Rheinhessische Steinzeit frisch serviert

26. November 2012

Vielleicht zog der Mensch bereits vor 800.000 Jahren durch Rheinhessen. Hinweise gibt es, bewiesen ist es allerdings nicht. Auf jeden Fall aber jagte der Neandertaler hier den Wisent und der Homo sapiens schuf rätselhafte Frauenfiguren. Im Museum Alzey zeigen zwei Absolventen des Instituts für Vor- und Frühgeschichte der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) eine Ausstellung über "Pioniere – Jäger – Künstler. Die ältere Steinzeit in Rheinhessen".

Auf dunkelrotem Stoff liegen die edlen Stücke. Sie messen wenige Zentimeter und doch sind sie die Attraktion der Ausstellung: Frauenkörper, vor rund 30.000 Jahren in Stein gemeißelt. Das größte Fragment zeigt einen Unterleib. Aus heutiger Sicht wirkt er mehr als üppig. Speck wölbt sich über Becken, Bauch und Beine.

"Diese Darstellungen finden wir in dieser Zeit überall", erzählt Mathias Probst. "Das weist darauf hin, dass es eine Art Austausch gab zwischen den Menschen weit voneinander entfernter Regionen." Wie dieser Austausch aussah? "Schwer zu sagen." Was die Frauenstatuen genau bedeuteten? "Dazu gibt es sehr viele Interpretationen." Von Muttergöttinnen ist immer wieder die Rede. Aber ob das stimmt? Der Doktorand zweifelt.

Eine Lücke im Museum schließen

Gemeinsam mit Markus Wild hat Probst die Sonderausstellung "Pioniere – Jäger – Künstler. Die ältere Steinzeit in Rheinhessen" für das Museum Alzey konzipiert und realisiert. Beide sind Absolventen des Instituts für Vor- und Frühgeschichte der JGU, beide arbeiten derzeit auf Schloss Monrepos in Neuwied, dem Archäologischen Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution.

"Im Museum Alzey gab es eine Lücke", erzählt Probst. Die Geologie Rheinhessens vor dem Auftauchen der ersten Menschen ist beschrieben und der Besucher kann den Weg des Homo sapiens ab der Neusteinzeit, dem Neolithikum, nachverfolgen. Doch zur Altsteinzeit, dem Paläolithikum, und zur mittleren Steinzeit, dem Mesolithikum, gab es bisher nichts zu sehen.

Das haben Wild und Probst geändert. In den Vitrinen zeigen sie, was an verschiedensten Fundstellen in Rheinhessen zutage gefördert wurde. 13 Tafeln informieren über "Die Evolution des Menschen", über "Die Periode des geschlagenen Steins", über Umwelt, Kunst, Jagd oder Ernährung. Daneben zeichnen Rekonstruktionen und Illustrationen ein Bild. Einige der Exponate werden auch nach dem Ende der Sonderausstellung in Alzey bleiben.

Wisentjagd in Wallertheim

Womöglich zog der Mensch bereits vor 800.000 Jahren durch Rheinhessen. In Dorn-Dürkheim wurden 1989 Steine entdeckt, die so aussehen, als hätten Menschen sie bearbeitet. Durch Abschläge sind scharfe Kanten entstanden. Steinzeitliche Faustkeile kennt wohl jeder und niemand wird zweifeln, dass bei diesen Artefakten Menschen am Werk waren. Doch was da in der Vitrine liegt, ist viel weniger eindeutig zu identifizieren. Hier könnten auch Naturkräfte gewirkt haben, die Steinstücke absprengten.

Ganz anders sieht das bei den rund 100.000 Jahre alten Funden aus Wallertheim aus. Ende der 1920er Jahre entdeckte Otto Schmidtgen dort einen Jagdplatz der Neandertaler. Etwa 500 Steinfragmente kamen zum Vorschein, darunter eindeutig als Klingen verwendete Stücke. Daneben fanden sich unzählige Wisentknochen. Probst zeigt auf die Exponate und auf die Zeichnungen dahinter. "Die roten Punkte zeigen, wo die Knochen aufgeschlagen wurden, um an das Mark zu kommen. Das war als Energielieferant wichtig."

