Lebenswissenschaften live on stage

1. November 2016

Anlässlich der Wiedereröffnung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) vor 70 Jahren haben die Universität, die Universitätsmedizin Mainz und das Institut für Molekulare Biologie zum LifeScienceSlam in den Frankfurter Hof eingeladen. Vor großem Publikum hieß es hier für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus dem Bereich der Lebenswissenschaften, ihre aktuelle Forschung höchst unterhaltsam zu präsentieren.

Fröhlich grinst ein kugelrundes Cartoon-Gesicht von der Leinwand auf das Publikum. "Das hier ist Guido, eine gesunde Zelle", erzählt Daniel Pieh. Mit Guido passieren üble Dinge. "Sein genetischer Code wird verändert, er wird zur Tumorzelle." Plötzlich entsteht dort, wo eben noch das Gesicht nett lächelte, ein grimmig dreinblickendes Geschöpf. Aus Guido ist eine Krebszelle geworden. "Er will besonders groß und stark werden. Man könnte Parallelen zu einem Bodybuilder ziehen." Dem Cartoon-Wesen wächst ein Arm. Es protzt mit mächtigem Bizeps.

Pieh fragt ins Publikum, was zur bevorzugten Diät von Bodybuildern gehört. "Proteindrinks", tönt es hilfreich aus dem Saal. "Richtig, Bodybuilder trinken am liebsten Proteinshakes und genau das tut Guido auch." Die Cartoon-Krebszelle auf der Leinwand bildet Strohhalme aus. "Darüber saugt Guido ganz viele Aminosäuren ein und macht sich daraus seinen Proteinshake", erklärt Pieh. "Meine Aufgabe ist es, die Rolle dieser Strohhalme für Guido zu untersuchen."

Forschung im Cartoon

Pieh studiert Humanmedizin an der Universitätsmedizin Mainz. Auf der Bühne des Frankfurter Hofs in der Mainzer Altstadt erklärt er innerhalb von zehn Minuten seine Forschung. Unterhaltsam und kurzweilig soll der Vortrag sein, zugleich aber auch informativ. Für diesen Spagat hat der Doktorand einen in die Jahre gekommenen Overhead-Projektor mitgebracht. Live auf der Bühne zeichnet er den Cartoon von Guido, um die komplizierten Vorgänge in einer Krebszelle so einfach wie möglich darzustellen.

Anlässlich der Wiedereröffnung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) vor 70 Jahren haben sich drei Institutionen zusammengetan, um dieses Jubiläum auf besondere Weise zu begehen. Zwar gab es im Jubiläumsjahr bereits festliche Empfänge, Ausstellungen, Diskussionsrunden und vieles mehr, doch die JGU, die Universitätsmedizin Mainz und das Institut für Molekulare Biologie (IMB) wollten noch etwas Außergewöhnliches bieten und haben daher zum LifeScienceSlam eingeladen.

Die ScienceSlam-Szene ist in den letzten Jahren beständig gewachsen. Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler präsentieren im 10-Minuten-Takt ihre Forschungsprojekte und lassen das Publikum per Applaus über den besten Beitrag entscheiden. Die Slammer dürfen fast alles auf der Bühne: singen, rappen, dichten – oder eben zeichnen. Auf keinen Fall aber sollten sie langweilen. Dies ist eine frische, kreative Form der Wissenschaftskommunikation, die in der Vergangenheit von manch einem kritisch beäugt wurde, sich aber mehr und mehr etabliert.

Große Nachfrage

"Unsere 500 Karten waren nach vier Stunden weg", erzählt Gabriel Belinga Belinga. Er gehört zum Team von LUUPS, einer Initiative, die sich als Verlag, Agentur und Plattform versteht und regionale Aktivitäten im Bereich Kunst und Musik bündelt. LUUPS veranstaltet regelmäßig ScienceSlams und half nun bei der Organisation des Jubiläums-Slams im Frankfurter Hof.

Fünf Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wagen sich ins Rampenlicht. Zwei Dinge verbinden sie: Alle forschen im Bereich der Lebenswissenschaften, der Life Sciences, und alle versuchen sich das erste Mal als Slammer. LUUPS hatte im Vorfeld einen speziellen Workshop angeboten, um sie auf diesen Moment vorzubereiten, doch die Nervosität ist deutlich spürbar.

Um das Eis zu brechen, tritt außer Konkurrenz ein "Featured Scientist" auf, ein routinierter Wissenschaftler: Prof. Dr. Dr. Perikles Simon vom Institut für Sportwissenschaft der JGU. Er nennt seinen Kurzvortrag "Dr. Spottmedizin oder wie ich lernte, das Dopen zu lieben". Kurz bevor er auf die Bühne tritt, meint er noch: "Ich bin sonst vor Vorträgen nicht mehr nervös, aber hier schon. Es sind gar nicht die vielen Leute, sondern eher die Frage, ob man es wirklich gut rüberbringen kann."

