26. Januar 2012
Die Universitätsbibliothek der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) lud zur ersten "Nacht der Hausarbeiten" ein. Der Andrang war unerwartet groß, die Studierenden nahmen die vielfältigen Angebote gern an – und Direktor Dr. Andreas Brandtner zeigte sich hoch zufrieden.
Die Gummibärchen reichen nicht, die Blätter mit dem Quiz müssen nachgedruckt werden und der Raum ist auch zu klein. Viele Studierende ergattern allenfalls noch einen Stehplatz. Die erste "Nacht der Hausarbeiten" in der Universitätsbibliothek stößt auf ein unerwartet starkes Echo.
"Wenn die Veranstaltung ein Erfolg wird, werden wir das wiederholen", verspricht Dr. Andreas Brandtner bei der Eröffnung um 18 Uhr. Aber im Grunde weiß der Bibliotheksdirektor schon bei diesem Auftakt: Der Erfolg ist da - die erste "Nacht der Hausarbeiten" zählt insgesamt rund 900 Besucher.
Gummibärchen gehen aus
Seine Mitarbeiter verteilen kleine Tüten mit Gummibärchen, solange der Vorrat reicht. Der passende Quiz zur Nacht findet reißenden Absatz. "Wir brauchen Nachschub", heißt es bald. Und es strömen immer noch Studenten heran. Bis 23 Uhr wird es so bleiben in der Zentralbibliothek. Das Motto "Nacht der Hausarbeiten - Aufgeschoben, überfällig oder noch nicht begonnen?" zieht.
"Ich hab' keine Probleme mit meinen Hausarbeiten", meint Islak Kaya. Er studiert im dritten Semester Buchwissenschaften. "Aber die könnten ja noch kommen. Das hier ist so 'ne Art Präventivbesuch." Seine Kommilitonin Dana Kintra hat schon konkretere Erwartungen. "Im Studium gab es zwar wissenschaftliches Arbeiten, aber das war Pillepalle. Mal sehen, was die hier so bieten."
Bibliothek als Servicebetrieb
Geboten wird einiges. Die Abteilung Studium und Lehre, das Zentrum für Datenverarbeitung, die Psychotherapeutische Beratungsstelle und der Allgemeine Hochschulsport haben zusammen mit der Universitätsbibliothek ihre Angebote gebündelt. "Sie bewegen sich vollkommen frei und votieren für das Format, das Ihnen weiterhilft", erklärt Brandtner. "Wir als Servicebetrieb sind für Sie da und das wollen wir heute besonders unter Beweis stellen."
Als Schirmherrin der Nacht gewann der Direktor Prof. Mechthild Dreyer, Vizepräsidentin für Studium und Lehre an der Johannes Gutenberg-Universität. "Ich war auch mal Studentin", erinnert sie sich, "aber egal, in welcher Position, Hausarbeiten sind immer eine Quelle der Freude und des Leidens. Das gilt, wenn Sie eine schreiben müssen, aber auch, wenn Sie eine lesen."
Angebote von Guttenberg bis Yoga
"Was ist wissenschaftliches Arbeiten?", fragt der Buchwissenschaftler Dr. Christoph Reske bei Einbruch der Dämmerung. Er widmet sich in seinem Vortrag Grundlegendem. Das Humboldtsche Ideal von der Einheit von Forschung und Lehre ist ebenso sein Thema wie die unter Politikern grassierenden Plagiatsaffären. Im Fall Karl-Theodor zu Guttenberg ist sein Urteil eindeutig: "Ich finde nicht nur das Verhalten des Promovenden verwerflich, ich finde auch die Prüfenden zweifelhaft. Aber über die tauchte in den Medien wenig auf."
Während Reske referiert, bietet Christiane Kinzelbach im Nebenraum Yoga zur Entspannung an. "Ganz, ganz langsam ausatmen ... die Beine absetzen ... ganz bewusst ...." Schon ihre Stimme strahlt Ruhe aus.
Geschäftiger geht es im Rest der Bibliothek zu. In einer Zimmerflucht warten Fachreferenten und -referentinnen auf Studenten mit speziellen Fragen zu Hausarbeiten. Karen Stuckert etwa gibt Tipps zur Recherche in der Philologie. "Das Problem bei der Recherche ist, dass die Leute denken, sie können es schon. Im Internet findet man heute immer irgendwas, aber eben oft nicht das Relevante." Rund eine halbe Stunde sitzt sie mit jedem Rat Suchenden da und konnte bisher immer helfen.
Wo beginnen bei der Hausarbeit?
Aus einem Nebenzimmer kommt gerade Anna Mauritz. Sie studiert im ersten Semester Geschichte. "Ich soll eine Hausarbeit über Russlands Expansion nach Asien im 19. Jahrhundert schreiben, aber es dürfen nur acht Seiten sein." Erst wusste sie nicht so recht, wo überhaupt beginnen bei dem großen Thema und dem knappen Platz. "Jetzt habe ich aber ein paar Ideen bekommen, ich bin motiviert."
Mit etwas komplizierter gelegenen Fällen haben es Dr. Bettina Kaufmann-Grebe und ihre beiden Kolleginnen von der Psychotherapeutischen Beratungsstelle zu tun. "Was wir am häufigsten hören: Ich schiebe meine Hausarbeit hinaus bis in die letzte Nacht." Im Berufsalltag nimmt sich Kaufmann-Grebe viel Zeit für die Studierenden. In der "Nacht der Hausarbeiten" allerdings geht es eher um erste Tipps zur Hilfe.
Schreiben kann gelernt werden
Studierende wuseln von Angebot zu Angebot durch die Bibliothek. Im Sitzungszimmer geht es gerade um "Literatursuche in den Geisteswissenschaften". Ein Schild hängt an der Tür: "Veranstaltung überfüllt!" Wie wäre es stattdessen mit "Hausarbeiten formatieren mit Word"? Vor dem Gruppenarbeitsraum bildet sich eine lange Schlange. Der Vortrag "Schreiben kann gelernt werden" lockt. Die Stühle werden wieder nicht reichen.
Etwas abseits steht Brandtner und freut sich über den Andrang. "Der Besucher ist für uns nicht mehr wie früher der Bittsteller, sondern ein Kunde, der einen gerechtfertigten Anspruch hat", fasst er noch einmal knapp das Credo der Bibliothek zusammen. Mit der "Nacht der Hausarbeiten" haben er und seine Mitstreiter das gründlich bewiesen.