten. Begleitet wurde das Projekt von Prof. Jolie und von Susanne Dereser, der Kulturchefin des SWR.

Die Geburt Europas aus dem Mittelalter

Jede sogenannte Kohorte beginnt den Studiengang in Porto, dann geht es über Luxemburg und Mainz schließlich nach Palermo. Das spiegelt das Ziel des Studiengangs wider, Europa nicht nur zu studieren, sondern auch zu erleben. Überall begegnen die Studierenden dabei der Epoche des Mittelalters als Geburtsstunde des modernen Europas. "Aus dem Mittelalter heraus ist Europa mit seiner freien Gesellschaft schließlich geworden und gewachsen", sagt dazu Prof. Jolie.

"Wir lernen eine faszinierend andere Gesellschaft mit anderen Denkmustern kennen", sagt Habriela Danko über die Beschäftigung mit dem Mittelalter und seiner Kultur. Auch Dozentin Dr. Jessica Quinlan hebt die kulturellen Umbrüche der Zeit hervor: "Damals geschieht die Erfindung des Ich in der Literatur, die Idee des Einzelnen kommt auf. Dazu gehört auch die Figur des auf aventiure umherziehenden Artusritters." Alles andere also als die im allgemeinen Bewusstsein häufig vermittelte Vorstellung vom "dunklen Mittelalter".

Dr. Jessica Quinlan ist Dozentin in der Abteilung Ältere deutsche Literatur am Deutschen Institut der JGU. (Foto: Peter Thomas)
Dr. Jessica Quinlan ist Dozentin in der Abteilung Ältere deutsche Literatur am Deutschen Institut der JGU. (Foto: Peter Thomas)

 

Deutschland als Germanistin und Germanist erleben

Die Station in Mainz hat für die Studierenden fachlich eine besondere Bedeutung gehabt. Denn in Portugal, Luxemburg und Italien ist die Germanistik schließlich ein Fach, das sich mit einer ausländischen Sprache und Literatur beschäftigt. Anders an der deutschen JGU, wo das Fach groß und ausdifferenziert gelehrt wird. Durch den Wechsel zwischen den vier Hochschulen erlebt die Gruppe daher auch den Austausch zwischen der Auslandsgermanistik mit ihren spezifischen Perspektiven und der vielfältigen akademischen Landschaft der Germanistik in Deutschland.

Text: Peter Thomas