Steinzeitkunst vom Mainzer Linsenberg

Ein Modell des Jagdplatzes ist ausgestellt: Neandertaler zerlegen ein Wisent. Einige wenige Bäume zieren den Rand des detailreich gestalteten Dioramas. Steppe herrschte vor in der Eiszeit. Für den Ausstellungsmacher Probst ist diese Nachbildung in Ordnung, der Wissenschaftler Probst guckt ein wenig skeptisch. "Bei solchen Rekonstruktionen muss man immer Kompromisse eingehen. Genau so wird der Platz wohl nicht ausgesehen haben, aber er könnte so ähnlich gewesen sein."

Frühe Belege für den Homo sapiens finden sich am Mainzer Linsenberg und in Sprendlingen. Im Gegensatz zum Neandertaler war der moderne Mensch auch Künstler. Nicht nur die Frauenfiguren zeugen davon, auch der Schmuck aus Schneckenhäusern spricht eine klare Sprache. Außerdem fertigte der frühe Mainzer im Gegensatz zum Neandertaler Kompositwaffen an: Kleine Steinklingen setzte er in eine Spitze aus Tierknochen, die er wiederum auf einen Holzschaft steckte.

Wenig los im Mesolithikum

Wer bis hierhin gekommen ist im Rundgang durch die Ausstellung, der merkt: Langsam schälen sich immer klarere Konturen heraus. Ob hinter den Steinen von Dorn-Dürkheim der Mensch steckt, ist nicht klar. Aber in Wallertheim begegnen dem Besucher schon Neandertaler, die Wisentknochen aufgebrochen haben und am Linsenberg folgt der moderne Mensch mit seiner Kunst. Vom großen, groben Steinwerkzeug weist die Entwicklung hin zu immer kleineren, differenzierteren Stücken.

Dann allerdings, zum Ende der Eiszeit und der Altsteinzeit, wird es dünn in Rheinhessen. "Nur am Rand der Region gibt es noch Fundplätze", sagt Wild. Die Mittlere Steinzeit ab 9600 v. Chr. ist sein Gebiet. Das Kaspertal bei Kirchheimbolanden lieferte die Exponate für die Ausstellung: Die Vitrine enthält vier winzige Steinstücke, sogenannte Mikrolithen. "Sie wurden in Pfeilspitzen eingesetzt."

Der Bogen als Jagdwaffe ist jetzt nachweisbar. Die Eiszeitsteppen, auf denen der Mensch zuvor den Wisent jagte, sind Wäldern gewichen. Die Ernährung ist vielseitiger. Die großen Herden sind verschwunden, die eher vereinzelten Tiere des Waldes werden nun zur Beute. "Mit dem Bogen kann man jetzt auch Vögel jagen."

800.000 Jahre in einem Raum

800.000 Jahre Menschheitsgeschichte in einem Raum, das ist schon eine Aufgabe. Für ihre allererste Ausstellung mussten Probst und Wild einiges tun. Das ging über die Beschaffung der Exponate und die Formulierung der möglichst knapp gefassten Erläuterungen bis hin zur Farbe für die Schautafeln. "Wir wollten kein Grau", sagt Probst. "Wir wollten signalisieren, dass die Steinzeit spannend ist." Also mussten frische Farben her: leuchtendes Gelb und tiefes Rot.

Tatsächlich kann der Besucher staunen, wie viel zu erfahren ist über den Menschen der Steinzeit, obwohl so vieles rätselhaft bleibt. Zum Schluss steht er vielleicht noch einmal vor den Frauenfiguren im Mittelpunkt der Ausstellung: Sind es Göttinnen, Sexobjekte? Das wird sich kaum klären lassen. Aber anschauen kann diese 30.000 Jahre alten Kunstwerke jeder – im Museum Alzey, mitten in Rheinhessen.