18. Juli 2025
Ob Theater, Kinderbuch oder Stand-up-Comedy: Die Schreibakademie des Fachbereichs 05 – Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) bietet jedes Jahr 16 Studierenden die Gelegenheit, in verschiedene schreibintensive Berufsfelder hineinzuschnuppern – und auf diese Weise ihre eigene kreative Stimme zu formen. Dabei werden sie von langjährigen Expertinnen und Experten der jeweiligen Sparte angeleitet und beraten. Von ihnen bekommen die Teilnehmenden professionelles Feedback – und nicht selten ergeben sich aus der Schreibakademie neue Projekte für die Zukunft.
Kreatives Schreiben ist für Lea Steinmetz ein bisschen wie Bergsteigen: Der Anstieg ist anstrengend, jeder Schritt will gut überlegt sein und manche Idee verwirft man besser wieder. "Aber wenn man endlich oben steht und ins Tal – oder auf die Geschichte – blickt, ist es ein tolles Gefühl." Schon als Kind dachte sie sich gern Geschichten aus. Doch erst später, als Masterstudentin der Kulturanthropologie, hat sie den Mut gefasst, das Schreiben auch beruflich zu erwägen. "Menschen mit meinen Geschichten zu inspirieren – auf dieses Ziel arbeite ich heute mehr denn je hin. Weil ich meinem kleinen Sohn vorleben will, mutig zu sein und eigene Träume zu verfolgen." Unterstützung hat Lea Steinmetz dabei in der Schreibakademie des Fachbereichs 05 der JGU gefunden.

Das von der Studien- und Schreibberatung PHILIS organisierte Programm bietet jedes Jahr 16 Studierenden die Gelegenheit, sich mit verschiedenen Formen des Schreibens auseinanderzusetzen. "Die Schreibakademie ist ein kreativer Spielplatz", betont Mitorganisatorin Kerstin Rüther. "Sie unterstützt die Studierenden dabei, Schreiben als Werkzeug zu erkunden – fürs Studium, für ihr eigenes Verständnis der Welt und auch für potenzielle Berufsfelder." Über zwei Semester hinweg werden sie dabei nicht nur von Kerstin Rüther und ihrem PHILIS-Kollegen Dr. Daniel Alles begleitet, sondern auch von Expertinnen und Experten aus jeweils vier schreibintensiven Berufsfeldern – im aktuellen Jahrgang sind dies Dokumentarfilm und szenisches Schreiben fürs Theater, Stand-up-Comedy und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
"Texte sind auch etwas Intimes"
Auch Khaled Salloum, der an der JGU Filmwissenschaft und audiovisuelles Publizieren studiert, hat schon immer gern Geschichten erzählt. "Die Akademie sollte mir insbesondere helfen, meine Angst vor Ablehnung zu überwinden." Schon seit seiner Kindheit als syrischer Junge in Saudi-Arabien habe er oft das Gefühl gehabt, nicht richtig angenommen zu sein. "Und auch bei der Präsentation eines Texts ist die Angst vor Ablehnung natürlich groß."
Zu Beginn der Schreibakademie sammelten die Teilnehmenden in einer Einführungswoche zunächst gemeinsam mit dem PHILIS-Team kreative Schreiberfahrungen – und begannen dabei, Vertrauen in die eigene Stimme und die Gruppe zu entwickeln. So präsentierten sie den Mitstudierenden ihre Texte zum Thema "Fluchtpunkte", mit denen sie sich für die Schreibakademie beworben hatten – in Formaten von literarisch bis journalistisch, von Gedicht bis Drehbuchskizze. Das kostete die allermeisten zunächst Überwindung. "Denn schließlich teilt man dabei nicht nur seinen Text, sondern irgendwie auch einen Teil von sich", findet Lea Steinmetz.

Auch Khaled Salloum meint, dass man mit seinen schriftlichen Gedanken und Ideen etwas sehr Intimes preisgebe. Um den Studierenden beim Vortragen ihrer Texte Sicherheit zu geben, legt das PHILIS-Team großen Wert darauf, dass Feedback auf wertschätzende, präzise und konstruktive Weise erfolgt – gemäß den Prinzipien des Schreibpädagogen Peter Elbow. Das stärkt ganz nebenbei auch das Gemeinschaftsgefühl in der Gruppe.
Drahtige Wolpertinger und minnesingende Lindwürmer
In diesem geschützten Raum konnten sich die Studierenden in freien Beobachtungsaufgaben und klassischen Gedichtformen üben. "Letzteres hat ihnen, nach anfänglichem Widerstand, viel Spaß gemacht", erinnert sich Kerstin Rüther. In einem Storytelling-Workshop ging es zudem darum, eigene Erlebnisse strukturiert in eine erzählerische Form zu bringen. "Dabei haben wir ein Modell des Literaturtheoretikers Karl-Heinz Stierle produktiv so umgestaltet, dass es durch eine Abfolge einfacher Entscheidungen zu einem narrativ gut ausgearbeiteten Text führt", berichtet Rüther. Dazu brachten die Studierenden einen persönlichen Gegenstand von zuhause mit, von dem aus sie ihre Geschichten sponnen.
In einer anderen Übung sollten sie Märchen neu verfassen – in einem frei gewählten literarischen Stil. Lea Steinmetz etwa schrieb "Rapunzel" im Stil von Walter Moers um: "Viele tollkühne Heldinnen und Helden machten sich auf, das Mädchen zu retten", schreibt sie. "Drahtige Wolpertinger, minnesingende Lindwürmer, wütende Blutschinken kamen – und noch viele mehr. So viele, dass in der ganzen Umgebung keine freie Unterkunft mehr zu finden war. Am Abend feierten sie alle und prahlten über ihre hervorragenden Fähigkeiten im Retten von hilflosen Maiden."

