Mehr als nur Medikamente

16. Januar 2013

Die Apotheke der Universitätsmedizin Mainz gehört zu den modernsten und größten ihrer Art. Von hier aus wird die Universitätsmedizin mit Arzneimitteln, Medizinprodukten und Laborbedarf versorgt. Hunderttausende von individuell zubereiteten Präparaten entstehen hier. Dienstleistung und Logistik, Forschung und Lehre finden sich unter einem Dach – einem sehr unauffälligen allerdings.

Der flache Bau aus den 1970ern scheint sich schüchtern zu ducken zwischen den hoch aufragenden Klinikgebäuden nebenan. Imposant sieht anders aus. Was allenfalls auffällt, ist diese breite Rampe für die Anlieferer mit der Zufahrt für die Laster. Und wer durchs Fenster schaut, sieht erst einmal Reihen voller Holzpaletten mit gestapelten Kartons.

"Meine Mitarbeiter sagen: 'Wie bei Aldi‘", räumt Prof. Dr. Irene Krämer lächelnd ein. Doch das Discounter-Ambiente täuscht. Gebäude 704 bietet viel mehr, als der erste Blick verspricht. Denn dies ist die Apotheke der Universitätsmedizin Mainz, eine der modernsten und größten Krankenhausapotheken Deutschlands. Rund 100 Menschen arbeiten hier, Studierende lernen, Akademiker forschen. Und die Fachkräfte für Lagerlogistik nehmen derweil eine wahre Flut von Arzneimitteln und Medizinprodukten entgegen. Rund zehn Tonnen kommen täglich an.

Ein Alligator im Foyer

Einfach mal eintreten, das geht nicht in dieser Apotheke. Immer wird überprüft, wer hier was zu suchen hat. Und wer dann ins Foyer vordringt, schaut zuerst auf Vitrinen mit Medikamenten und Instrumenten aus alten Zeiten. Darüber hängt ein ausgestopfter Alligator. "Das ist unser kleines Museum", erklärt Krämer. Seit 20 Jahren leitet sie die Apotheke der Universitätsmedizin Mainz.

Der Alligator hing im 17. Jahrhundert als Zeichen der Zunft über den Läden der Apotheker. Seither hat sich einiges geändert. Das wird der nun folgende Rundgang zeigen.

In einem modernen Laborraum gleich nebenan hantieren Mitarbeiter mit Mundschutz. "Hier stellen wir Medikamente in kleineren Mengen her", so Krämer, "besonders für Kinder oder etwa für Hautpatienten." Hier entsteht also das, was die Pharmaindustrie nicht liefern kann: auf einen einzelnen Patienten zugeschnittene Arzneimittel.

270.000 Kapseln im Jahr

Dabei addieren sich diese "kleineren Mengen" im Laufe eines Jahres allerdings zu Schwindel erregenden Massen. Allein im Jahr 2011 entstanden 270.000 Kapseln in der Mainzer Universitätsapotheke, 150.000 Spritzen wurden anwendungsbereit gefüllt, 1.900 verschiedene Rezepturen waren zu mischen. Dabei ging es nicht nur um bewährte Arzneien: Die Apotheke nimmt derzeit an mehr als 100 Studien rund um neue Arzneimittel teil. Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortschreiben.

Krämer führt zu Labors mit immer höheren Hygienestandards: Hinter einer Glasscheibe agieren Apotheker in Sicherheitskleidung. Eine Klimaanlage sorgt für gleichbleibende Temperaturen und Druckverhältnisse. Wieder geht es um Kinder: Nährlösungen werden gemischt für täglich rund 25 kleine Patienten. Die Infusionen kommen durch eine Schleuse nach draußen. Alles muss keimfrei bleiben, zudem ist Präzision gefragt.

Dann erfolgt noch eine Prüfung im analytischen Labor. Dort werden zuvor auch die angelieferten Ausgangsstoffe getestet. Eigentlich kann da nichts mehr schiefgehen, oder? "Es darf nichts schiefgehen", betont Krämer mit Nachdruck.

