27. Oktober 2014
Vor zwei Jahren ging www.thesius.de, eine Internetplattform für Doktorandinnen und Doktoranden, online. Seitdem ist aus dem Hobby dreier Studierender der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ein erfolgreiches Start-up-Unternehmen geworden. Geschäftsführer Michael Grupp, der selbst an seiner Dissertation sitzt, erzählt, was das in Deutschland einzigartige Portal zu bieten hat.
Alles begann als Hobby. "Wir haben uns keine Gedanken darüber gemacht, ob wir mal Geld damit verdienen würden", erzählt Michael Grupp. "Wirklich nicht. Wir hatten einfach diesen weltverbessernden Ansatz." Es fehlte etwas in Deutschland, das wollten die Studierenden beheben. Sie schufen eine Onlineplattform für Doktoranden – und legten so im Herbst 2012 den Grundstein für das aufstrebende Start-up-Unternehmen Thesius, das in diesem Jahr von den Wirtschaftsjunioren Mainz (Rheinhessen) als "Beste Gründung" mit dem Mainzer Wirtschaftspreis 2014 prämiert wurde.
Grupp sitzt in einem schmal geschnittenen Büro in den Bonifaziustürmen, die wie Riesen aus Beton, Stahl und Glas direkt neben dem Mainzer Hauptbahnhof in den Himmel ragen. "Das hier war unser erster Raum. Am 20. August 2013 haben wir die Tür aufgeschlossen. Mittlerweile sind wir auf drei Büros angewachsen."
Deutsche Dissertationsliste GmbH
Im Moment ist es auffällig still bei Thesius. "Sie haben Glück und Pech zugleich. Normalerweise haben wir Betrieb wie in einem Bienenstock. Aber die meisten Mitarbeiter sind auf einer Schulung. Sie können also nicht erleben, wie wir arbeiten. Aber dafür können wir uns in Ruhe unterhalten."
Der Geschäftsführer von Thesius, der Deutschen Dissertationsliste GmbH, schreibt selbst noch an seiner Dissertation. Grupp studierte Jura in Münster, Paris und an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. "Sie müssen schon selbst Doktorand sein, um zu merken, dass Sie keine Infos zu Ihrer Dissertation bekommen, dass sie keinen Kontakt bekommen zu Doktoranden, die über ähnliche Themen schreiben, dass Sie kaum Möglichkeiten zum Austausch oder zur Orientierung haben."
In Frankreich ist mit www.theses.fr längst eine zentrale Plattform installiert. "In Deutschland gibt es zwar Institutionen, die Dissertationslisten erstellen. Aber es gibt keine Plattform in dem Sektor, die so umfangreich und detailreich ist wie unsere." Im Moment listet Thesius knapp zwei Millionen Arbeiten auf, das sind laut Grupp 80 Prozent aller seit 1960 abgegebenen Dissertationen. "Zwar sind nicht alle im Volltext zugänglich, aber zumindest Inhaltsverzeichnisse oder Zusammenfassungen können eingesehen werden."
Von der Suche nach Themen
Doch das ist noch lange nicht alles, was Thesius zu bieten hat. Wer – wie Grupp – an seiner Dissertation schreibt, kann sich registrieren lassen. Grupps Eintrag zeigt sein Porträtfoto, sein beruflicher Werdegang und Veröffentlichungen sind aufgeführt. Seine Dissertation verbindet Jura mit Informatik. Es geht um "Machbarkeit praxisbezogener Formalisierung für die Rechtswissenschaft". 2015 will Grupp fertig sein.
Wer will, kann sich in einer Grafik zeigen lassen, welche Themengebiete Grupps Arbeit berührt. "Wir stellen nicht einfach Datensätze ins Netz, wir verschlagworten sie." So ist auch die Suche nach vorhandenen oder entstehenden themenverwandten Dissertationen kein Problem. "Stellen Sie sich vor, Sie planen eine Arbeit zum Familienrecht, zu Scheidungen und speziell zum Unterhaltsrecht." Grupp tippt das in seinen PC ein und erhält eine Liste. "Sie können ganz schnell sehen, was es schon gibt, wo inhaltliche Schnittmengen sind."
