Kunst in den Herbstferien

25. Oktober 2017

Eine Woche lang konnten sich Schülerinnen und Schüler beim traditionellen Herbstworkshop der Kunsthochschule der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ausprobieren: in Aktzeichnung und Medienkunst, in Druckgrafik und Malerei. Und mit der Zeit bekamen sie ein ziemlich gutes Gefühl dafür, wie es ist, intensiv künstlerisch zu arbeiten.

"Dieser Steinbruch ist eines meiner Lieblingsmotive", erzählt Natalie. Eine ganze Reihe Bilder sind hierzu in den letzten fünf Tagen entstanden. Auf den ersten Arbeiten herrschen Grau- und Brauntöne vor. Gesteinsformationen sind zu erkennen, dazwischen wächst ein wenig Grün. "Ich habe ganz verschiedene Herangehensweisen an mein Thema kennengelernt", erläutert die 18-Jährige. "Das war interessant und neu für mich. Es gibt sehr unterschiedliche Wege, den Steinbruch darzustellen. Ich kann ihn zum Beispiel aus dem Mittelgrund oder aus dem Hintergrund entwickeln."

Die Schülerin ist aus dem Westerwald angereist, um am Herbstworkshop der Kunsthochschule Mainz teilzunehmen. "Ich möchte Kunst auf Lehramt studieren und Mainz ist meine erste Wahl. Ich habe den Eindruck, dass man mir hier viel mehr Freiheit lässt als woanders."

Mut zum Experimentieren

Sie deutet auf ein Ölgemälde, das sich deutlich von ihren ersten Versuchen unterscheidet. "Hier habe ich herumexperimentiert. Ich habe einfach mit ein paar Klecksen angefangen und mich gefragt: Was kann ich daraus machen?" Natalie hat sich ein Stück weit von ihrem ursprünglichen Motiv gelöst, nun treten die Materialien und Methoden der Malerei in den Vordergrund. "Ich sehe immer noch den Steinbruch, aber jemand anderes erkennt vielleicht ein Gesicht darin. Das ist in Ordnung so."

Seit Jahren schon lädt die Kunsthochschule Mainz kurz vor Semesterbeginn zu ihren Frühjahrs- und Herbstworkshops ein: Schülerinnen und Schüler der Oberstufe bekommen hier die Gelegenheit, die künstlerische Praxis der Kunsthochschule kennenzulernen. Besonders Studieninteressierte können vorfühlen, ob dies die Art und Weise ist, wie sie ihrer Kunst später nachgehen wollen. Unterrichtet werden sie dabei von Dozierenden der Kunsthochschule und ehemaligen Studierenden, die mittlerweile als freie Künstlerinnen und Künstler tätig sind. Beim Herbstworkshop 2017 standen vier Disziplinen zur Wahl: Aktzeichnen, Druckgrafik, Medienkunst und Malerei.

"Malerei ist ein sehr schwieriges Medium", sagt Lea Schäfer. "Es gibt wenig Technisches, was man unterrichten kann." Bis vor einem Jahr studierte sie selbst an der Kunsthochschule Mainz, nun leitet sie erstmals den Malerei-Kurs beim Herbstworkshop. Sie hat 13 Schülerinnen über die Woche hinweg begleitet.

"Am Anfang habe ich gar nicht viel erzählt, sondern sie machen lassen. Zuerst wollten sie mit ihren Bildern vor allem Geschichten erzählen." Das änderte sich im Laufe des Kurses. "Die Motive verselbstständigten sich und es ging mehr um die Materialien, die Farben, die Leinwand. Da wird es dann interessant." Schäfer hat jedes der Mädchen individuell betreut. "Es ist am besten, wenn man das, was man erklären möchte, am konkreten Bild zeigt."

Rauschhaftes Arbeiten

Die Arbeit an der Kunsthochschule unterscheidet sich deutlich von herkömmlichem Unterricht. "Für viele ist es ein großer Sprung. Sie warten oft auf Anweisungen von uns. Wir geben ihnen aber die Freiheit, sich ganz frei auszuprobieren. Das ist Chance und Herausforderung zugleich."

Einige Räume weiter unterrichtet Anton Kokl künstlerische Druckgrafik. Unter den Dozierenden des Herbstworkshops ist er unbestritten der Veteran. Im Moment läuft gerade eine Ausstellung, mit der er an der Kunsthochschule verabschiedet wird. Jetzt wuseln in der Werkstatt ein gutes Dutzend junger Leute um ihn herum. "Sie sind ungeheuer produktiv", erzählt Kokl begeistert. "Es sind insgesamt rund 400 Drucke entstanden."