Ruhe im Labor

Es reiht sich Labor an Labor. Was auffällt bei diesem Rundgang: Es ist überall ruhig, beinahe entspannt. Krämer hat dazu eine ganz klare Meinung: "Wer oft gestört wird, macht Fehler." Fehler aber kann sie nicht gebrauchen.

Dann geht es in die Halle, die von draußen einzusehen war. Ja, das hat was von Discounter. Paletten mit Kartons voller Spritzen finden sich hier, Türme von Arzneimittelpackungen. Damit wird die gesamte Universitätsmedizin beliefert. Sieben Fahrer erledigen das. Im Zentrum arbeitet ein Roboter: Auf einer Schiene saust er zwischen Warenregalen hin und her, um sich aus rund 1.300 Fächern die angeforderten Arzneien zu schnappen

Es gibt noch viel mehr zu sehen. Tresore für brisante Wirkstoffe neben schlichten Büros. Dort wird um Kosten für den medizinischen Sachbedarf gerungen. "Wir verhandeln unsere Preise frei", erklärt Krämer. Im Jahr 2011 lag das Umsatzvolumen der Apotheke bei 136 Millionen Euro.

Forschung in der Apotheke

Krämer führt jetzt in ihr Büro, um zum Schluss noch eine Facette zu präsentieren. Es geht um die Forschung, in diesem Fall um die Versorgungsforschung. Im Jahr 2012 gewann die Apotheke mit dem Projekt "Optimierung der Arzneimitteltherapie über die Sektorengrenzen hinweg" den MSD-Gesundheitspreis. Die auf insgesamt 100.000 Euro dotierte Auszeichnung wurde an fünf Preisträger vergeben.

Dr. Claudia Mildner, Fachapothekerin für Klinische Pharmazie, erzählt bei einem Kaffee vom Dilemma der Entlassungsmedikation: "Bei der Entlassung aus dem Krankenhaus darf der behandelnde Arzt kein Rezept ausstellen, er darf auch keine Medikamente mitgeben." Ausnahmen gibt es lediglich vor Wochenenden oder Feiertagen. Der Patient soll am besten noch am selben Tag seinen Hausarzt konsultieren und sich da ein Rezept holen.

Aber ist der Patient dazu fähig? Und sieht er die Notwendigkeit oder den Sinn einer weiteren Arzneimitteltherapie ein? Manchmal ist der Hausarzt schwer zu erreichen oder es kommen nicht genug Informationen von der Klinik über seine Praxis bis zum Patienten.

Neues Modell im Klinikalltag

An fünf Kliniken in Rheinland-Pfalz wurde deswegen ein neues Modell erprobt: Bei der Entlassung gibt es nicht nur Arzneimittel zur Überbrückung, es wird auch über Sinn und Zweck der Medikation informiert. Eigentlich leuchtet ein, dass auf diese Weise eine fortlaufende Versorgung eher gewährleistet ist.

"Das Problem sind die unterschiedlichen Finanzierungstöpfe bei stationärer und ambulanter Therapie", erklärt Mildner. Niedergelassene Apotheker oder Hausärzte etwa würden bei einer Neuregelung natürlich etwas aus ihrem Topf verlieren. Die Mainzer Uni-Apotheker haben mit ihrer Studie nun ein wichtiges Argument dafür geliefert, trotzdem etwas an der althergebrachten Praxis zu ändern. "Wir hoffen auf Unterstützung vom rheinland-pfälzischen Ministerium für Gesundheit, das die Studie unterstützt", so Krämer.

Nach dem Gespräch geht es wieder hinaus vor die Apotheke. Gebäude 704 duckt sich immer noch zwischen seinen Nachbarn. Imposant sieht es wirklich nicht aus. Aber sein Innenleben, das hat es in sich, so das Fazit nach eineinhalb Stunden.