Philosophische Gespräche im Internet

13. März 2017

"Soziopod" war der erste Podcast überhaupt, der mit dem renommierten Grimme Online Award ausgezeichnet wurde. Dr. Nils Köbel vom Institut für Erziehungswissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und Patrick Breitenbach von der Karlshochschule International University sehen diese Anerkennung als Verpflichtung für noch mehr Qualität: Sie verbinden in ihren regelmäßig aufgezeichneten Gesprächen aktuelle Themen mit philosophischen Ansätzen. Die beiden diskutieren jenseits von Klischees oder Schlagzeilen und haben sich damit eine große Fangemeinde geschaffen.

Frank Sinatra schmalzt: "It was a very good year." Ekel Alfred aus der 1970er-Jahre-Fernsehkultserie "Ein Herz und eine Seele" schimpft: "Das war überhaupt das beschissenste Jahr seit 1949." Dazu ist eine Collage aus Nachrichtensplittern, Zitaten und Musikfetzen zu hören. So leiten Dr. Nils Köbel und Patrick Breitenbach ihren aktuellen Podcast "Zivilisiert euch! Der vernünftige Jahresrückblick 2016" ein.

Es folgt ein gut anderthalbstündiges Gespräch, unaufgeregt und sachlich, auch wenn das ein oder andere deutliche Wort fällt. Laufende Bilder gibt es nicht dazu, nur eine Tonspur. Die Rollen sind klar verteilt: Köbel beleuchtet Hintergründe, zeigt Zusammenhänge auf und zimmert einen philosophisch-soziologischen Rahmen. Breitenbach ist eher der Nachfragende, der die Themen vom Alltag her beleuchtet.

Jahr des Postfaktischen

"Wir wollen heute mit euch das Jahr Revue passieren lassen", kündigt Breitenbach an. "Das ist ganz lustig: Letztes Jahr waren wir auf dem Chaos Communication Congress in Hamburg und haben da unseren Jahresrückblick gemacht und da haben wir eigentlich schon festgestellt, dass das Jahr 2015 an Beschissenheit nicht zu toppen ist. Aber irgendwie hat uns das Jahr 2016 eines Besseren belehrt."

Köbel stimmt zu, schlägt aber einen anderen Ton an. Er geht geradewegs in die Analyse: "Ich glaube, es gab einen Überschwang von Werten und unreflektierten Narrativen und viel zu wenig an Rationalität und Argumentation."

In seinem Büro im Georg Forster-Gebäude auf dem Gutenberg-Campus nimmt Köbel den Faden wieder auf: "Es ging 2016 wahnsinnig viel um Gefühle und Eindrücke. Die vernünftige Reflexion ist hinten runtergefallen." Da sei es nur passend, dass ein Begriff wie "postfaktisch" zum Wort des Jahres gekürt wurde.

Im Jahr 2012 kam Köbel als Wissenschaftlicher Mitarbeiter ans Institut für Erziehungswissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ein Jahr zuvor rief er mit Breitenbach, der an der Karlshochschule Internationales Medienmanagement lehrt, den Podcast "Soziopod" ins Leben. "Wir sind schon lange befreundet und es war von Anfang an so, dass wir nächtelang Gespräche führten", erzählt Köbel. "Irgendwann dachten wir: Das ist eigentlich interessant und geht auch ganz schön in die Tiefe. Patrick hatte dann die Idee, wir könnten doch einen Podcast dazu machen."

Treffer ins Schwarze

Die beiden nutzen ein modernes Medium für eine im Kern altmodische Form. "Wir führen fast so eine Art aristotelischen Dialog", sagt Köbel. Dabei bringt er regelmäßig Philosophen und Soziologen ins Spiel, das ist eine wichtige Komponente von "Soziopod". Beim Thema "Soziale Ungleichheit & Bildung" etwa zieht er Pierre Bourdieu zurate. Er nimmt sich im Podcast Zeit, um ausführlich dessen Ideen darzustellen.

