Neuer Studiengang Translation für indigene Sprachen

7. Januar 2019

In Kooperation mit der Universidad Autónoma Benito Juárez de Oaxaca plant die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) einen speziellen Studiengang für das Übersetzen und Dolmetschen indigener Sprachen in Mexiko. Prof. Dr. Martina Schrader-Kniffki vom Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) in Germersheim leitet das Projekt, das gerade in eine entscheidende Phase tritt.

"Ich habe recherchiert, aber weltweit keinen vergleichbaren Studiengang gefunden", sagt Prof. Dr. Martina Schrader-Kniffki. "So etwas gibt es offensichtlich noch nirgendwo." In ihrem Büro steht eine Tafel voller Notizen auf Spanisch: Es ist noch nicht lange her, dass eine Delegation aus dem mexikanischen Bundesstaat Oaxaca an den Fachbereich 06 der JGU in Germersheim kam, um eine weitere Stufe des Kooperationsprojekts zu diskutieren.

"Wir mussten einen komplexen Prozess durchlaufen und viele bürokratische Hürden nehmen", erzählt Schrader-Kniffki. "Aber nun hoffen wir, dass wir noch dieses Jahr eine Akkreditierung der Universität in Mexiko und im kommenden Jahr die staatliche Akkreditierung erhalten." Dann könnte der erste Masterstudiengang für Übersetzen und Dolmetschen indigener Sprachen an der Universidad Autónoma Benito Juárez de Oaxaca starten.

Sprachenvielfalt in Mexiko

Mexiko gehört zu den Ländern mit den meisten indigenen Sprachen. "Es gibt insgesamt über 300, und im Bundesstaat Oaxaca werden 15 bis 17 davon gesprochen", meint die Professorin für Spanische und Portugiesische Sprachwissenschaft und Translationswissenschaft am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) der JGU. Die Schwierigkeit liegt darin, dass nicht immer eindeutig zu klären ist, was noch als Varietät oder Dialekt und was schon als eigenständige Sprache gelten kann. Doch selbst wenn sich einige der Idiome ähneln: Die Bandbreite ist ungeheuer groß. "Die Sprachen gehören nicht mal alle derselben Familie an. Es finden sich zum Beispiel Tonalsprachen darunter, in denen durch Tonhöhenverläufe ganz unterschiedliche Bedeutungen ausgedrückt werden." Einige Sprachen sind zudem kaum oder gar nicht verschriftlicht, ihnen fehlen oft Fachtermini, die in der heutigen Gesellschaft wichtig sind.

Seit 2003 erkennt der mexikanische Staat neben dem Spanischen 62 dieser Sprachen als Nationalsprachen an. Sie werden nicht nur im Alltag benutzt: Die indigene Bevölkerung hat das Recht, etwa bei Behördengängen, vor Gericht oder im Krankenhaus in diesen Sprachen gehört zu werden. "In der Praxis ist das aber ein Problem, denn generell wird dort Spanisch gesprochen, und es fehlt an ausgebildeten Übersetzern oder Dolmetschern", erklärt Schrader-Kniffki.

Es gibt zwar das CEPIADET, das Centro Profesional Indígena de Asesoría, Defensa y Traducción, eine NGO, die die errungenen Rechte einfordert und Dolmetschkurse initiiert, doch vieles findet immer noch auf informeller Ebene statt – wenn überhaupt: Zweisprachige Familienmitglieder oder Bekannte vermitteln, also Personen ohne spezielle Ausbildung oder Abschluss, von denen nicht klar ist, wie weit ihre Kenntnisse reichen. "Der Staat hat sich zwar zur Einhaltung der Sprachrechte bekannt, doch die Umsetzung bereitet vielerorts Schwierigkeiten. Tatsächlich sitzen in Mexiko immer noch Menschen im Gefängnis, weil sich niemand fand, der für sie dolmetscht. Sie konnten sich einfach nicht verteidigen."

Förderung durch den DAAD

Der neue Masterstudiengang ist ein wichtiger Schritt, um hier Abhilfe zu schaffen, um Übersetzer- und Dolmetschdienste auf eine professionelle Basis zu stellen. Mit ihm gäbe es das erste Mal eine akademische Ausbildung auf diesem Gebiet.

