"Nichts ersetzt das Ausprobieren vor Ort"

6. August 2020

Um jungen Frauen auch in Corona-Zeiten attraktive Angebote im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) machen zu können, entwickelte das Ada-Lovelace-Projekt (ALP) eine Reihe innovativer Online-Formate. Dr. Nicole Merbitz, eine der Leiterinnen des ALP an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), erzählt vom Potenzial der digitalen Medien, aber auch vom besonderen Stellenwert der bewährten Präsenzveranstaltungen.

Nach Monaten durfte endlich wieder live experimentiert werden: Fünf Schülerinnen trafen sich mit zwei studentischen Mentorinnen auf dem Mainzer Campus. „Ich hatte ein Hygienekonzept entwickelt, das zum Glück von der Universitätsleitung genehmigt wurde", erzählt Dr. Nicole Merbitz. "Damit können wir nun wieder Workshops anbieten, wenn auch mit weniger Teilnehmerinnen als zuvor."

Die Erleichterung darüber ist Merbitz anzumerken: "Nichts ersetzt das Experimentieren vor Ort, den Umgang mit Chemikalien oder Geräten, den persönlichen Kontakt mit unseren Studentinnen. Natürlich erhalten die Mädchen auch einen kleinen Einblick in das theoretische Hintergrundwissen, allerdings soll die praktische Erfahrung im Vordergrund stehen. Sie sollen selbst Hand anlegen und erleben, wie viel Spaß das machen kann."

Online-Treffen für Mentorinnen

Gemeinsam mit Katja Thömmes leitet Merbitz das Ada-Lovelace-Projekt (ALP) an der JGU. Seit 20 Jahren gibt es diese Initiative, die sowohl vom Europäischen Sozialfonds als auch von den rheinland-pfälzischen Ministerien für Frauen und Wissenschaft finanziert und gefördert wird. Das ALP arbeitet aktuell an zehn Standorten in Rheinland-Pfalz. Es möchte junge Frauen an den MINT-Bereich heranführen, denn immer noch bestimmen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik die Männer das Bild: In den entsprechenden Ausbildungsberufen liegt der Frauenanteil bei etwas über 10 Prozent und auch in den MINT-Studiengängen sind Frauen deutlich in der Minderheit: Sie erreichten 2019 nicht mal die 30-Prozent-Marke.

Merbitz ist zu einem Gespräch in den Botanischen Garten der JGU gekommen. Hier lässt sich ausreichend Abstand halten in Zeiten von Corona, hier verbrachten auch die Teilnehmerinnen des Workshops ihre Pause und hier erzählt Merbitz davon, wie die Pandemie die Arbeit des ALP veränderte.

"Unsere zentralen Zielgruppen sind einerseits Studentinnen im MINT-Bereich, andererseits Schülerinnen etwa ab der fünften Klasse", erläutert Merbitz. Rund 20 Mentorinnen engagieren sich zurzeit an der JGU beim ALP. Sie studieren Chemie oder Informatik, Biologie oder Physik. "Die jungen Frauen sollen nicht nur ihre Erfahrungen an die Schülerinnen weitergeben. Uns ist es wichtig, dass sie sich untereinander vernetzen. Die Problematiken in den von Männern dominierten Fächern sind überall ähnlich, deswegen können sich die Studentinnen gut gegenseitig unterstützen."

Regelmäßige Mentorinnentreffen gehören fest zum ALP-Programm. Doch sie waren nach dem Lockdown nicht mehr möglich – zumindest nicht in der gewohnten Weise. "Wir richteten recht schnell verschiedene Online-Angebote ein, um sich zumindest regelmäßig im Chatroom zu sehen. Wir erhöhten zudem die Frequenz, so findet zum Beispiel das Mentorinnen-Café wöchentlich statt. Wichtig war uns auch ein intensives Erstsemester-Mentoring, denn die Studienanfängerinnen fühlten sich in diesem digitalen Sommersemester besonders verunsichert. Ihnen fehlte schließlich jeglicher Kontakt und sie hatten keine Ahnung von den Abläufen auf dem Campus."

