14. Oktober 2013
Mathematik und Sport passen gut zusammen – das beweisen Lehramtsstudierende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) mit ihrem Projekt DenkSport. Bereits im Jahr 2011 riefen sie dieses außergewöhnliche Ferienangebot für Schülerinnen und Schüler ins Leben. Seither ist DenkSport auf Erfolgskurs.
Der Turm soll höher werden, viel höher. Holzklotz auf Holzklotz haben die sechs Schüler zu einem runden Hohlkörper aufeinandergestapelt, doch jetzt kommen sie nicht mehr an die Spitze. "Können wir bitte einen Stuhl haben?", ruft Hamid. "Wir brauchen einen Stuhl." Der Elfjährige ist mit Leidenschaft dabei. Ihr Turm soll der höchste werden. Da geht noch einiges, wenn nur erst der Stuhl da ist. Eine halbe Stunde bleibt ihnen, dann ist die Zeit abgelaufen.
„Wir sind sehr überrascht, wie gut man mit den Kindern arbeiten kann“, sagt Simon Heinz. Er schaut zu, wie Hamid auf den Stuhl steigt, einen Klotz in jeder Hand. „Ich glaube, wir haben sie sogar etwas unterschätzt.“
Heinz gehört zu den zwölf Lehramtsstudierenden der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die in diesem Jahr das Projekt DenkSport mit Leben füllen. Sie haben ein ganzes Bündel an Spielen und Aktionen vorbereitet, mit dem sie Mainzer Schülerinnen und Schüler der fünften und sechsten Klassenstufen für die Welt der Mathematik begeistern wollen.
Die schiefen Türme von Pisa
In einem Vorbereitungsseminar arbeiteten die Studierenden ihr Konzept aus. Ziel war es, eine Schülergruppe in den Ferien für eine Woche mit den Mitteln des Sports an die Mathematik heranzuführen. "Wir haben uns für eine Zeitreise als Rahmen entschieden", erklärt Heinz. Die Expedition begann in der Antike und führte über das Mittelalter bis in die Renaissance. Dort sind die Kinder jetzt angekommen. Es gilt, ein Bauwerk in der Tradition des schiefen Turms von Pisa zu erschaffen. Zehntausende Holzklötze liegen bereit. Vier Gruppen sind bei der Arbeit.
Kims Gruppe hat sich für die Massivbauweise entschieden. Entsprechend langsam wächst das quadratische Fundament ihres Bauwerks. "Die anderen sind schon viel höher", meint die Zehnjährige und schaut besorgt auf die Konkurrenz. "Aber unser Turm ist stabiler", sagt der ebenfalls zehnjährige Kai und schaufelt ihr weiter Klötze zu.
Im Jahr 2011, als Mainz vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft zur "Stadt der Wissenschaft" gekürt wurde, entstand das Projekt DenkSport. Die Idee, Sport und Mathematik miteinander zu verbinden, existierte schon länger, doch nun existierten die Mittel, um dies zu realisieren. Keimzelle war der Bereich Fachdidaktik der Mathematik am Institut für Mathematik der JGU. Initiatoren waren Lehramtsstudierende der Mathematik und des Sports. DenkSport wurde zum Erfolg. Das Gutenberg Lehrkolleg der Universität zeichnete die Initiative 2011 als "Innovatives Lehrprojekt" aus – vor allem aber gab es über die Jahre immer mehr Studierende und Kinder, die teilnehmen wollten.
Studierende gestalten Ferienprogramm
"Wir wollten weg vom typischen Schulcharakter", erzählt Marcel Barth. "Die Kinder sollen im Spiel selbst Lösungen finden." Barth und Ute Paeseler aus der Fachdidaktik der Mathematik zeichnen heute für die Betreuung der Studierendengruppe verantwortlich. Paeseler war von Anfang an mit dabei, Barth stieß vor zwei Jahren zu DenkSport.
Es begann mit jeweils einem Kurs in den Oster- und den Herbstferien. In Kooperation mit der Stadt wurde das Mainzer Neustadtzentrum zum Mathe-Parcours. Sechs Lehramtsstudierende bekamen Gelegenheit, ein etwas anderes Praktikum zu absolvieren.
"In einem normalen Schulpraktikum sitzt du als Studierender mit im regulären Unterricht", erzählt Barth. "Wenn es schlecht läuft, bekommst du vielleicht die Gelegenheit, gerade mal eine Stunde selbst zu konzipieren und zu halten." Bei DenkSport dagegen gilt es, fünf Tage zu konzipieren – inklusive Ausflüge und Mahlzeiten. "Das ist viel Arbeit, es bringt aber auch viel. Die Studierenden können selbst Inhalte entwickeln. Sie arbeiten in einer Gruppe und sie haben engen Kontakt zu den Kindern."
Nachfrage ist groß
Barth arbeitete zuerst selbst an den Ferienprogrammen mit. Heute nimmt er sich zurück und betreut gemeinsam mit Paeseler Studierende, die in ihre Fußstapfen treten. "Dabei ist es uns wichtig, dass unsere alten Programme nicht einfach übernommen werden. Jede Gruppe schafft etwas Neues." Im Herbst 2013 ist es die Zeitreise durch die Mathematik, die angesichts der Nachfrage sogar zweimal angeboten wird: im Neustadtzentrum und im Mainzer Haus der Jugend.
"Wir erreichen mittlerweile rund 50 Kinder mit DenkSport und zwölf Studierende können an dem Praktikum teilnehmen", sagt Barth. Bewerber gibt es erheblich mehr – ob auf Seiten der Studierenden oder der Kinder. Einige Schulen kooperieren mit dem Projekt, darunter Gymnasien, integrierte Gesamtschulen und Realschulen. "Uns ist es wichtig, eine heterogene Gruppe zu bekommen, in der alle gemeinsam spielen und lernen."
Die Zeit ist um. Die Türme sind nicht unbedingt fertig, aber sie machen mächtig Eindruck. Nun kommt der Zahlenteufel ins Spiel, der im wirklichen Leben eine Studentin der Mathematik und Chemie auf Lehramt ist. Melanie Heilgendorf führt als Moderatorin durchs Programm. "Wie kann man einen Turm bewerten?", fragt sie. Die Kinder antworten mit einem Strauß an Vorschlägen: nach der Höhe, nach Stabilität, nach den Extras am Bau.
Ein Panzer vor dem Turm
Doch in der nachfolgenden Diskussion geht es gar nicht so sehr um ein sportliches Höher, Schneller, Weiter. Die Turmbauer tauschen sich lieber aus. "Die Balkone an eurem Turm, die finde ich toll." – "Wir haben noch eine Garage gebaut und ein Haus für die Arbeiter." – "Wir hätten unseren noch höher bauen können."
Auch Unklarheiten gilt es zu beseitigen. "Vor unseren Turm haben wir einen Helikopter und einen Panzer gestellt." – "Warum das denn?" – "Damit der Turm beschützt wird. Er muss ja nicht in Deutschland stehen. Vielleicht steht er in Syrien oder Vietnam."
Für die Kinder geht es weiter durch der Welt der Mathematik. Nun werden sie gemeinsam ein Iglu aus den Klötzen bauen. Und morgen steht ein Ausflug in den Wald an. "Da werden wir ihnen unter anderem den Strahlensatz näherbringen, auch wenn wir das Wort 'Strahlensatz' gar nicht in den Mund nehmen", erzählt Barth. Die Zeitreisenden erfahren dann, wie einfach es sein kann, mit dem Unterarm und einer einfachen Rechnung zu ermitteln, wie hoch ein Baum ist. Mathematik kann ein Abenteuer sein.