Mit Bildung den Menschen verbessern

15. April 2016

Die traditionsreiche Mainzer Universität mit ihren Wurzeln im Jahr 1477 wurde kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, im Mai 1946, unter neuem Namen wiedergegründet. Auf Initiative der französischen Militärverwaltung entstand die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Mit Blick auf frühere Epochen lassen sich Zusammenhänge zwischen der alten und der neuen Universität erkennen. Historiker Prof. Dr. Michael Matheus beleuchtet Brüche und Kontinuitäten in der Mainzer Universitätsgeschichte.

"Mit dem Mittelalter verbinden wir meist Untergangsszenarien, es gilt als eine dunkle und finstere Zeit", erzählt Prof. Dr. Michael Matheus vom Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Dogmen versperrten den Weg zum Verstand, Bildung beschränkte sich auf die Bibel – so lauten zumindest die gängigen Klischees. "Tatsächlich aber gab es vor allem seit dem 12. und 13. Jahrhundert einen ausgeprägten Bildungsoptimismus, der von der Kirche ausging. Wissenschaft erschließe dem Menschen die Geheimnisse der Welt, hieß es. Sie fördere die Ungebildeten und erhebe niedrig Geborene zu Hochgestellten."

Universitäten als Zentren der Bildungsvermittlung entstanden oft auf Initiative der Päpste. Die ersten Hohen Schulen wurden um 1200 in Frankreich, Italien und England gegründet. Das Gebiet nördlich der Alpen hinkte etwas hinterher: Die Prager Universität öffnete 1348 ihre Tore. Im 14. und 15. Jahrhundert folgten weitere Gründungen.

Päpstliche Bildungsoffensive

Im Jahr 1477 entstand nach mehreren Anläufen die Universität Mainz. "Sie gehört damit zu den zwölf ältesten, bereits im Mittelalter gegründeten Universitäten Deutschlands", sagt Matheus. "Sie war Teil eines umfassenden Bildungsaufbruchs." Damals war es unabdingbar, dass eine päpstliche Bulle die Stiftung bestätigte, denn die Päpste förderten die Gründung von Universitäten und sicherten deren Existenz durch Privilegien. "Die Studierendenzahlen stiegen damals deutlich an, während die Bevölkerungszahl insgesamt zurückging." Das hört sich beinahe schon nach einer Bilanz aus der nahen Gegenwart an.

"Als vergleichender Landeshistoriker finde ich es faszinierend, Universitäten epochenübergreifend und im europäischen Vergleich zu betrachten", setzt Matheus nach. Seine zahlreichen Ämter legen einen solchen Blickwinkel nahe. Er ist nicht nur Leiter des Arbeitsbereichs Mittlere und Neuere Geschichte und Vergleichende Landeskunde an der JGU, sondern auch Vorsitzender des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. (IGL). Ferner ist er Vorsitzender des Deutschen Studienzentrums in Venedig. Mit einem Bein steht Matheus quasi noch in Rom, wo er bis 2012 als Direktor des Deutschen Historischen Instituts wirkte.

In seinem Büro auf dem Gutenberg-Campus findet sich ein eigenes Regal mit Schriften zur Universitätsgeschichte. Der große Band "Die Universität Mainz 1477-1977", erschienen zum 500. Geburtstag der Universität, fällt sofort ins Auge. "Es gibt keinen anderen umfassenden Überblick bisher", meint Matheus mit sichtlichem Bedauern. Er ist unter anderem auch Mitglied im Forschungsverbund für Universitätsgeschichte der JGU, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, hier Lücken zu schließen.

Französische Universitätsinitiative

Vom Bildungsaufbruch im Mittelalter schlägt der Professor den weiten Bogen ins 20. Jahrhundert und zur Wiedereröffnung der Mainzer Universität. Die französische Besatzungsmacht hatte die Gründung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 1946 initiiert. In den Statuten findet sich jener mittelalterliche Optimismus wieder, der von der Verbesserung des Menschen durch Wissen ausgeht. "Die neue Hochschule setzt sich als wichtigstes Ziel, Menschen zu bilden", heißt es dort sehr kurz und prägnant. "Die Berufsausbildung soll an dieser Universität mit der Pflege der allgemeinen Bildung einhergehen."

"Es gibt sicher viele Unterschiede zwischen der alten und der neuen Universität und es gibt einen deutlichen Neuanfang nach 1946", räumt Matheus ein, "aber es gibt eben auch Kontinuitäten."

Er macht auf ein Detail aufmerksam: Im Mittelalter war der Austausch zwischen den Universitäten ungeheuer rege. Akademische Grade, in einer Hohen Schule erworben, wurden automatisch an allen anderen Universitäten anerkannt. Lächelnd schaut der Historiker in die Gegenwart: "So weit sind wir mit unserer Vernetzung noch nicht wieder gekommen, aber wir sind auf dem Weg dahin."