Live-Workshops vorm PC erleben

Zudem realisierte das ALP als erstes Online-Fortbildungsprogramm ein Gender-Training. "Der Workshop richtete sich nicht nur an unsere Mentorinnen, sondern an alle in Rheinland-Pfalz. Das ist ein Vorteil der digitalen Arbeit: Städtegrenzen spielen keine Rolle mehr, niemand muss extra anreisen, also können wir all unsere Standorte einbeziehen."

Dieser Vorteil machte sich auch auf anderer Ebene bemerkbar: Vor Corona trafen sich die ALP-Projektleiterinnen alle zwei bis drei Monate zu Besprechungen und Abstimmungen. "Das war immer etwas aufwendig", meint Merbitz. "Digital lassen sich unsere Treffen viel einfacher arrangieren. Wir sehen uns mittlerweile wöchentlich und unser Austausch ist viel intensiver und in mancher Hinsicht sogar effizienter geworden. Ich glaube, wir werden das beibehalten."

Von den Studentinnen geht der Blick hinüber zu den Schülerinnen: Das ALP ist regelmäßig auf Messen, Informationstagen und ähnlichen Veranstaltungen mit Ständen vertreten. Kleine Experimente machen dort neugierig auf den MINT-Bereich. Diese niedrigschwelligen Mitmach-Angebote sind traditionell ein großer Trumpf des Projekts. "Nun fällt all das fast völlig weg", bedauert Merbitz. "Wir mussten uns überlegen, was wir stattdessen digital mit unseren Mitteln verwirklichen können."

Ganz frisch im neuen Online-Programm sind vier Workshops. "Sie werden live durchgeführt: Eine Mentorin zeigt das jeweilige Experiment, eine weitere behält die Teilnehmerinnen im Auge und leitet sie an, das Experiment selbst durchzuführen." So können Schülerinnen beim Calliope-mini-Kurs eine Platine programmieren. "Das nötige Material schicken wir ihnen vorab kostenlos." Ein anderer Kurs beschäftigt sich mit Do-it-yourself-Kosmetik. "Die Mädchen lernen dabei sehr viel über Chemie. Allerdings müssen in dem Fall die Eltern zu Hause vorm Computer dabei sein, denn es sollen Substanzen erhitzt und Emulsionen hergestellt werden."

Zusätzliches Mentoring für Schülerinnen

Neben diesen sehr aufwendig umzusetzenden Workshops wartet das ALP mit einer ganzen Reihe kleinerer Angebote auf. Unter #AdaExperimentiert etwa finden sich auf YouTube eine Reihe kleinerer Experimente zum Anschauen und Nachmachen. Über Social Media stellen ALP-Mentorinnen in kurzen Texten alle in Rheinland-Pfalz verfügbaren MINT-Studiengänge vor. "Außerdem haben wir ein weiteres Mentoring-Programm für Schülerinnen gestartet, über das sie sich nicht nur Informationen zu Ausbildungen und Studiengängen holen können: Sie bekommen auch Hilfe, wenn sie in einem MINT-Fach Probleme haben, da aufgrund des Online-Unterrichts viele Möglichkeiten des Erklärens und Verstehens verloren gegangen sind."

Das ALP schafft Freiräume, in denen junge Frauen den MINT-Bereich praxisnah und ungezwungen für sich entdecken können. Das funktioniert seit 20 Jahren analog – und nun auch digital. "Allerdings werden unsere Online-Formate nie die Angebote vor Ort ersetzen können", stellt Merbitz klar. "Die Mädchen in unserem ersten Workshop nach dem Lockdown waren sehr glücklich, wieder auf den Campus kommen zu können. Solche Präsenzveranstaltungen sind ungeheuer beliebt, deswegen werden wir auch in Zukunft nicht darauf verzichten, selbst wenn wir unsere digitalen Kanäle weiter ausbauen werden."