10. Juli 2025
Roboter werden künftig eine immer wichtigere Rolle in unserem Alltag spielen. An der Johannes Gutenberg-Universität Main (JGU) forschen Prof. Dr. Johannes Kraus und sein Team zur Interaktion zwischen Menschen und autonomen Maschinen – um Strategien für ein gutes und harmonisches Miteinander zu entwickeln.
"Mensch, Roboter! Pass doch auf!", möchte man rufen, wenn die autonom agierende Reinigungsmaschine mit gefühlt deutlich zu wenig Abstand blinkend und brummend an einem vorbeifährt. "Im realen Leben würde eine so unangenehm nahe Begegnung kaum vorkommen", konstatiert Prof. Dr. Johannes Kraus. Moderne Reinigungsroboter sind bereits mit zahlreichen Sicherheitssystemen ausgerüstet, damit sie Menschen aus dem Weg gehen.
Johannes Kraus ist seit 2023 an der JGU, zunächst als Juniorprofessor für Anwendungsorientierte Kognitionspsychologie und seit Mai 2025 als Professor für Human Factors und Ingenieurpsychologie am Psychologischen Institut der Universität. In der neu geschaffenen Abteilung forschen Kraus und sein Team zu psychologischen Prozessen bei der Interaktion mit technischen Systemen. Das gewonnene Wissen wird im Bereich von Human Factors und Ingenieurpsychologie angewendet, um derartige Systeme so zu gestalten, dass ihre Nutzung oder die Interaktion mit ihnen angenehm und möglichst ohne Missverständnisse und Fehler abläuft.

Neben der Anwendung im Bereich der Robotik forscht Kraus schwerpunktmäßig zu automatisiertem Fahren und aktuellen KI-basierten Systemen wie Large Language Models – Stichwort ChatGPT. Hierbei geht es Kraus und seinem Team insbesondere auch darum, auf gesellschaftlicher Ebene positive Effekte durch einen angemessenen und menschenorientierten Einsatz der intelligenten Technik in der Arbeitswelt und im Alltag zu fördern. "Nur wenn wir wirklich verstehen, wie Menschen ihr Wissen und ihre Erwartungen an KI-basierte Systeme von heute aufbauen, können wir sie dazu befähigen, die Technologie durch eine angemessene Einbettung in ihre Lebenswelt sowie eine passende Gestaltung der Kommunikation – ob etwa über Touchbedienung oder Sprache – optimal zu ihrem Vorteil zu nutzen."
Doch zurück zu den Robotern, die im Weg stehen. Kraus interessieren genau solche Spannungen wie die zwischen Mensch und Reinigungsroboter. Denn diese zu verstehen ist wichtig, um Strategien für eine möglichst harmonische Koexistenz von Menschen und neuartigen technischen Systemen entwickeln zu können. Deshalb trägt der Besucher im Roboterlabor des Instituts an diesem Morgen eine VR-Brille und erlebt, wie der Reinigungsroboter in verschiedenen Abständen und mit unterschiedlich lauten Geräuschen immer wieder an ihm vorbeifährt. Anschließend soll er bewerten, wie unangenehm er die Situation empfunden hat.
Das Versuchssetting ist die Virtualisierung eines realen Versuchs im öffentlichen Raum, den Kraus und sein Team im Rahmen des Projekts ZEN-MRI in einer Unterführung in Ulm durchgeführt haben. ZEN-MRI steht dabei für "Ulmer Zentrum zur Erforschung und Evaluation der Mensch-Roboter-Interaktion im öffentlichen Raum", Kraus' vorheriger Wirkungsstätte. Neben der Universität Ulm und der JGU zählen auch die Hochschule der Medien Stuttgart mit ihrem Institut für Digitale Ethik sowie das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation zu den wissenschaftlichen Projektpartnern. Außerdem sind der Roboterhersteller Adlatus und die Stadt Ulm in das Vorhaben eingebunden. Gefördert wird ZEN-MRI vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR). Kaus koordiniert das Projekt mittlerweile von Mainz aus.
