24.03.2021
Die Kunsthochschule Mainz nimmt neben der Hochschule für Musik eine Sonderstellung im Gefüge der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ein. Zudem ist sie die einzige Kunsthochschule in Rheinland-Pfalz und zugleich eine der kleinsten der Republik. Rektor Dr. Martin Henatsch sieht darin vor allem große Chancen. Im Gespräch betont er die Bedeutung seines Hauses für die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst und Kultur.
"Dies wurde coronabedingt zum heimlichen Hauptquartier unserer Kunsthochschule", erzählt Dr. Martin Henatsch, während er in den Garten seines Hauses führt. "Unsere Terrasse hat in den letzten Monaten tatsächlich eine ungeahnte Funktion übernommen. Hier habe ich viele Kommissionen und Versammlungen begrüßt." Der Rektor der Kunsthochschule Mainz lud ein und viele kamen angereist, unter anderem vom Künstlerhaus Schloss Balmoral, vom Arp Museum Bahnhof Rolandseck oder von der Kunsthalle Mainz. An der freien Luft blieben trotz Kontaktbeschränkungen persönliche Begegnungen möglich. "Wir reden mittlerweile schon von den Terrassengesprächen", meint Henatsch lächelnd und bietet einen Platz am Gartentisch an. Dies ist der passende Ort, um einen Blick auf die Entwicklung der Kunsthochschule Mainz zu werfen. "Ich werde den Akzent auf das Heute setzen", kündigt Henatsch an.
"Als ich vor vier Jahren das Amt des Rektors übernahm, sah ich vor allem zwei Aufgaben: die Konsolidierung der Hochschule nach innen und nach außen, ihre verstärkte Einbeziehung in ein regionales wie überregionales Netzwerk." Die Kunsthochschule Mainz ist die einzige Kunsthochschule in Rheinland-Pfalz – und sie ist ein kleines Haus, verglichen mit den anderen 23 Kunsthochschulen der Republik. In beidem sieht Henatsch große Chancen. "Ich habe Kontakt zu den Studierenden, ich kenne all unsere Klassen genau. Es herrscht eine Unmittelbarkeit und eine Direktheit in der Entscheidungsfindung, die ich sehr schätze. Wir profitieren vom familiären Charakter unserer Kunsthochschule."
Wichtiges Forum für Kunst und Kultur
Der Rektor skizziert sein Haus als Dreh- und Angelpunkt: "Wir erheben Anspruch auf die Position eines der wichtigsten Foren für die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst und Kultur im Land." Dieser Anspruch wurde in der Vergangenheit nicht immer anerkannt. "Die Kunsthochschule Mainz wurde zu wenig und zu geringschätzend wahrgenommen. So konnte es beispielsweise passieren, dass noch vor einigen Jahren politische Grundsatzreden über die Kultur in Rheinland-Pfalz gehalten wurden, ohne uns auch nur zu erwähnen. Mittlerweile wurden wir in die Staatskanzlei eingeladen, um die Kunsthochschule dort bei der Ministerpräsidentin zu präsentieren. Leider musste das Ausstellungsprojekt wegen Corona im letzten Jahr abgesagt werden, aber das holen wir so bald wie möglich nach."
Henatsch knüpfte fleißig Kontakte, auch wenn er darin nicht immer bestärkt wurde. "Als ich zum Beispiel plante, enger mit der Kunsthalle Mainz zusammenzuarbeiten, meinten viele: Das wird nichts, da musst du dich gar nicht melden." Tatsächlich entstand eine enge und produktive Kooperation.
Die Direktorin der Kunsthalle, Stefanie Böttcher, meint dazu: "Ich bin sehr, sehr froh, einen so offenen, regen und exzellenten Partner vor Ort zu haben. Ich schätze die Kunsthochschule, ihre Belegschaft und Aktivitäten sehr. Sie ist als Kunst- und Ausbildungsstätte wahnsinnig wichtig für die Stadt und die Region. In den vergangenen Jahren hat sie sich durch zahlreiche Berufungen und Kooperationen national wie international stark positioniert. Daher ist es klar, dass die Kunsthalle Mainz den Schulterschluss mit der Mainzer Kunsthochschule sucht. Veranstaltungsreihen wie 'Strangers on a train' der Filmklasse mit ihrem Professor John Skoog, das 'Studio für Kunstvermittlung' mit der Kunstdidaktik oder die anstehende Ausstellung ehemaliger und aktueller Studierender 'Wir leben auf einem Stern', deren erneute Eröffnung nun für den September dieses Jahres geplant ist, bilden nur einige der gemeinsamen und sehr erfolgreichen Projekte."