Seit vier Jahren gibt er diesen Kurs. "Es ist jedes Mal ein interessantes Arbeiten, es hat fast etwas Rauschhaftes." Diesmal ist er besonders angetan. "Wir konnten schon am ersten Tag komplexe Druckvorgänge ausprobieren und ich habe gesehen, wie der Kurs immer besser und professioneller wurde. Einige haben schon jetzt das Zeug für ein Kunststudium."

Ein Stockwerk weiter oben bauen die 18-jährige Anna-Lena und die 17-jährige Marlen ihr Kunstwerk im Flur auf. Die beiden Schülerinnen stammen aus der Region Karlsruhe. "Aber noch aus Rheinland-Pfalz", betont Anna-Lena lächelnd. Im Medienkunst-Kurs von Eric Cusminus entwickelten sie ihre eigene Videoinstallation. "Wir haben uns für Medienkunst entschieden, weil wir das nicht in der Schule machen", erklärt Marlen. "Wir haben viel gelernt über verschiedene Techniken, besonders über Dinge wie Setbau oder Beleuchtung."

Kunstexkurs per Video

"Braucht man Kunst?" übertiteln die beiden ihr Werk. Dafür posierten sie selbst, um berühmte Gemälde im Foto nachzustellen. Eine ganz eigene Version von Tischbeins "Goethe in der Campagna" ist so entstanden – und auch eine Neuauflage von Vermeers "Mädchen mit dem Perlenohrring". Diese Aufnahmen liefern den Hintergrund für die Szene eines sechsminütigen Videos: Zwei Handpuppen fachsimpeln über die verfremdete Kunst, als sei es die wahrhaftige. Sie näseln blasiert und protzen mit Fachwissen.

"Wir wollten ein schweres Thema so behandeln, dass man darüber lachen kann", sagt Anna-Lena. Dabei helfen auch die Handpuppen selbst: Sie sind schlicht aus Socken entstanden. "Wir mussten improvisieren und das nehmen, was uns an Material in die Finger kam", erläutert Marlen. Am Ergebnis erkennt man das nicht.

Den größten Andrang im Herbstworkshop erlebte die Aktzeichnung. Dafür fanden sich 20 Schülerinnen und Schüler im großen Hörsaal der Kunsthochschule zusammen. In der Mitte steht noch das Podest für die Aktmodelle. Es ist mittlerweile verwaist. Die Kursteilnehmer sind dabei, einzelne Zeichnungen auszuwählen, die sie bei der Präsentation zum Abschluss des Herbstworkshops zeigen wollen. Dort werden alle vier Kurse ihre Arbeiten vorstellen.

Seit 2010 unterrichtet Nikola Jaensch Aktzeichnung an der Akademie. "Dieser Kurs ist auch eine Augenschule", erklärt sie. "Wir lernen das genaue Hinschauen. Viele zeichnen das, was sie glauben zu sehen, nicht das, was sie tatsächlich sehen." Tag für Tag kam ein neues Aktmodell. Frauen und Männer unterschiedlichen Alters bestiegen das Podest. "Da lag es nahe, dass wir auch Gespräche über Körperbilder und Schönheitsideale führen."

Fehler willkommen

Gleich zu Beginn stellte Jaensch eines klar: "Fehler sind willkommen, denn aus Fehlern kann man wunderbar lernen." Dann ging es an die intensive Arbeit. "Ich lege Wert auf die dialogische Einfühlung. Es geht nicht darum, einfach abbildhaft abzuzeichnen. Es ist wichtig, in die Zeichnung herüberzuretten, dass ein lebendiger Mensch Modell saß."

Die 16-jährige Fabienne hat ihre Zeichnungen wie einen Fächer vor sich ausgebreitet. Welche soll sie gleich zeigen? "Ich habe ganz neue Techniken gelernt", erzählt die Schülerin aus Bad Münster, während sie ihre Werke hin und her schiebt. "Ich habe zum Beispiel vorher kaum mit Schattierungen gearbeitet." Sie deutet auf eine Zeichnung mit mehreren Figuren. "Und ich habe gelernt, freier zu zeichnen."

Es dauert noch eine Weile, bis sie sich entscheiden muss, ob das Kunststudium eine Option für sie wäre. "Aber der Kurs hat mir viel gebracht", bekräftigt sie. "Ich habe gemerkt, wie schön es ist, dass jeder einzigartig ist."