Längst keine Science-Fiction mehr
Begegnungen mit Robotern im Alltag? Einst dachte man dabei vielleicht an "Krieg der Sterne" oder "Per Anhalter durch die Galaxis". Denn lange Zeit schien klar, dass Roboter vor allem in Bereichen zum Einsatz kommen, die sorgfältig von der menschlichen Lebenswelt abgetrennt sind. Roboter schweißten Bleche auf Montagelinien der Industrie, fuhren Paletten durch die Lagerhallen von Logistikunternehmen oder überwachten Areale der Energiewirtschaft und des Militärs – alles Bereiche, die durch Gitter, Zäune, Mauern von der Außenwelt abgetrennt sind. Genau das ändere sich allerdings gerade mit großer Dynamik, so Kraus. "Roboter übernehmen zunehmend Aufgaben im öffentlichen Raum, zum Beispiel in der Flächenreinigung. Aber auch Serviceroboter in Einkaufszentren und autonome Lieferfahrzeuge auf der Straße sind bald keine Zukunftsmusik mehr."

Zukünftig vielversprechende Einsatzmöglichkeiten von Projektrobotern wären die interaktive mobile Tourismusinformation, Anlaufstellen für medizinische Notfälle mit Defibrillator und Kommunikationsmodul, aber auch Begleiter durch den öffentlichen Raum in der Nacht mit Sicherheitskamera. Groß sei das Potenzial auch in halböffentlichen Bereichen wie Kliniken, Pflegeeinrichtungen oder Schulen, erklärt Kraus. Künftig könnten Roboter vielleicht sogar im pädagogischen Bereich eingesetzt werden, etwa in der Leseförderung.
"Diese Entwicklung stellt die Gesellschaft vor neue Herausforderungen", gibt der Psychologe zu bedenken. "Die meisten Menschen kennen Roboter nicht aus ihrer eigenen Alltagserfahrung, sie haben bisher keine Beziehung zu Robotern aufbauen können." Um dafür Lösungen zu finden, wollen die Disziplinen Human Factors und Ingenieurpsychologie die Interaktion zwischen Menschen und Robotern besser verstehen. "Dabei geht es vor allem um ein besseres Verständnis der Anforderungen und Bedürfnisse des menschlichen Teils im Mensch-Technik-System", so Kraus.
Der Roboter mit der blauen Strickmütze
Johannes Kraus ist nach dem Studium in Mannheim und seiner Promotion über Vertrauen in Automation und Mensch-Roboter-Interaktion in der Abteilung Human Factors an der Universität Ulm im Oktober 2023 als Juniorprofessor an die JGU berufen worden. Seit Mai 2025 hat er hier nun eine Lebenszeitprofessur inne und leitet die Abteilung Human Factors und Ingenieurpsychologie. Sein Team umfasst neben Dr. Marlene Wessels und Tim Niewalda als wissenschaftliche Mitarbeitende auch die Masterstudierenden Katharina Stiller und Michel Schiszler – und nicht zuletzt Roboter Navel, dessen Namensgebung das Motiv des menschlichen Geborenwerdens aufgreift.

Mit blauer Strickmütze, neugierigem Augenaufschlag und Kinderstimme begegnet Navel dem Besucher im Labor und verwickelt ihn direkt in ein Gespräch, fragt mit der Wissbegierde eines Grundschülers immer wieder nach. Dahinter steckt ein leistungsfähiges Large Language Model (LLM). Eine weitere Maschine im Labor ist ein Präzisionsroboter, der zum Beispiel in der Konfektionierung von Onlinebestellungen zum Einsatz kommen könnte – ein typisches Feld für die kollaborative Zusammenarbeit von Mensch und Maschine, wobei kollaborierende Roboter unter dem Begriff Cobot zusammengefasst werden.
