Kunst in der Krise, Kunst im Aufwind

25. März 2015

Es geht um den "Wert der Kunst" beim 33. Deutschen Kunsthistorikertag an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Rund 800 Besucherinnen und Besuchern bietet sich noch bis zum 28. März 2015 ein vielgestaltiges Programm zu diesem hochaktuellen Thema. Gleich zu Beginn trumpfte die Tagung mit einer lebendigen Podiumsdiskussion auf: Prominente Akteure der Kunstszene debattierten über die Autonomie der Kunst und den Kunstmarkt, über den ökonomischen und den ideellen Wert von Kunst.

Viele Fragen stehen im Raum – und einige davon bringt Prof. Dr. Gregor Wedekind von der Abteilung Kunstgeschichte der Johannes Gutenberg-Universität Mainz aufs Podium. "Wir leben in einer Zeit, in der sich der Blick zunehmend auf den ökonomischen Wert der Kunst konzentriert, und die Kunst passt sich dem an", konstatiert er. Es gebe längst eine Superkunst für Superreiche, die nicht mehr auf plurale Rezeption ausgerichtet sei.

Klar ist: Der Kunstmarkt boomt und Kunstwerke sind für viele vor allem eine Wertanlage. "Es gibt eine Verengung auf wenige Starkünstler", kritisiert Wedekind. "Dem wird die Vielfalt der Kunst geopfert." Angesichts dieser Geschäftemacherei scheint der ideelle Wert der Kunst immer mehr aus dem Blickfeld zu schwinden. "Wie steht es um das Verhältnis von Marktwert und ideellem Wert? Was ist die Kunst jedem Einzelnen wert? Was ist sie der Gesellschaft wert? Und welche Rolle nimmt in diesem Prozess der Be- und Entwertung von Kunst die Kunstgeschichte ein?"

Gewaltiges Thema

Wedekind räumt gleich zu Beginn ein: "Das Thema unseres Gesprächs ist ein Gewaltiges." Es ist auch das Thema, mit dem sich der 33. Deutsche Kunsthistorikertag beschäftigt. Vom 24. bis 28. März 2015 richtet das Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der JGU gemeinsam mit dem Verband Deutscher Kunsthistoriker e. V. diese Tagung auf dem Gutenberg-Campus aus.

Rund 800 Besucherinnen und Besucher setzen sich mit dem Themenkomplex "Der Wert der Kunst" auseinander. Ein vielgestaltiges Programm wartet an diesen fünf Tagen auf sie. Vorträge, Führungen, Foren beschäftigen sich mit verschiedensten Aspekten von der Raubkunst bis zur Fälschung, von der Kunst des Mittelalters bis zur Kunst der Gegenwart. Exkursionen führen durchs UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal, in Synagogen, Künstlerhäuser und vieles mehr.

Zur Eröffnung jedoch lädt Wedekind zusammen mit seinen Mainzer Kollegen Prof. Dr. Elisabeth Oy-Marra und Prof. Dr. Matthias Müller in den größten Hörsaal der Universität ein. Eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion soll erste Akzente setzen. Fünf prominente Gäste diskutieren mit dem Mainzer Trio über den Wert der Kunst.

Autonomie als Ideal

"Wie steht es um die Autonomie der Kunst?", fragt Wedekind – und ZEIT-Redakteur Hanno Rauterberg zieht eine eher düstere Bilanz: "Die Mehrzahl der Künstler ist in einem Zeitalter der Postautonomie angekommen. Sie lassen sich von Museen und Sammlern engagieren und nehmen Aufträge an." Der Redakteur erzählt von Künstlern, die für eine Wäschemarke Unterhemden kreierten. Just diese Marke gehe mit der angeblichen Autonomie der Künstler in ihrem Werbefeldzug hausieren. Rauterberg sieht darin eine gewisse Schizophrenie: "Das Unternehmen legt Wert darauf, dass Künstler nicht gekauft werden."

Kunstkritikerin Isabelle Graw, Professorin für Kunsttheorie an der Städelschule in Frankfurt, meint dazu: "Autonomie der Kunst war immer ein Ideal, eine notwendige Fiktion. Im Autonomieideal selbst ist ein ökonomisches Moment impliziert. Der Markt ist interessiert daran."

Dass der Kunstmarkt eine immer größere Rolle spielt, dass er wächst und an Macht gewinnt, darin sind sich die beiden einig. Der Herausgeber der Kulturzeitschrift MERKUR, Christian Demand, scheint das allerdings entspannt zu beobachten. "Wir tun so, als sei da etwas ganz schrecklich verloren gegangen", sagt er und setzt gleich dagegen: "Wenn jemand das Ende der Kunst ausruft, heißt das nur, dass sich gewisse Spielregeln geändert haben." Demand kommt auf die Superkunst und die Superreichen zu sprechen, die Wedekind eingangs ins Feld führte. "Ich glaube nicht, dass sich etwas Grundstürzendes ereignet, wenn einzelne Multimilliardäre Kunst kaufen."

Viele Kunst, viel Markt

In diese Richtung denkt auch Max Hollein, Direktor von Städel, Schirn und Liebieghaus in Frankfurt. Er warnt vor Alarmismus. "Ich muss einfach feststellen: Der Kunst geht es so gut wie nie zuvor. Noch nie hatten wir so eine Bandbreite, noch nie war die Diversität so groß. Ein Kunstmarkt, der in einer Hochphase ist, ist eine Reaktion auf die Situation der Kunst." Niemals zuvor in der Geschichte sei Kunst so verbreitet gewesen. "Noch nie sind so viele Bücher über Kunst produziert worden." Ironisch fragt der Kunsthistoriker zum Thema Superkunst und Superreiche: "Wenn ein Oligarch 25 Millionen für ein Kunstwerk ausgibt, wurde dann der Künstler verführt oder der Oligarch?"

Podiumsdiskussionen neigen oft zur Trägheit, wenn der Kreis mehr als drei oder vier Diskutierende umfasst. Anstelle von Rede und Gegenrede treten oft Statements. Manches dreht sich im Kreis, vieles wiederholt sich. Hier jedoch ist das völlig anders. Den Besuchern des Kunsthistorikertags bietet sich ein lebendiger Austausch, manchmal sogar ein pointierter Schlagabtausch.

Selbstverständlich können manche Themen nur gestreift werden an diesem Abend. So bringt Isabel Pfeiffer-Poensgen einen besonderen Charakter der Kunst in Deutschland zur Sprache. "Das Wesen bei uns ist, das wir eher kein nationales Kulturerbe haben, sondern ein regionales", meint die Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder. "Schwerpunkt sind regionale Identifikationen und regionale Identitäten."

Vielversprechender Auftakt

Es geht unter anderem um die Rolle der Museen in der Zukunft, um die Macht oder Machtlosigkeit der Kunstkritik – und nicht zuletzt um die Rolle der Kunsthistoriker. Zu ihnen meint Demand: "Wert wird gebildet, indem darüber gesprochen wird." Genau das tue die Kunstgeschichte und in diesem Sinne sei sie ein Wertgenerator der Kunst.

Viele dieser Aspekte werden noch ausführlicher zur Sprache kommen beim 33. Deutschen Kunsthistorikertag. Sollte diese Podiumsdiskussion den Ton gesetzt haben für die nächsten Tage, dann wird es spannend werden für die 800 Gäste auf dem Gutenberg-Campus.