Fiktive Pressemitteilungen
Khaled Salloum transformierte "Rotkäppchen" in einen nüchternen Nachrichtentext bei der Tagesschau: "Der Angriff eines Wolfs im Schwarzwald hat vermutlich Hunger als Hintergrund. Der Verdächtige, ein ausgewachsener männlicher Wolf, wird des versuchten Mordes mit Fressabsicht verdächtigt, teilte die Forstbehörde mit."
Es folgten vier Wochenenden, an denen die Teilnehmenden mit Expertinnen und Experten an praxisnahen Schreibprojekten arbeiteten – vom journalistischen Format bis zur literarischen Erzählung. Neben Thomas Maagh, Lektor beim "Verlag der Autoren", gewährte auch SWR-Dokumentarfilmautorin Henriette von Hellborn einen tiefgehenden Einblick in ihr Berufsfeld. Bei ihr lernten sich die Studierenden in gegenseitigen Interviews besser kennen und verarbeiteten ihre Eindrücke anschließend zu Erzählungen über die andere Person. "Dabei sind sehr emotionale und persönliche Texte entstanden", erinnert sich Lea Steinmetz. "Diese Übung hat uns als Gruppe noch enger zusammengeschweißt."
Mit Nils Dettki, Pressesprecher im Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration Rheinland-Pfalz, analysierten die Studierenden exemplarische Pressemitteilungen. "Dabei zeigte er uns bewusst auch weniger gelungene Beispiele – mit vielen Dopplungen, schwacher Grammatik und unklarer Struktur", erinnert sich Lea Steinmetz. Besonders beindruckte sie eine Übung, bei der die Gruppe zwei Pressemitteilungen zu einem fiktiven Schulsanierungsprojekt verfassen sollte: eine wohlwollende aus Sicht des verantwortlichen Schulreferats, eine kritische aus der Sicht der verärgerten Eltern. "Dieser Perspektivwechsel machten mir deutlich, wie stark Haltung und Tonalität die Wahrnehmung eines Texts beeinflussen können", so die Studentin.

Neue Themen: Kinderbuch und Serious Games
Nach einem Reflexionstag mit dem PHILIS-Team entschieden sich die Teilnehmenden am Ende des Wintersemesters für ein Abschlussprojekt in jeweils einem der vier angebotenen Schwerpunkte. Während Lea Steinmetz Dokumentarfilm wählte, legte sich Khaled Salloum auf Stand-up-Comedy fest – im Umgang mit seiner Angst vor Ablehnung eine besondere Mutprobe. "Denn bei Stand-up-Comedy kommt natürlich die Sorge dazu, dass das Publikum, vor dem man steht, nicht lacht."
"Unsere Schreibakademie soll den Studierenden helfen, eine eigene Stimme zu finden", betont auch PHILIS-Mitarbeiter Dr. Daniel Alles. "Und sie soll sie entdecken lassen, dass sie wirklich etwas zu sagen haben." Daneben helfe sie auch beim beruflichen Netzwerken und baue Brücken in die Praxis. "Viele Teilnehmende der beiden früheren Runden sind nach Abschluss der Akademie mit ihren Referentinnen und Referenten in Kontakt geblieben, um Feedback zu einem Text einzuholen, nach einem Praktikum zu fragen oder sogar ein gemeinsames Projekt umzusetzen", weiß Kerstin Rüther zu berichten. So schreiben drei Studentinnen mittlerweile freiberuflich für die Mainzer Allgemeine Zeitung, eine andere trat, vermittelt durch die Schreibakademie, einen Nebenjob beim ZDF an. Und Khaled Salloum hat sich mit seinem Programm, unter der Ägide von Stand-up-Comedian und Kulturunternehmer Zain Qureshi, sogar bereits auf eine Mainzer Open-Mic-Bühne gewagt.

Im kommenden Wintersemester startet die Schreibakademie in eine neue Runde. Studierende des Fachbereichs Philosophie und Philologie der JGU können sich bis zum 14. August 2025 mit einem Motivationsschreiben und einem Kurztext zum Thema "Verspätung" bewerben. Die Auswahl übernehmen diesmal Expertinnen und Experten aus den Bereichen Kinderbuch, Lyrik, Drehbuch und Serious Games, also Computerspielen mit didaktischem Ziel. Sie werden die Studierenden des dann vierten PHILIS-Schreibakademie-Jahrgangs unterstützen – bei der Suche nach der eigenen Stimme und dem Erklimmen kreativer Berge.
Text: Anja Burkel