4. Februar 2013
Mammut und Muschel, Libelle und Koralle: Die Paläontologische Sammlung des Instituts für Geowissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zeichnet sich durch ihre ungeheure Bandbreite aus. Was ihr fehlt, ist ein Kurator. Denn rund eine Millionen Exponate lassen sich nicht mal eben so nebenbei verwalten.
Eine Schlucht aus Metallschränken tut sich auf im Keller des Instituts für Geowissenschaften. Hier lagert die Paläontologische Sammlung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Es ist kalt. Durch ein gekipptes Fenster dringt der Winter ein. "Wer hat das denn offen gelassen?", wundert sich Prof. Dr. Bernd Schöne. Er schüttelt den Kopf und streckt sich, um das hoch gelegene Fenster zu schließen. Nun kann sich der Direktor des Instituts endlich seinem Termin widmen: Gemeinsam mit PD Dr. habil. Kirsten Grimm will er zumindest einige der Schätze zeigen, die dieser Keller birgt.
Grimm schließt einen der hohen grauen Schränke auf. Ein Pappschildchen verweist auf den Inhalt: "Mammalia XVIII, Quartär, Pleistozän, Mainzer Becken". In Schubladen liegen die Überreste längst ausgestorbener Tiere.
Wolf und Wasserbüffel am Rhein
"Hier haben wir einen schönen Mammutzahn", erklärt die Paläontologin Kirsten Grimm und holt ein geriffeltes, graubraunes Etwas heraus. Es hat ungefähr die Größe eines Backsteins, wiegt aber schwerer. Von diesen Zähnen gibt es einige in der Sammlung. "Wir können hier gut sehen, wie abgenutzt ein Zahn ist, und wir können untersuchen, wie die Lamellen im Vergleich zu denen des Zahns eines heutigen Elefanten aussehen."
Im Verlauf der letzten Jahrtausende lebten nicht nur Mammuts im Mainzer Becken. In den Interglazialen, den Warmzeiten zwischen den Eiszeiten, tummelten sich auch Wasserbüffel und Flusspferde in dem Gebiet. "Vor 125.000 Jahren war es im Jahresdurchschnitt zwei Grad wärmer", berichtet Schöne. Pferde gab es damals ebenfalls. Grimm zeigt einen entsprechenden Schädel. Daneben liegen entschieden zierlichere Knochen: zwei Schädel von Wölfen mit gut erhaltenem Gebiss.
"All diese Objekte wurden als Forschungs- und Lehrsammlung angelegt", sagt Schöne. Als die Sammlung in den 1950er Jahren angelegt wurde, waren die Ziele ehrgeizig. "Man wollte alle taxonomischen Gruppen beisammen haben." Entsprechend breit ist das Repertoire. "Es geht quer durch alle Fossilgruppen." Wobei ein Schwerpunkt auf regionalen Exponaten liegt, auf Funden aus dem Mainzer Becken etwa.
500 Millionen Jahre Erdgeschichte
"Das Problem ist, dass wir keinen Kurator dafür haben", bedauert der Direktor des Instituts für Geowissenschaften. Vorübergehend kümmert sich Kirsten Grimm um die Sammlung. Sie arbeitet zugleich für das Naturhistorische Museum in Mainz. Die Vernetzung der beiden Institutionen ist sicher ein günstiger Nebeneffekt, ersetzt aber nicht die fehlende Stelle.
Zeugen von rund 500 Millionen Jahren Erdgeschichte lagern in den Schubladen. Wie viele es sind, können weder Grimm noch Schöne ganz genau sagen. "Mit unseren Mikrofossilien sind es bestimmt mehr als eine Million", schätzt Grimm. Zu den Mikrofossilien zählen beispielsweise Reste von Kalkschalen bildenden Einzellern. Etwas spektakulärer scheint da der Stoßzahnabschnitt, den Grimm gerade herausholt.
"Mit solchen Exponaten können wir sehr gut unsere Lehrveranstaltungen aufpeppen", wirft Schöne ein. "Es ist etwas ganz anderes, ob Sie ein Bild von so einem Fossil sehen oder ob Sie es selbst in Händen halten", ergänzt Grimm. "Wir lassen die Studierenden regelmäßig solche Stücke abzeichnen." Diese Erfahrung sei durch kein modernes Medium zu ersetzen.
Muscheln als Klimatagebuch
Die Paläontologische Sammlung der JGU wurde immer auch geprägt durch die jeweiligen Forschungsgebiete der entsprechenden Lehrstuhlinhaber. So interessierte sich der Wirbeltierpaläontologe Heinz Tobien in den 1950er Jahren für Mammut, Wasserbüffel und Co. Schöne dagegen widmet sich Tieren, die entschieden kleiner sind. Er öffnet einen weiteren Schrank.
Muscheln. Hunderte, wenn nicht Tausende von Muscheln lagern dort. Sie führen rund 30 Millionen Jahre in die Vergangenheit, ins Oligozän. Damals bedeckte ein Meer Rheinhessen. "Wir haben hier hervorragend erhaltene Exemplare der Gattung Glycymeris." Selten waren diese Muscheln damals nicht, auch heute gibt es noch reichlich Vertreter dieser Art in den Meeren.
Ein Teil dieser Mollusken wurde in Bodenheim gefunden, sie sind rund 29 Millionen Jahre alt. Andere stammen aus Weinheim und haben noch zwei Millionen Jahre mehr auf dem gefurchten Buckel. "Sie sehen hier noch die originale Schalensubstanz und wir haben sogar doppelklappig erhaltene Exemplare", erklärt Schöne. Das ist nicht selbstverständlich, denn wenn so ein Molluske das Zeitliche segnet, hält nichts mehr die beiden Schalenhälften zusammen. Dass sie dennoch doppelklappig blieben, spricht für eine schnelle Bedeckung mit Sediment. Die Muscheln lagen also nicht allzu lange ungeschützt am Meeresgrund.
Jahresringe zeugen vom Azorenhoch
Schöne nutzt die Mollusken, um Auskunft über das Klima vor 30 Millionen Jahren zu bekommen. Mehr als 100 Jahre werden sie alt, das öffnet pro Exemplar ein relativ weites Zeitfenster. Die Schalen weisen Jahresringe auf, die der Paläontologe genau untersucht. "Wir können die Temperaturen von damals auf ein Grad Celsius genau bestimmen."
Viel interessanter aber sind für den Forscher Schwankungen von Temperatur und atmosphärischer oder ozeanischer Zirkulation der damaligen Zeit. "Wir können nachweisen, dass sich damals schon die Nordatlantische Oszillation herausbildete." Dieses Wechselspiel zwischen Azorenhoch und Islandtief hat einen starken Einfluss das heutige Wetter.
Schöne schließt den Schrank. Dies war nur ein kleiner Ausschnitt der Paläontologischen Sammlung. Insekten gäbe es noch zu sehen, Korallen und Fische – oder den Dachschädellurch, das erste Amphibium.
Doch dies soll erst mal genügen. Durch das geschlossene Fenster dringt schwach das Licht der Wintersonne. Es ist kalt im Keller. Höchste Zeit, wieder ins warme Büro zurückzukehren.