Im Grunde widerspricht die Vorgehensweise der beiden in vielerlei Hinsicht dem, was Konsumentinnen und Konsumenten angeblich von modernen Medien erwarten: Knapp und klar, eindeutig und einfach soll es sein, das ist immer wieder zu hören. "Wir nutzen das Medium, um ausführlich zu sein." Ihre Podcasts sind gern mal zwei Stunden lang und die beiden warnen regelmäßig im Vorspann: "Man kann's nicht immer nebenbei laufen lassen, sonst verpasst man was." Sie fordern zum Mitdenken auf.

Das schreckte offensichtlich kaum ab, denn "Soziopod" kam gut an. "Es war ein Schuss ins Blaue und ein Treffer ins Schwarze", sagt Köbel. "Wir haben eine große, sehr treue Fangemeinde." Die Klicks für jeden einzelnen der 48 Podcasts gehen in die Tausende.

2013 wurde "Soziopod" mit dem renommierten Grimme Online Award ausgezeichnet. "Das hat uns total überrascht. Es war überhaupt das erste Mal, dass ein Podcast diesen Preis bekam. Wir sahen das auch als Verpflichtung: Wir wollten uns noch besser vorbereiten, um dem Preis gerecht zu werden."

Tour und Buch

Vorbereitung heißt nicht etwa, dass die beiden mit Skript dasitzen. Der Dialog entwickelt sich vielmehr frei, das lässt sich auch am Diktum erkennen – oder an Passagen, wo der eher ruhige Köbel aus tiefstem Herzen klagt: "Foucault ist ein Scheißphilosoph!" In seinem Büro meint er dazu: "Das war vielleicht ein bisschen hart. Mich stört eben, dass er in seinen Schriften so unsystematisch vorgeht." Vorbereitung bedeutet, dass die beiden ihr Thema jeweils sorgfältig aussuchen und dass Köbel passende Theoretikerinnen oder Theoretiker herauspickt, je nachdem, ob es um offene Gesellschaft, Menschenrechte, Migranten oder Moral und Ethik geht.

Im vergangenen Jahr eroberte "Soziopod" dann die analoge Welt: Breitenbach und Köbel gingen auf Tour, trugen live ihre Dialoge vor und luden das Publikum zum Mitreden ein. "Diese Diskussionen entwickelten sich erstaunlich gut, sie haben auch uns selbst viel gebracht." Zudem brachten sie gemeinsam ein Buch heraus. In "Wie ich wurde, wer ich bin, und was wir einmal sein werden" präsentiert das Duo eine kondensierte Auswahl ihrer Podcasts.

"In meinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen schreibe ich natürlich ganz anders", stellt Köbel klar. "Ich versuche überhaupt, Beruf und Podcast streng zu trennen." Dennoch wird er an der JGU immer mal wieder auf "Soziopod" angesprochen: "Es gibt sogar Studierende, die den Podcast zur Nachbereitung nutzen, schließlich spreche ich dort oft über dieselben Themen und dieselben Philosophen wie in meinen Vorlesungen." Es komme auch vor, dass Kolleginnen oder Kollegen Podcast-Ausschnitte in ihren Lehrveranstaltungen nutzen.

Von Menschen und Tieren

Im Februar 2017 hat Köbel seine Antrittsvorlesung als Vertretungsprofessor am Institut für Erziehungswissenschaft an der JGU gehalten. Ob er in Mainz bleibt, ist noch nicht absehbar. Die Zukunft von "Soziodpod" hingegen ist klarer. "Wir wollen neue Formate ausprobieren, vielleicht eine Call-in-Sendung, in der sich die Zuhörerinnen und Zuhörer direkt einmischen können."

Auch die Themen gehen den beiden nicht aus. "Wir haben bisher viel über Menschen geredet, nun würde ich gern eine Folge über Tierrechte machen." Die amerikanische Philosophin Martha Nußbaum interessiert ihn in diesem Zusammenhang. "Sie sagt, es ist eine Frage der Gerechtigkeit, wie wir mit den Tieren umgehen."

"Soziopod" wird also weiter laufen, Breitenbach und Köbel werden weiter ihre Gespräche führen. "Das ist für mich ..." Hier sucht Köbel erstmals nach Worten. "Wie nennt man das, wenn es ein Hobby ist, nur viel wichtiger?"