Henatsch betont in diesem Zusammenhang: "Es ist wichtig, dass sich all jene Institutionen, die sich in Rheinland-Pfalz mit zeitgenössischer Kunst befassen, austauschen und gegenseitig bereichern – und es ist selbstverständlich, dass wir als Kunsthochschule Mainz in allen wichtigen Foren und Gremien vertreten sind. Dort, wo über Kunst und die Förderung von Kunst nachgedacht wird, gehören wir dazu."
Zusammenschluss mit Schloss Balmoral
Unter anderem sitzt der Rektor der Kunsthochschule Mainz im Kuratorium der Landesstiftung, die das Arp Museum Bahnhof Rolandseck betreibt. Gern vermittelt er den Kontakt zu Dr. Oliver Kornhoff, dem Direktor des Museums, der sich ebenfalls ausführlicher zum Stellenwert der Kunsthochschule äußert: "Das Arp Museum und die Kunsthochschule haben viel gemeinsam, insbesondere unsere inhaltlichen und strategischen Qualitätsansprüche. Wir wollen in Rolandseck und in Mainz die Besten willkommen heißen: als ausstellende Künstlerinnen und Künstler und als Studierende. Beides verbindet sich aufs Schönste bei außerhochschulischen Lehrveranstaltungen in unserem Museum oder gegenseitiger Gremienarbeit. In unserem gemeinsamen Engagement stellen wir den Menschen ins Zentrum und fragen nach den humanistischen Grundkonstanten: Mit und für Künstlerinnen und Künstler, mit und für die Kunst, mit und für unser Publikum, mit und für unser Bundesland, mit und für unsere Häuser." Kornhoff möchte die Freundschaft mit Henatsch und der Kunsthochschule unbedingt weiter ausbauen.
Anfang des Jahres übertrug das Land der Kunsthochschule Mainz die Trägerschaft des renommierten Künstlerhauses Schloss Balmoral. "Ich sehe darin einen großen Vertrauensbeweis und bin stolz, dass man uns ein solches Juwel anvertraut hat", sagt Henatsch. "Zunächst ist es eine Ehre, aber wir haben uns natürlich trotzdem intern Gedanken gemacht, ob dieser Zusammenschluss für die Kunsthochschule auch wirklich sinnvoll ist. Wir betreten absolutes Neuland. Manche meinten bildlich gesprochen: Gerade bauen wir noch am Fundament beziehungsweise Erdgeschoss unseres Hauses und nun sollen wir plötzlich eine krönende zehnte Etage aufsetzen." Doch Henatsch betont das Potenzial dieser zukunftsweisenden Aufstockung und bleibt hoffnungsvoll, dass die notwendigen Zwischengeschosse auch noch ermöglicht werden: "Durch die Partnerschaft mit dem berühmten Künstlerhaus bekommen wir nicht nur ein bundesweites Alleinstellungsmerkmal, es ergeben sich vor allem viele Synergien." Beide Häuser sollen ihre Eigenständigkeit behalten und zugleich voneinander profitieren. "Wir werden auf Balmoral zum Beispiel ein Stipendium für unsere Mainzer Absolventinnen und Absolventen einrichten und die Programme der beiden Häuser terminlich wie inhaltlich aufeinander abstimmen."
Lotte Dinse, Leiterin des Künstlerhauses, führt dazu weiter aus: "Die Vernetzung von Stipendiatinnen und Stipendiaten, der Studierenden und Lehrenden ist ein wichtiges Ziel unserer Kooperation. Es geht darum, im Rahmen gemeinsamer Projekte Erfahrungen, Wissen und Ideen auszutauschen und eine multiperspektivische, generationenübergreifende und transnationale Auseinandersetzung mit bestimmten Themen und Inhalten zu ermöglichen und zu fördern. Ich bin mir sicher, dass diese einmalige Partnerschaft große Mehrwerte für beide Seiten haben wird."
