Insektensterben ist in vollem Gange

2. März 2021

Ob Wildbienen, Käfer oder Fliegen – ein Großteil ist bereits verschwunden: Untersuchungen zeigen, dass die Zahl der Insekten rasant zurückgeht. Über Ursachen und Folgen dieser Entwicklung spricht PD Dr. Florian Menzel vom Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie (IOME) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU).

Wenn es um Insekten geht, ist die Datenlage vergleichsweise dünn. "Säugetiere, Vögel oder Reptilien sind viel besser untersucht", stellt PD Dr. Florian Menzel vom Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie (IOME) der JGU fest. "Daten über deren Populationen reichen zum Teil recht weit zurück. Bei Robben zum Beispiel sind uns relativ verlässliche Fangquoten aus dem 18. Jahrhundert überliefert. Für Insekten dagegen hatten wir lange keine Zahlen. Wir wussten vielleicht, dass eine Art an einem bestimmten Ort vorkommt, doch Langzeitdaten zu ihrer Bestandsentwicklung fehlten fast völlig."

Das änderte sich erst in den letzten Jahrzehnten. 2017 etwa traten Forscher des Entomologischen Vereins Krefeld mit beunruhigenden Ergebnissen an die Öffentlichkeit: Seit über 25 Jahren fingen sie systematisch Insekten an vielen Orten in ganz Deutschland und stellten nun fest, dass die Masse der Insekten verglichen mit 1990 um 76 Prozent zurückgegangen war. "Weitere Untersuchungen kamen zu ähnlichen Ergebnissen, auch außerhalb Deutschlands", erzählt Menzel. "In England war es die Royal Society for the Protection of Birds, die über eine groß angelegte Aktion das Insektensterben nachwies, und voriges Jahr kam eine Studie aus Deutschland hinzu, die allein von 2008 bis 2017 einen Rückgang der Insektenzahlen im Grünland um 80 Prozent konstatierte."

Tiere ohne Lobby

Momentan ist Menzel dabei, für eine Sonderausgabe der Fachzeitschrift Biology Letters Beiträge zum Insektensterben zusammenzustellen. "Dieses Thema findet in den Medien leider zu wenig Beachtung", meint er. Seit Monaten beherrscht die Corona-Pandemie die Schlagzeilen. Insekten bleiben im öffentlichen Bewusstsein weitgehend Nebensache.

"Ihnen fehlt das Charisma und der Niedlichkeitsfaktor", sagt Menzel. "Sie haben keine Lobby wie Pandas oder Tiger. Aber sie stellen weltweit mindestens drei Viertel aller Tiere. Ihr Rückgang hat also drastische Folgen. Nicht zuletzt dienen sie als Nahrung für andere Tiere. So machen wir parallel zum Insektensterben bereits ein Vogelsterben aus: Selbst häufige Arten wie Star oder Rotkehlchen sind betroffen. Ihre Zahl ging in den letzten zehn Jahren um 15 Prozent zurück und auch bei den Fischen zeigt das Schwinden von Wasserinsekten Wirkung."

In Deutschland gibt es mehrere Tausend Insektenarten. "Einige wenige trifft das Sterben offenbar nicht. Sie sind weiterhin häufig." Menzel nennt die Deutsche Wespe oder bestimmte Baumwanzenarten, die manchmal im Bereich der Städte lästig werden können. Hinzu kommt der Asiatische Marienkäfer, der einst zur Schädlingsbekämpfung eingeführt wurde und durch seine explosionsartige Vermehrung ein Problem für die heimischen Marienkäferarten darstellt. "Auch unsere Honigbiene ist nicht so sehr gefährdet. Da gibt es Verluste, aber die lassen sich ausgleichen." Wildbienen, Käfer und viele Fliegenarten dagegen treffe es hart. "Viele von ihnen sind als Bestäuber wichtig, manche Pflanzenarten sind ausschließlich auf sie angewiesen."

Die Ursachen des Insektensterbens werden in der öffentlichen Berichterstattung zwar genannt, doch Menzel muss feststellen, dass die Prioritäten falsch gesetzt sind: "Vom Klimawandel ist oft die Rede, doch der war bisher bei uns in Europa noch nicht so das Problem – die Betonung liegt auf 'noch'. Wir sind Temperaturschwankungen über die Jahre hinweg gewohnt und unsere Insekten auch. In den Tropen sieht das anders aus. Dort blieben die Temperaturen in der Vergangenheit recht stabil und bereits Schwankungen um ein Grad Celsius können gerade bei Tieren, die mit ihrem Metabolismus sowieso bereits am Limit sind, fatale Folgen haben."

Lebensräume verschwinden

In der Zukunft allerdings wird der Klimawandel auch der Insektenwelt gemäßigter Breiten zu schaffen machen. "Meine Arbeitsgruppe forscht unter anderem zu den Oberflächenwachsen auf dem Körper von Insekten. Da sie so klein sind, ist Austrocknung ein echtes Problem für die Tiere. Das Wachs schützt davor. Doch bei höherer Temperatur verändert es seine Konsistenz: Es wird flüssiger und kann seine Aufgabe nicht mehr erfüllen."