Neben den Versuchen mit Probanden im Labor gehören auch Feldversuche zum methodischen Werkzeugkasten der Mainzer Psychologen. Prof. Dr. Johannes Kraus zeigt Videos der realen Begegnung mit dem Reinigungsroboter in der Ulmer Unterführung. Die Reaktionen der gefilmten Menschen sind vielfältig, sie reichen von Neugier über Indifferenz bis zum aktiven Ausprobieren – und damit unabsichtlichen Stören – der Maschine. Kritisch wird die Begegnung nie. Aus solchen Versuchsanordnungen lassen sich jedoch wichtige Erkenntnisse unter anderem zu Design und Ausstattung der Roboter ableiten: Wenn die Maschine beispielsweise ihren Fahrweg und den Aktionsradius zuverlässig und zugleich möglichst wenig störend anzeigt, dann kommen Menschen am besten mit der autonomen Technik zurecht.
Bei allen Fragestellungen denken die Mainzer Forschenden immer ausgehend vom Menschen, nicht vom Roboter. Das wird am Beispiel Barrierefreiheit deutlich. "Es geht bei der Frage der Inklusivität von Robotik nicht nur darum, die Technik besser zugänglich machen. Es sollen auch ganz neue Potenziale erkannt und ausgeschöpft werden", fasst Tim Niewalda die Strategie kurz zusammen. Auch für Kraus ist der Erkenntnisgewinn für menschenzentrierte Technikgestaltung ein zentrales Ziel des ZEN-MRI-Projekts, das noch bis Februar 2026 läuft.
Psychologie mit Schlüsselkompetenzen für das Zukunftsthema
Für die künftige Entwicklung von Robotik und auch für KI-Anwendungen mit Mensch-Maschine-Schnittstellen habe gerade die Psychologie klare Schlüsselkompetenzen, hebt Johannes Kraus die Bedeutung des Fachs hervor. "Psychologinnen und Psychologen werden eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung von Robotern und anderen KI-basierten Technologien spielen – insbesondere durch die Analyse, wie Menschen auf diese reagieren und welche Interaktionsstrategien etwa seitens der Roboter letztlich am effektivsten sind."
Das Forschungsfeld der Mensch-Maschine-Interaktion ist nicht nur wegen der rasanten technischen Entwicklung vielfältig und faszinierend. Neben Ansätzen wie Vertrauensforschung und der Auseinandersetzung mit der Tendenz zur Anthromorphisierung in der Robotik, also der "Vermenschlichung" autonom agierender Systeme, spielt auch die Ethik eine wichtige Rolle: Wie viel Autonomie soll den Maschinen zugestanden werden? Welche Aufgaben sollen sie künftig übernehmen, wenn angesichts von Arbeitskräftemangel immer mehr berufliche Rollen nicht von Menschen ausgefüllt werden können? Auch solche Fragen werden im Rahmen von ZEN-MRI intensiv diskutiert, um gesellschaftlich akzeptierte Lösungen zu finden. Dabei geht es nicht allein um die wissenschaftliche Metaebene, sondern auch um konkrete Ableitungen für die technische Entwicklung. "Deshalb ist die Kooperation mit der Industrie sehr wichtig", so Kraus.
Sein Resümee: Eventuelle Vorbehalte seitens Technik und Ingenieurwesen gegenüber psychologischer Forschung und deren Einbeziehung in die Technologieentwicklung haben sich durch vermehrte interdisziplinäre Zusammenarbeit der Felder abgebaut. Letztlich kommt es auf einen offenen Dialog an. Auch an der JGU bestehen bereits fächerübergreifende Lehr- und Forschungsprojekte, weitere sind in Anbahnung. Vielleicht kann Navel hier als gutes Beispiel dienen. "Das ist spannend. Erzähle mir mehr", sagt der kleine Roboter und schaut sein Gegenüber mit großen Augen erwartungsvoll an.
Text: Peter Thomas