Teil der JGU mit eigenem Profil
In der Vergangenheit hatte die Kunsthochschule Mainz damit zu kämpfen, dass sie Teil der JGU ist, während ihre Gegenparte in den anderen Bundesländern zumeist als eigenständige Institutionen konzipiert wurden. "Es herrschte ein wenig die Grundphilosophie: So lange wir nicht autonom sind, sind wir keine echte Kunsthochschule, und deshalb wollen wir nicht als Teil der Universität gesehen werden", erinnert sich Henatsch. Der Rektor sieht das kritisch: "Auf diese Abgrenzung wurde ungeheuer viel Energie verwendet, die wir besser in andere Dinge stecken können. Zu lange haben wir unsere Teilautonomie immer als Manko nach außen getragen. Glücklicherweise ist es inzwischen so, dass wir weitgehend eigenverantwortlich handeln können, nur eben mit der Verwaltung der JGU, die uns damit übrigens einiges abnimmt."
Henatsch betont das gute Verhältnis zum Präsidium der JGU. "Wir haben viele vertrauensvolle Gespräche geführt. Eine jüngst verhandelte bilaterale und nun unterschriftsreife Vereinbarung wird der Kunsthochschule weitere Spielräume öffnen, um ihren so wichtigen Status als eigenständig agierende Kunsthochschule auszubauen. Auf dieser Grundlage wird die Kunsthochschule Mainz mit ihrer ganz eigenen Identität auch in der Reihe der übrigen Kunsthochschulen voll akzeptiert."
Die Vernetzung in der Region ist gelungen, der Stellenwert der Kunsthochschule Mainz anerkannt. Was gibt es noch zu tun? "In den kommenden Jahren werden wir uns noch intensiver um unsere räumliche Situation kümmern müssen, denn diese ist im Moment mehr als unbefriedigend", meint Henatsch. "Es fehlt Raum an allen Ecken und Enden. Zudem wäre es sinnvoll, die Studierendenzahl moderat anzuheben. Doch ohne den nötigen Platz ist das nicht denkbar. Der Bau einer seit Jahren in Aussicht gestellten und finanziell zugesicherten zweiten Basisklasse fehlt schmerzlich und wird in der Priorisierung des Landesbetriebs LBB immer wieder zurückgestellt. Ebenso benötigen wir dringend einen permanenten Ausstellungsraum, in dem wir uns innerstädtisch präsentieren können. Wir denken sogar über Dependancen des Haupthauses am Taubertsberg in der Stadt nach." Personell ließe sich einiges stemmen, nicht zuletzt, weil die Kunsthochschule in den vergangenen Jahren herausragende und außerordentlich engagierte internationale Künstlerpersönlichkeiten als Professorinnen und Professoren gewinnen konnte.
Globaler Austausch
Internationale Verbindungen sind eine wichtige Facette für die Zukunft der Kunsthochschule. "Wir müssen uns zunehmend einem internationalen Konkurrenzfeld stellen", so Henatsch. Auch hier will er noch mehr erreichen. Neben bestehenden Austauschprogrammen beispielsweise mit dem Department of Art der California State University Chico in den USA sind ihm auch Kontakte zu "fremder" erscheinenden Kulturtraditionen wichtig, etwa zum Art Department der Nihon University in Tokio oder zum National College of Arts in Lahore, Pakistan. "Ich würde gerne den Austausch mit künstlerischen Sprachen vorantreiben, die von zentraleuropäischer Seite lange diskriminiert wurden. Das geschieht im Moment zu wenig – nicht nur bei uns, sondern ganz allgemein in der nach wie vor hegemonial westlich geprägten Kunstwelt." Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist das unter Henatschs Leitung eingeworbene Projekt am Gutenberg Forschungskolleg (GFK) der JGU, das für fünf Jahre eine Klasse für Freie Bildende Kunst finanziert, die sich insbesondere mit interkulturellen Fragen der Kunst beschäftigt und für die er Prof. Parastou Forouhar gewinnen konnte. "Kunst ist zwar immer an einem Ort verwurzelt, kann aber nicht nach Postleitzahlen sortiert werden. Sie muss sich einem offenen Austausch der Ideen stellen und ist zunehmend global zu denken." Dafür soll die Kunsthochschule Plattform sein.
"Wir sind in der Region verankert und international vernetzt", schließt Henatsch. Von der Terrasse seines Mainzer Hauses blickt er weit hinaus. Wahrscheinlich werden sich hier nach der Pandemie bald auch wieder neben den Professorinnen und Professoren aus Berlin, Düsseldorf, Köln oder Frankfurt Gäste aus Japan, Pakistan oder der arabischen Welt einfinden.