Natürlich war die Mainzer Universität des Mittelalters kleiner. "Es gab nie mehr als 1.000 Studierende an der alten Universität." Dagegen gab es bereits bei der Wiedereröffnung 1946 rund 2.000 Studierende. Die Zahl stieg bis 1960 auf 6.000. "Vor allem durften nach dem Krieg erstmals Frauen in Mainz studieren. Die alte Universität war eine rein männliche Angelegenheit gewesen."

Weinberge der Universität

Doch zurück zu den Kontinuitäten. "Als ich 1994 nach Mainz kam, ließ ich mich überreden, mit nach Nierstein in eine Weinstube zu kommen. Am Nebentisch redete jemand von den Weinbergen der Universität." Der Hintergrund erschloss sich dem Historiker bald. Im 18. Jahrhundert sah sich die Universität einmal mehr in Geldnot. Kurfürst Friedrich Karl Joseph von Erthal schuf Abhilfe, indem er 1781 einen Universitätsfonds gründete. Er säkularisierte drei reiche Mainzer Klöster und schlug deren Besitzungen, darunter zahlreiche Weinberge, der Stiftung Mainzer Universitätsfonds zu.

"Der Universitätsfonds existiert noch immer, auch wenn er rechtsrheinisch erhebliche Besitzungen verloren hat." Die JGU profitiert bis heute von den Erträgen. Damals brachte der Fonds die Universität zu neuer Blüte. Prominente Gelehrte wie der Anatom Samuel Thomas Sömmering oder der Publizist Johannes von Müller lehrten in Mainz und Naturforscher Georg Forster, der an der zweiten Weltumsegelung des britischen Seefahrers und Entdeckers James Cooks teilgenommen hatte, kam als Bibliothekar an die Universität.

Zwei weitere Einrichtungen, die für die Kontinuität zwischen alter und neuer Universität stehen, erwähnt Matheus noch: "Von der Hebammenanstalt, die im 18. Jahrhundert gegründet wurde, führt ein Traditionsstrang zur Universitätsmedizin." Zudem hat das Studium der katholischen Theologie eine lange Geschichte in Mainz: Von der Eröffnung 1477 an gab es eine theologische Fakultät, die nach wechselvollen Jahrhunderten im Jahr 1802 als Theologische Fakultät des Priesterseminars ihre Blüte erlebte. Mit Unterbrechung wurde sie schließlich zur heutigen Katholisch-Theologischen Fakultät der JGU.

"Sicher war die Neugründung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 1946 ein klarer Schnitt, ein Bruch mit der Vergangenheit. Mainz stand damals im Ruf, rückwärtsgewandt zu sein", gibt Matheus zu Bedenken. Die neue Universität hingegen ist eine moderne, weltoffene Forschungsuniversität am Puls der Zeit.

Herausforderungen der Zukunft

Dann schaut der Historiker in Richtung Zukunft. Was kommt zu auf die Johannes Gutenberg-Universität Mainz? "Was Forschung und Lehre angeht, kann sie sich im nationalen und internationalen Vergleich sehen lassen. Auch wenn ihre finanzielle Ausstattung im selben Vergleich bescheidener ausfällt, bleibt sie in vielen Bereichen exzellent. Das haben wir nicht nur gehalten, das bauen wir noch weiter aus."

Eine Herausforderung sei die Öffnung in Richtung neue Medien. "Da haben wird mit 'mainzed', unserem Mainzer Zentrum für Digitalität in den Geistes- und Kulturwissenschaften, im vorigen Jahr einen wichtigen Schritt getan. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, dass wir mit den benachbarten Universitäten im Rhein-Main-Gebiet, in Frankfurt und Darmstadt, bereits bestehende Kooperationen und Synergien weiterentwickeln und neue aufsetzen." Aber auch hier ist im letzten Jahr mit der Gründung der strategischen Allianz der Rhein-Main-Universitäten, kurz RMU, bereits eine länderübergreifende Rahmenvereinbarung auf den Weg gebracht worden.

Eine besondere Aufgabe und ein Chance sieht Matheus in den Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen. "Wir müssen schauen, wie wir unseren Reichtum an Kultur und Bildung vermitteln, wie wir einen möglichst großen Teil dieser Menschen in die Universitäten ziehen und sie dort fördern und ausbilden. Das ist eine anspruchsvolle Angelegenheit, die aber große Aussichten für die Zukunft eröffnet", ist sich der Historiker sicher.

Und so führt diese Aussage auch wieder von der Zukunft zurück ins Mittelalter, als es galt, Menschen durch Bildung voranzubringen – und zurück ins Jahr 1946, zu den Statuten der wiedergegründeten Johannes Gutenberg-Universität Mainz, in denen steht: "Die neue Hochschule setzt sich als wichtigstes Ziel, Menschen zu bilden."