In der Folge können sich Doktoranden, die an ähnlichen Themen arbeiten, über das Portal austauschen, sich gegenseitig ermutigen oder gar den Weg zu einer wichtigen Quelle weisen. "Im Moment haben wir etwa 900 Nutzer. Wir steuern auf die 1.000 zu. Wir wachsen ungefähr doppelt so schnell, wie wir gedacht haben. Allerdings haben wir ein Problem: Die verschiedenen Forschungsbereiche sind sehr heterogen, es entwickelt sich nicht alles gleich gut."
Juristen und Maschinenbauer
Im Bereich Jura floriert es. 350 Juristen sind bei Thesius registriert. "Wir haben ungefähr 50 juristische Fakultäten in Deutschland, also sind bei uns im Schnitt sieben Studierende aus jeder Fakultät dabei. Da bekommen Sie schon einen guten Überblick, was im Fach Jura läuft, was gefragt ist."
Ganz neu dabei sind die Maschinenbauer. "Das ist ein ungeheuer aktiver Bereich. Wir haben jetzt schon beinahe 300 Nutzer." Dafür sei so ein kunterbuntes Feld wie die Geisteswissenschaften noch unterrepräsentiert. Mathematik, Physik und Chemie sind recht gut dabei. "Die Naturwissenschaften sind einfach besser vernetzt."
Ganz neu im Portal ist auch die Liste "Finde dein Thema". "Die haben wir erst kürzlich online gestellt. Hier haben Hochschulen, Unternehmen und andere Institutionen Gelegenheit, gegen eine Gebühr Themen für Arbeiten vorzuschlagen." Oft sind das sehr konkrete Angebote. Wie wäre es etwa mit einer Arbeit zur "Phytoplankton-Ökologie" für das Kieler Helmholtz-Zentrum Geomar, zu "Elektroluminiszenzspetroskopie an organischen Solarzellen" oder zur "Analyse von Radardaten in Flughafennähe während Gewitteraktivität"?
Thesius wächst weiter
Fast 5.000 Vorschläge sind bereits online. "Unser Vertrieb ist dabei, Kontakt mit möglichst vielen Institutionen aufzunehmen, und wir werden in Zukunft auf Jobbörsen Werbung machen." Auch die JGU ist mit einigen Hundert Themen vertreten. "Für die Institutionen hat das den Vorteil, dass sie früh Kontakt mit den für sie passenden Leuten bekommen."
Studierende und Doktoranden können das Angebot kostenlos nutzen – wie alles auf www.thesius.de . Sie können unter anderem Formatvorlagen herunterladen oder die Motivationshotline anrufen. "Die ist ebenfalls ganz neu. Da sitzt zwar kein Psychologe am Telefon, aber jemand, der sich auskennt. Manchmal reicht es ja schon, einfach mal über die eigene Arbeit zu reden."
Thesius ist seit nicht mal einem Jahr online. Das Unternehmen, von drei Studierenden der JGU angestoßen, besteht mittlerweile aus einem sechsköpfigen Kernteam und einem halben Dutzend weiterer Mitarbeiter. Als Partner sind unter anderem das Land Rheinland-Pfalz und die Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz mit im Boot.
"Und ich bin der Geschäftsführer", meint Grupp lächelnd. "Da bin ich einfach so hineingerutscht." Als Studierender hätte er sich das nie träumen lassen. "Das ist schon eine Herausforderung, sich um Mitarbeiter zu kümmern, zu schauen, dass ein Unternehmen überlebt." Aber es sieht gut aus. Thesius wächst. Doktoranden in Deutschland sind nun nicht mehr allein mit ihrer Dissertation.