Um ein solches Projekt in Angriff zu nehmen, war ein Partner vor Ort unerlässlich. Die Interkulturelle Universität in Chiapas bot sich an. Schrader-Kniffki stellte für die JGU-Seite einen Antrag auf Förderung beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der prompt bewilligt wurde. In der Folge allerdings erschwerten häufige Personalwechsel an der Universidad Intercultural de Chiapas eine kontinuierliche Zusammenarbeit.

"Also holte ich eine weitere Universität hinzu, zu der ich bereits seit Jahren sehr guten Kontakt habe." So kam die Universidad Autónoma Benito Juárez de Oaxaca ins Spiel. Dort soll der Studiengang angesiedelt werden. "Der Bundesstaat Oaxaca ist stark von seiner indigenen Bevölkerung geprägt, ihr Anteil ist dort besonders hoch. Das wird sogar touristisch vermarktet." Entsprechend hoch ist auch der Bedarf an Dolmetsch- und Übersetzerdiensten. "Unsere Kollegen und Kolleginnen an der dortigen Universität sind sehr interessiert an dem Studiengang."

Know-how aus Germersheim

Der Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft an der JGU wiederum hält als Partner viel Know-how zu verschiedensten Herausforderungen parat, die das Projekt mit sich bringt. "Community Interpreting wird zum Beispiel eine wichtige Rolle spielen", sagt Schrader-Kniffki. "Es geht nicht nur darum, die Menschen zu begleiten und zu übersetzen, es müssen auch kulturelle Unterschiede einbezogen werden. Damit haben wir in Germersheim Erfahrung."

Der mexikanische Masterstudiengang wird sich an die indigene Bevölkerung richten, aus ihren Reihen sollen Studierende gewonnen werden, die mindestens eine indigene Sprache beherrschen. "Wir werden es also mit einer sehr heterogenen Gruppe zu tun haben. Neben dem Spanischen wird womöglich jeder eine andere Sprache mitbringen. Eine ganz ähnliche Situation finden wir am FTSK im Arbeitsbereich Interkulturelle Germanistik. Auch da sitzen Studierende, die aus ganz vielen unterschiedlichen Sprachen kommen. Dafür wurden didaktische Strategien entwickelt, die wir sicher auch auf den neuen Studiengang anwenden können."

Die Inhalte des Masterstudiengangs sind ausgearbeitet. "Es wird Angebote zur Linguistik des Spanischen und zur Linguistik der indigenen Sprachen geben. Übungen zum Dolmetschen und zur Notizentechnik, zu rechtlichen Fragen, zum Bereich Medizin und Krankheit oder zur Ethik des Dolmetschens sind vorgesehen", zählt Schrader-Kniffki auf.

Kooperation als interkulturelle Erfahrung

"Wir wollen aber auch ein wenig forschen: Wir bekommen Aufzeichnungen von Gerichtsverhandlungen und von Arztgesprächen im Krankenhaus. Darüber haben wir Vereinbarungen geschlossen." Besonders in den Gerichten werde meist mit mehreren Kameras gefilmt, auch, um ordnungsgemäße Verfahren zu garantieren. "Dieses Material werden wir sorgfältig anonymisieren, bevor wir es transkribieren. Wir werden es außerdem mit Skizzen versehen, denn oft ist interessant, wo eine Dolmetscherin oder ein Dolmetscher im Saal platziert wird." Später kommt es dem Studiengang zu Gute. "Wir können damit praxisorientierte Unterrichtshilfen erstellen."

Im kommenden Sommersemester werden drei Kolleginnen aus Oaxaca nach Germersheim kommen. "Sie werden später in dem neuen Studiengang unterrichten und können hier verschiedenste Kompetenzen ausbauen – vom Dolmetschen bis zur Didaktik."

Die enge Zusammenarbeit mit der Universität in Oaxaca sehen Schrader-Kniffki und ihr Team vom FTSK als Bereicherung und Herausforderung zugleich: "Es ist eine schöne interkulturelle Erfahrung. Wir haben zwar manchmal völlig unterschiedliche Arbeitsweisen, und das erfordert viel Geduld, aber es lohnt sich. Beide Universitäten betreten mit dem Aufbau dieses Studiengangs völliges Neuland. Wir mussten über vieles diskutieren. Am Ende haben wir versucht, ideologische Aspekte möglichst herauszunehmen. Wir sind in der Situation, dass dringend Dolmetscherinnen und Dolmetscher gebraucht werden. Wir müssen die beste Möglichkeit finden, sie auszubilden. Darum geht es."