Männer als Looser

Simon bietet eine Art Wissenschaftssatire über heterosexuelle Männer und ihre Mühen mit dem Bildungssystem. "Wie wurden wir zu Bildungs-Loosern?", fragt er – und: "Was können wir tun?" Nach einer schrägen Analyse und einem aufwendigen Diagramm kommt er zu dem Ratschlag: "Schokolade für die Jungs – nur für die Jungs!" Einen Hauch ernster erzählt der Sportmediziner von seiner Arbeit: "Wir wollen tatsächlich verstehen, wie Leistung zustande kommt. Aber weil wir es nicht verstehen, konnte ich es heute Abend nicht präsentieren."

Dann beginnt der eigentliche Wettbewerb. Moderator Moritz Zaiss vom Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik hat bereits durch einige Slams geführt, das ist ihm anzumerken. Routiniert stimmt er das Publikum ein, das als Stimmungsbarometer unentbehrlich ist und am Ende den Sieger küren soll.

Die Molekularbiologin Marina Borisova beschäftigt sich am IMB mit der Auswirkung von UV-Strahlung auf den Menschen. "Humane Zellen – Katastrophe: Sonne als DNA-Stressfaktor" heißt ihr Vortrag. Es geht darum, wie Sonnenstrahlen die Erbinformation schädigen und wie die Zelle darauf reagiert.

Aylin Klein vom Institut für Zoologie der JGU fragt in ihrer Darbietung "Hat Recycling einen Sinn?". Sie führt vom Flaschenautomaten im Supermarkt zum Nervensystem der Fruchtfliege. Die Doktorandin zeigt, dass nicht nur der Mensch recycelt, sondern auch die Nervenzelle.

Speck muss weg

Mit Nervenzellen beschäftigt sich auch Dr. Tineke Vogelaar, Juniorgruppenleiterin am Institut für Mikroskopische Anatomie und Neurobiologie an der Universitätsmedizin Mainz. Sie tritt im Superwoman-Kostüm auf, um an Superman-Darsteller Christopher Reeve zu erinnern, der nach einem Unfall vom Halswirbel abwärts gelähmt war und mit einigem Erfolg dagegen ankämpfte. Die Neurowissenschaftlerin geht der Frage nach, wie beschädigte Nervenzellen nach einer Querschnittslähmung wieder zum Zusammenwachsen gebracht werden können.

"Speck muss weg!", fordert Christian Hessel vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universitätsmedizin. "Legt alle mal eure Hände auf euren Bauch und dann schön kneten." Fett sei erst mal nichts Schlechtes, meint der Immunologe. Es helfe bei Nahrungsknappheit. Doch Fett drückt auch die weißen Blutkörperchen im Gewebe zusammen – und die reagieren recht rabiat darauf. Sie rufen weitere weiße Blutkörperchen zu Hilfe. Das Immunsystem tritt in Aktion. Zusammenhänge mit Erkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck liegen nahe.

Alle vier ernten reichlich Applaus für ihre Auftritte. Der Sieg ist beim ScienceSlam allgemein eher Nebensache, auch hier spielt er sicher keine große Rolle. Die frisch gebackenen Slammerinnen und Slammer haben sich durchweg gut geschlagen.

Mörderische Haarklammer

Einer allerdings sticht dann doch heraus: Pieh und seine Cartoon-Zelle machen das Rennen. Spätestens als der Mediziner erzählt, wie er Guidos Strohhalme sabotiert, scheint der Wettbewerb entschieden: Guidos DNA enthält die Baupläne für die Strohhalme. Sie werden von den Strohhalm-Architekten an der Zellwand angefordert. "Guido schickt einen Boten los. Ich will diesen Boten umbringen: ohne Bote kein Bauplan und keine Strohhalme."

Pieh schmuggelt durch einen Virus fremdes Genmaterial in die Zelle. Nun veranlasst die Viren-DNA, dass Guido neben seiner Boten-RNA noch etwas produziert, nämlich eine wegen ihrer Form "Small Hairpin" genannte RNA, die sich wiederum aufspaltet in die Mörder, die sich mit der Boten-RNA verbinden, sie töten und mit ihr zugrunde gehen. "Mit einer Haarklammer gegen den Krebs", nennt Pieh seinen Siegervortrag – und am Ende trägt Guido tatsächlich den Hairpin in reizendem Rosa, ein mörderisches Accessoire.