Als zweiter Faktor fürs Insektensterben werden häufig Pestizide ins Feld geführt. Menzel meint dazu: "Glyphosat ist schädlich, da es als Totalherbizid alle Pflanzen außer Nutzpflanzen tötet und es das meist verwendete unter diesen Herbiziden ist. Aber nur dieses zu verbieten, würde nicht viel bringen, wenn dann einfach ein anderes Totalherbizid eingesetzt wird." Die neueste Generation der Insektizide, die Neonicotinoide, die das Nervensystem schädigen, seien sicher ein Problem. "Ihr Einsatz hat seit den 1990er-Jahren massiv zugenommen. Doch wenn Sie die verbieten, finden sich schnell andere, womöglich schädlichere Mittel." Und im Grunde seien sie nur Symptom einer umfassenderen Entwicklung.

"Die Intensivierung der Landwirtschaft ist die Hauptursache für unser Insektensterben. Wo früher Blumen blühten, wachsen heute Gräser, die als Tierfutter dienen. Feldsäume, Hecken oder Gehölzinseln sind beinahe ganz aus der bewirtschafteten Natur verschwunden. Diese gründliche Monotonisierung betrifft die gesamte landwirtschaftlich genutzte Fläche – das sind 50 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands. Für Insekten ist sie alles andere als ein Segen. Ihre Lebensräume verschwinden."

Menzel stellt klar: "Ich will hier nicht die Landwirte an den Pranger stellen. Verantwortlich für diese Entwicklung sind wir, die wir immer billigere Lebensmittel fordern, die Supermarktketten, die massiven Druck auf die Bauern ausüben, aber auch die Politik: Bisher werden Subventionen so vergeben, dass Umweltschutz kaum eine Rolle spielt."

Dies seien die Dreh- und Angelpunkte, an denen jeder einzelne ansetzen könne. "Wir sollten uns vor allem für die Agrarwende einsetzen", rät Menzel, "also für eine umweltverträgliche und nachhaltige Landwirtschaft." Diverse Umweltverbände machten sich dafür bereits stark. Als einen Anlaufpunkt im Internet empfiehlt der Biologe die europäische Bürgerinitiative "Save Bees and Farmers" und auch der Naturschutzbund Deutschland (NABU) kämpfe seit Jahren für die Agrarwende.

Kleine Schritte helfen

Die intensive Tierhaltung belaste die Umwelt besonders: Um ein Kilo Fleisch herzustellen, sind viele Kilo Futterpflanzen notwendig. "Weltweit werden 80 Prozent der Agrarfläche nur für den Fleischkonsum benötigt. Kein Fleisch essen ist also definitiv eine gute Idee, das reduziert enorm den Produktionsdruck auf landwirtschaftlichen Flächen." Jenseits davon lasse sich eine Wende auf vielen Ebenen einleiten. Saisonal und regional einkaufen sei ein wichtiger Punkt. "Außerdem kann man den eigenen Garten insektenfreundlich gestalten, indem man heimische Pflanzen anbaut."

Menzel lebt in Mainz, mitten in der Stadt. Auch hier ließe sich mit kleinen Schritten bereits einiges bewirken: "Einfach mal seltener die Wiesen mähen würde schon etwas bringen." Noch besser wäre es, eintönige Rasenflächen in bunte Blumenwiesen zu verwandeln. Doch leider gehe Stadtplanung oft in andere Richtungen. "Das Neubaugebiet am Zollhafen mit seiner massiven Flächenversiegelung ist sicher kein Ruhmesblatt und auch die geplante Abholzung eines ein Hektar großen Waldstücks in Hartenberg-Münchfeld ist nicht im Sinne des Klima- und Insektenschutzes", kritisiert Menzel – stellt aber zugleich fest: "An sich haben Kommunen oft ein offenes Ohr für Umweltbelange." Er selbst traf sich mit Verantwortlichen am Wildgraben im Mainzer Stadtteil Bretzenheim, um zu erörtern, wie sich dieses Gebiet insektenfreundlicher gestalten lässt.

"Das Insektensterben ist nicht sofort für jeden sichtbar", räumt Menzel ein. Ameisen etwa, um die sich seine Forschung zu großen Teilen dreht, seien langlebig. "Eine Kolonie von Roten Waldameisen existiert über Jahre. Das registrieren wir. Doch dass es diesen Tieren vielleicht seit langem nicht mehr gelingt, neue Kolonien zu gründen, entgeht uns. Wir sehen nur, was ist." Dem Biologen jedoch fällt das Schwinden dieser Art im Ober-Olmer Wald auf. Zwar mag sein, dass dieses Detail für sich keine großen Probleme bereiten wird. Doch 80 Prozent weniger Insekten insgesamt? "Das sollte uns alle zum Handeln veranlassen", meint Menzel.

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